Was hat der Ausschuss zum Sozialbetrug gebracht?

Saal des Untersuchungsausschusses Sozialbetrug
Vor der Sitzung: Der Ausschuss versammelt sich in einem Saal der Bremischen Bürgerschaft. Bild: Radio Bremen

Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zum mutmaßlichen Betrug mit Sozialleistungen in Bremerhaven ist mit der Vernehmung von Martin Günthner zumindest für die Öffentlichkeit vorbei. Was hat ein Jahr Arbeit gebracht?

Heute werden die Befragungen beendet. Martin Günthner (SPD), Wirtschaftssenator und SPD-Chef von Bremerhaven, tritt als letzter Zeuge vor das Gremium.

Danach wird dann hinter verschlossenen Türen am Abschlussbericht gearbeitet und zusammentragen, welche Erkenntnisse die Recherchen und Befragungen gebracht haben. Im August 2016 begann der Ausschuss unter Leitung des Vorsitzenden Nelson Janßen (Die Linke) mit seiner Arbeit. Von Januar bis Juni 2017 wurden Zeugen vernommen:

1 Die Funktionäre: Rosche, Gruhl und Grantz

  • Der Erste war Bremerhavens Sozialstadtrat Klaus Rosche (SPD). Doch der Ertrag war dürftig: Rosche habe zwar schon 2013 gerüchteweise etwas über Sozialmissbrauch gehört, doch erst 2015 hätten konkrete Informationen vorgelegen. Er schob den schwarzen Peter in Richtung Jobcenter. Der stellvertretende Ausschuss-Vorsitzende fand deutliche Worte:.

Wenn jemand inkompetent ist, was hier offensichtlich der Fall ist, dann sollte er sich wenigstens engagiert zeigen.

Thomas vom Bruch (CDU)
  • Auch Bremerhavens Jobcenter-Chef Friedrich-Wilhelm Gruhl will nichts falsch gemacht haben: "Von Seiten des Jobcenters ist da nichts schief gelaufen", sagte er. Gruhl hatte immerhin Zahlen parat: Seiner Behörde sei ein Schaden von über 6 Millionen Euro entstanden. Gruhl räumte ein, dass es schon 2013 Gerüchte gegeben habe. 2014 erstattete das Jobcenter dann Anzeige beim für Schwarzarbeit zuständigen Zoll – und wartete eineinhalb Jahre auf den Bescheid, der Zoll sei gar nicht zuständig. In dieser Zeit waren die mutmaßlichen Betrügereien unvermindert weiter gegangen..
  • Als einer der letzten Zeugen sagte Bremerhavens Oberbürgermeister Melf Grantz (SPD) aus. Auch er habe erst Mitte 2015 von dem Betrug erfahren, auch er schob die Verantwortung in Richtung Jobcenter. Auch seine Aussagen brachten kein Licht ins Dunkel. Und wer ist für den Skandal der politisch Verantwortliche? "Den wird man wohl nicht finden", sagte Grantz..

2 Die Mitarbeiter von Stadt und anderen Behörden

Zahlreiche Zeugen des Ausschusses kamen aus dem "Bauch der Behörden", sie arbeiteten direkt an den Vorgängen rund um den mutmaßliche Betrug – was nicht immer bedeutete, dass sie auch Konkretes zur Aufklärung beitragen konnten:

Das Stadthaus Bremerhaven
Das Stadthaus Bremerhaven, Sitz der kommunalen Behörden. Bild: Radio Bremen | Frank-Matthias Wacket
  • Astrid Henriksen, Leiterin des Bremerhavener Sozialamtes: Sie hielt ihr Amt für unschuldig, weil es nicht zuständig gewesen sei – dabei hatte sie, im Gegensatz zu ihrem Chef Klaus Rosche, Einblick in Berichte der Arbeiterwohlfahrt (AWO), die schon früh Hinweise auf Sozialbetrug enthielten. Henriksens Amt hakte nicht nach: "Die AWO war im Kontakt mit dem Jobcenter, darauf haben wir uns verlassen.".
  • Ganz anders Corinna Becker, damals Leiterin der Humanitären Sprechstunde der Stadt. Sie hatte mit Nachdruck Mails an die Verantwortlichen geschrieben, die auf den Missbrauchsskandal hinwiesen. Sie nannte das Vorgehen der Ämter "träge" und klagte über ein "mangelndes Zusammenspiel.".
  • Zwei Schulleiterinnen sagten zum Thema Bildungsgutscheine aus. Demnach hatten Mitarbeiter der Sozialvereine Lehrkräfte an den Schulen geradezu bedrängt, Anträge auf die Gutscheine zu unterschreiben. Beide Direktorinnen hätten Jobcenter und Schulamt informiert und beklagten, es habe "keine echte Reaktion" gegeben. Wie sich bei der späteren Befragung eines Kripobeamten herausstellte, hatten die Vereine von 2013 bis 2016 allein für Bildungsgutscheine 630.000 Euro erhalten..
  • Befragt wurden außerdem Mitarbeiter des Ordnungsamts und des Finanzamts Bremerhaven, des Zolls, des Jobcenters Bremerhaven, ein ehemaliger Nachhilfelehrer eines Sozialvereins und weitere. Sie zeigten auch, dass einige Mitarbeiter durchaus Skepsis entwickelten, diese sich auf den oberen Ebenen aber nicht auswirkte..

3 Die mutmaßlichen Drahtzieher

vor dem Untersuchungsausschuss in der Bremischen Bürgerschaft
Selim Öztürk war Vorsitzender der zwei Sozialvereine, die im Mittelpunt der Ermittlungen stehen. Bild: Radio Bremen | Boris Hellmers-Spethmann

Der Ausschuss lud auch die Personen ein, die mutmaßlich von dem Sozialbetrug profitiert haben. Im Zentrum standen mehrere Sozialvereine, die von Selim Öztürk geführt wurden. Gegen ihn und gegen seinen Sohn, das Bürgerschaftsmitglied Patrick Öztürk (ehemals SPD), wird bei der Staatsanwaltschaft ermittelt. Beide wurden vorgeladen, erschienen und verweigerten in Begleitung ihres Anwalts die Aussage. Auch das Drängen des sichtlich verärgerten Ausschussvorsitzenden half nichts. Ein maßgeblicher Mitarbeiter des Vereins kam ebenfalls mit Anwalt und sagte – nichts.

4 Was könnte am Ende das Ergebnis der Ausschussarbeit sein?

100 Stunden lang hat der Ausschuss Zeugen befragt, 300.000 Blatt Akten sind dabei zusammengekommen – was ist das Ergebnis? Zusammenfassend lässt sich sagen: Zwar konnten viele Details, wie der Sozialbetrug genau funktionierte, aufgearbeitet werden. Die weitverzweigten Zusammenhänge der deutschen Sozialbürokratie wurden erkennbar. Es zeigte sich, welche Gesetze und welche Regularien Ausgangspunkt für den mutmaßlichen Sozialbetrug waren.

Doch die Frage danach, wie es so weit hatte kommen können, blieb unbeantwortet – weil die Frage nach der Verantwortung offengeblieben ist. Thomas vom Bruch, der stellvertretende Ausschussvorsitzende, sprach von "organisierter Nicht-Zuständigkeit". Sätze wie "Es gab Versäumnisse, aber nicht in meinem Bereich" waren vor allem von Befragten der oberen Hierarchieebene zu hören: Es gab viele Begründungen für die eigene Unzuständigkeit.

Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses soll der Bürgerschaft im September vorgelegt werden.

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Dieses Thema im Programm: Bremen Vier, 20. Juni 2017, 9:20 Uhr

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