Missbrauch im Sport: Was einem Bremerhavener Trainer vorgeworfen wird
Die Staatsanwaltschaft hat gegen einen Bremerhavener Tennistrainer Anklage erhoben. Was ihm vorgeworfen wird, zeigen Recherchen von NDR, Nordseezeitung und buten un binnen.
Es ist Ende Juni 2023. Ermittler der Kriminalpolizei Bremerhaven kommen zum Gelände vom Tennisclub Rot-Weiss Bremerhaven. Sie durchsuchen das Vereinsgebäude, machen Bilder von Räumen und Umkleidekabinen. Die Beamten ermitteln gegen einen Trainer, der hier mit jugendlichen Nachwuchssportlern arbeitet.
Schon seit Jahren ist er hauptberuflich auf norddeutschen Tennisplätzen unterwegs. Er wird als charismatisch beschrieben. Als einer, der einen guten Draht zu den Jugendlichen hat, mit ihnen auf Augenhöhe spricht, einer, der den Spaß beim Training in den Vordergrund stellt. "Jugendliche und Kinder zu trainieren, das war sein Leben. Und da hat er seine ganze Kraft und seine Energie und seine Zeit investiert", sagt Klaus Stöver, der dem Verein seit mehr als 20 Jahren vorsitzt. Er war davon überzeugt, dass der Angeschuldigte als Trainer einen ausgesprochen guten Job macht. Auch der Landessportbund zeichnet den Verein noch in diesem Jahr für seine Jugendarbeit 2022 aus.
Jugendliche und Kinder zu trainieren, das war sein Leben. Und da hat er seine ganze Kraft und seine Energie und seine Zeit investiert.
Klaus Stöver, Vorsitzender von Rot-Weiss Bremerhaven
Doch die Polizei nimmt ihn in diesen Sommertagen fest. Denn Staatsanwalt und Polizei haben einen Verdacht: Hat der Trainer minderjährige Tennisschüler unter der Dusche gefilmt und sie zu sexuellen Handlungen genötigt? Hat er immer wieder Grenzen überschritten und seine minderjährigen Schüler in sexueller Weise bedrängt? Die Behörden entscheiden, den Mann in Untersuchungshaft zu nehmen.
Jetzt liegt die Anklage dem Landgericht vor
Drei Monate später – Ende September – wird der 45-jährige Beschuldigte unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen. Es bestehe keine Fluchtgefahr und der Mann sei aus dem Tennisumfeld ausgeschlossen, so die Begründung der Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungen der Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft sind vorerst abgeschlossen. Nun liegt die Anklage dem Bremer Landgericht vor.
Die Liste der Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft gegen den Tennistrainer ist lang: Es geht um den Verdacht des sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, sexueller Nötigung in einem Fall und in sechs weiteren Fällen um den Verdacht sexueller Übergriffe. Außerdem wird dem Jugendtrainer die Beschaffung kinderpornografischer Inhalte vorgeworfen, sowie die Verletzung des persönlichen Lebensbereichs in mehr als einem Dutzend Fälle. Laut Staatsanwaltschaft sollen sich die vorgeworfenen Taten zwischen 2016 und Juni 2023 zugetragen haben. Frank Passade, Sprecher der Bremer Staatsanwaltschaft betont, dass es sich bei den vorgeworfenen Taten nicht um körperliche Übergriffe handle.
Bilder und Videos zeigen Grenzüberschreitungen
Bilder und Videos aus den sozialen Netzwerken, die buten un binnen und dem NDR vorliegen, zeigen den Trainer in fragwürdigen Situationen mit Tennisschülern. Es wird rumgealbert und gelacht, doch die Grenzüberschreitungen sind deutlich: Auf einem Foto trägt ein Jugendlicher einen Sport-BH. Der Trainer schiebt von hinten seine Hände unter das Kleidungsstück, sodass sie auf den "Brüsten" des Jugendlichen liegen. In einem anderen Video fordert er einen Jugendlichen auf einen Kussmund zu machen und in die Kamera zu sagen: "Ich hab dich lieb!" Während er seinen Trainer im Arm hält, kommt der Junge der Aufforderung nach. Außerdem stellt der Trainer die Frage: "Darf ich deine Möpse kneten?" Der Jugendliche verneint und löst die Umarmung.
Die Ermittlungen kommen ins Rollen, weil ein Jugendlicher sich seinen Eltern anvertraut. Die gehen zur Polizei. Später sagen noch weitere minderjährige Tennisschüler bei den Behörden aus.
Nachdem die Anzeige bei der Polizei eingeht, beginnen umfangreiche Recherchen der Beamten. Es wird eine Ermittlungsgruppe gegründet, um der Vielzahl der Vorwürfe nachzugehen. Die Beamten haben viele – auch ehemalige – Schüler befragt, ihnen Bildmaterial gezeigt. So wollen sie rekonstruieren, wer zu den mutmaßlichen Opfern gehört. Laut Staatsanwaltschaft konnten sie 14 Jungen zwischen elf und 15 Jahren ermitteln, jedoch nicht alle von ihnen namentlich identifizieren.
Nach unseren Recherchen soll sich der Trainer mit dem Handy in der Umkleidekabine des Vereins aufgehalten haben, während seine Tennisschüler geduscht hätten. Dabei habe er die Jungen vermutlich gefilmt. Außerdem soll er mindestens einen Schüler aufgefordert haben, zu onanieren und Bilder und Videos von sich an ihn zu schicken. Zu Details der Taten will sich die Staatsanwaltschaft nicht äußern.
Die polizeilichen Führungszeugnisse, die der Trainer den Vereinen vorlegte, waren ohne Einträge. Das bestätigt Klaus Stöver, Vorsitzender des Vereins, bei dem der Trainer seit sieben Jahren tätig war. Beim Tennisclub Rot-Weiß Bremerhaven hatte der Trainer die Jugendabteilung seit seiner Verpflichtung geprägt und ausgebaut. Die Nachricht, dass die Staatsanwaltschaft gegen seinen Trainer ermittelt, hat ihn entsetzt: "Das war natürlich ein Schock, den ich bis heute nicht so richtig überwinden kann." In seiner jahrzehntelangen Vereinsarbeit sei so etwas noch nie vorgekommen. Wie es dazu kam und warum die mutmaßlichen Taten nicht früher aufgefallen seien, kann er sich nicht erklären.
Man habe dem mutmaßlichen Täter sofort Hausverbot erteilt und stehe nun im Austausch mit dem Landessportbund. Sich besser schützen in der Zukunft, das sei das Gebot der Stunde, sagt Klaus Stöver. Der Landessportbund hat die Auszeichnung für besonders gute Jugendarbeit inzwischen vom Verein zurückgefordert. In Zukunft würde man bei diesen Auszeichnungen Mindest-Standards zu Schutzkonzepten verlangen.
Immer wieder kommt das Charisma des Trainers zur Sprache, wenn wir mit Menschen aus der Bremerhavener Tenniswelt sprechen. Im Zusammenhang mit ihm und seiner Mannschaft wird immer wieder betont, dass das Gruppengefühl herausragend gewesen sei.
Viele hatten eine besondere Bindung zu ihrem Trainer
Viele der Jugendlichen hätten eine spezielle Bindung zu ihrem Trainer gehabt. Vielleicht ein Grund, warum über Jahre hinweg über das fragwürdige Verhalten des Tennistrainers der Mantel des Schweigens gehüllt wurde? Auf Nachfrage bei seinem Anwalt und ihm wollte der Angeschuldigte zu den Vorwürfen gegenüber buten un binnen, dem NDR und der Nordseezeitung nicht Stellung beziehen. Und auch mutmaßliche Opfer, Eltern und Menschen aus dem Tennisumfeld wollten sich zum Fall bisher nicht öffentlich äußern.
Das Landgericht Bremen prüft nun die Anklage. Ob und wann ein möglicher Prozess beginnt, entscheidet sich voraussichtlich in den kommenden Tagen.
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Rundschau am Mittag, 6. November 2023, 12 Uhr