Wie das Gericht das Urteil gegen die Bremer Millionendiebin begründet
Mit sechs Jahren und neun Monaten Haft ging das Bremer Landgericht noch über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus. Die Richterin sprach von einer "zutiefst egoistischen Tat".
Der Millionen-Diebstahl von Yasemin G. ist ein filmreifer Fall. Und so passte es ins Bild, dass ihr Verteidiger bei seinem Plädoyer vor der Urteilsverkündung einen Arbeitsvertrag vorlegte. Yasemin G. sei seit Kurzem bei einer Fernsehproduktionsfirma angestellt. Dort soll sie an einer Dokumentation mitwirken, die wohl für einen großen Streaming-Dienst bestimmt ist. Dafür erhält sie immerhin gut 3.000 Euro brutto im Monat.
Behalten darf sie das Geld nur zum Teil. Alle Einkünfte, die über der Pfändungsfreigrenze liegen, wird sie in Zukunft abgeben müssen. Denn Yasemin G. muss nach dem Urteil des Landgerichts Bremen nicht nur für sechs Jahre und neun Monate ins Gefängnis. Sie muss auch die knapp 8,2 Millionen Euro zurückzahlen, die sie im Mai 2021 gestohlen hat. Damit wird sie wohl den Rest ihres Lebens beschäftigt sein.
"Gelohnt hat sich diese Tat für sie sicherlich nicht", mit diesen Worten beendete die Vorsitzende Richterin Gesa Kasper ihre etwa einstündige Urteilsbegründung. Yasemin G. sei kein "weiblicher Robin Hood". Die Motive seien zutiefst egoistisch gewesen. "Sie wollte sich ein Luxusleben ermöglichen, ohne dafür zu arbeiten."
Strafmaß über Forderung der Staatsanwaltschaft
Die große Strafkammer ging in ihrem Strafmaß sogar über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus. Die Vorsitzende Richterin begründete das mit der hohen Summe, die Yasemin G. gestohlen habe, und der erheblichen kriminellen Energie.
Die Staatsanwaltschaft hatte am Morgen sechs Jahre und vier Monate Haft gefordert. Die Verteidigung hatte für eine Strafe zwischen dreieinhalb und vier Jahren plädiert.
Geldschmuggel soll ohne große Pläne funktioniert haben
Fast 8,2 Millionen Euro hatte die Bremerin am Freitag vor Pfingsten vor dreieinhalb Jahren aus den Räumen der Geldtransportfirma Loomis geschmuggelt. Wie einfach das ging, fasste ihr Verteidiger in seinem Plädoyer noch einmal zusammen. "Wir alle kennen Hollywood-Filme, wo auf spektakuläre Weise Pläne geschmiedet werden", so Anwalt Carsten Scheuchzer. Fluchttunnel, IT-Spezialisten, Sprengstoff – "nichts davon war hier nötig." Yasemin G. habe mit 17 Millionen Euro hantiert, die im Grunde gar nicht gesichert waren.
Es habe in der Firma kein Vier-Augen-Prinzip gegeben. Die Videoüberwachung war lückenhaft und auf die Bilder, die existierten, schaute an jenem Abend niemand drauf. Der Pförtner ließ sich ablenken und so schob die Diebin 8,2 Millionen als Altpapier getarnt aus dem Gebäude, wo die Komplizen bereits in einem Lieferwagen warteten.
Millionendiebin führte Tat ohne Fehler aus
Die Tat habe zwar leicht ausgesehen, und die Sicherheitsvorkehrungen bei der Geldtransportfirma seien unzureichend gewesen, so sah das auch die Strafkammer. Dennoch habe Yasemin G. die Tat gut geplant und ausgeführt, ohne einen Fehler zu machen. Yasemin G. habe das von ihrem Arbeitgeber in sie gesetzte Vertrauen missbraucht.
Wenig überraschend kündigte Verteidiger Scheuchzer nach dem Urteil bereits an, dass seine Mandantin in Revision gehen werde. Er sei "enttäuscht" über die Höhe des Urteils: "Wir haben hier nicht mit einem milden Urteil gerechnet, trotzdem ist das zu hart."
Dass Yasemin G. die Tat begangen hat, das war in diesem Prozess von Anfang an unstrittig. Sie hatte nach ihrer Rückkehr Anfang dieses Jahres ausführlich bei der Polizei ausgesagt. Und auch vor Gericht schilderte sie über mehrere Stunden, wie es aus ihrer Sicht zur Tat kam, wie sie die Tat ausführte und wie sie schließlich fast drei Jahre lang in der Türkei auf der Flucht war.
Im Frühjahr 2021 habe sich Yasemin G. in einer schweren Lebenskrise befunden, so schilderte sie es vor Gericht. Ihr damaliger Lebensgefährte sei wegen Drogenhandels verhaftet worden. Deshalb habe sie aus ihrer Wohnung ausziehen müssen. Sie sei in dieser Zeit psychisch sehr labil gewesen.
Ihre beste Freundin Büsra S. und deren Verlobter Yigit T. hätten sie zu der Tat überredet. Bürsa S. ist in einem getrennten Prozess bereits zu knapp drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Yigit T., den Yasemin G. als Hintermann der Tat benannte, soll zu einer Bande gehören, die von der Türkei aus Deutsche mit dem Enkeltrick und ähnlichen Betrügereien um ihr Erspartes bringt.
Mittäter wurde nach Aussage in Berlin verhaftet
Yasemin G. war zwar nicht vorbestraft, habe sich aber dennoch in einem "zutiefst kriminellen Milieu" bewegt, so das Gericht. Die Männer, mit denen sie sich einließ, darunter auch mehrere "Berufskriminelle" aus Berlin seien "nicht zimperlich". Noch am vorletzten Verhandlungstag identifizierte Yasemin einen der Mittäter auf einem Foto. Der Mann wurde daraufhin in Berlin verhaftet. Er soll nun nach Bremen überstellt werden.
Den Abtransport des Geldes hatten diese Männer offenbar gut vorbereitet. Die Flucht von Yasemin G. verlief dagegen eher chaotisch: Sie versuchte offenbar noch in der Tatnacht an mehreren deutschen Flughäfen spontan ein Ticket in die Türkei zu bekommen. Doch das gelang nicht. Deshalb ließ sie sich von einem der Komplizen bis nach Wien fahren, wo sie eine Maschine nach Istanbul bestieg.
In den folgenden Monaten hielt sie sich an wechselnden Orten in der Türkei auf: Izmir, Antalya, Bodrum, Istanbul. Es war eine Zeit, in der Yasemin in manchen Monaten ein Luxusleben führte, in großen Villen lebte, teure Partys feierte, in der sie aber auch immer in der Angst vor Entdeckung lebte – und am Ende wohl auch um ihr Leben fürchten musste. So berichtete sie vor Gericht, dass einer ihrer Begleiter in Istanbul angeschossen worden sei.
Eine große Frage konnte auch dieser Prozess nicht auflösen: Wo ist das Geld geblieben? Für die Ermittler verliert sich die Spur früh: am Bultensee in Osterholz-Tenever. Dort wechselten Yasemin G. und ihre Komplizin Büsra S. das Fluchtfahrzeug, dort luden die Hintermänner das Geld aus dem Container in Rucksäcke. Bekommen hat Yasemin nach eigenen Angaben nur 20.000 Euro. Der Rest des Geldes, darin sind sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung einig, ist ganz offenbar beim Hintermann Yigit T. geblieben. Er hält sich offenbar weiterhin in der Türkei auf.
Folgen für Hintermann sind nicht absehbar
Ob es in Bremen ein Ermittlungsverfahren gegen Yigit T. gibt und inwiefern sich die Staatsanwaltschaft um die Auslieferung des Mannes bemüht, dazu wollte sich ein Sprecher auf Nachfrage nicht äußern. Ob der mutmaßliche Hintermann sich jemals für den Diebstahl wird verantworten müssen, ist also aktuell nicht absehbar.
Auf Yasemin G. wartet nun eine lange Zeit im Gefängnis. Der Haftbefehl bleibt auch nach dem Urteil in Kraft. Zu groß sei die Gefahr, dass sie sich noch einmal in die Türkei absetze, so das Gericht. Doch auch wenn Yasemin G. ihre Strafe abgesessen hat, wartet auf sie ein Leben mit mehr als acht Millionen Euro Schulden.
Millionendiebin ging bei Gucci einkaufen
"Auf ein Leben in Bescheidenheit ist sie bisher nicht eingestellt gewesen", sagte die Vorsitzende Richterin in ihrer Urteilsbegründung und erinnerte daran, dass Yasemin G., als sie zwischenzeitlich aus dem Gefängnis freikam, direkt bei Gucci für 1.000 Euro einkaufte. Eine Einkaufstour, die beim Gericht offenbar nicht gut ankam.
Das schnelle Geld hatte Yasemin G. gelockt. Sie habe sich entschieden, "mit den ganz Großen" mitzuspielen, so die Vorsitzende Richterin. Dass sie einzelne Hintermänner benannte, damit habe sie sich in den kriminellen Kreisen, in denen sie sich bewegt habe, sicherlich keine Freunde gemacht. Auch das gehöre zu den Folgen ihrer Tat, mit denen sie nun leben muss.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 16. Dezember 2024, 19:30 Uhr