Werden bulgarische Zuwanderer in Bremerhaven ausgebeutet?
Der massenhafte mutmaßliche Sozialbetrug in Bremerhaven scheint gestoppt: Die Vorgehensweisen sind bekannt, gegen Hintermänner laufen Verfahren, die Behörden verweigern bei Auffälligkeiten Leistungen. Doch viele Bulgaren sind immer noch in der Stadt. Nach Radio-Bremen-Recherchen arbeiten sie unter üblen Bedingungen bei dubiosen Unternehmen. Zu den wohl ahnungslosen Auftragnehmern gehören auch Behörden und renommierte Unternehmen.
Im Bremerhavener Stadtteil Lehe brennen immer wieder Häuser. Bisher hatten alle Glück: Trotz schlechter und wenig brandsicherer Bausubstanz kamen alle Bewohner mit dem Leben davon. Doch wer hinter die Kulissen der Brandruinen schaut, kann sich denken, dass hier prekäre Lebensverhältnisse herrschen. Strom, Gas und Wasser sind oft abgestellt, die Wohnungen deutlich überbelegt und in erbärmlichem Zustand. Wer hier lebt, ist unten angekommen.
Und das sind häufig Bulgaren. Lehe war schon zu den Hochzeiten des mutmaßlichen Sozialbetruges ab 2014 ein Schwerpunkt-Stadtteil dieser Zuwanderer. Die stille Hoffnung der Stadt, dass ein Großteil der Bulgaren nach dem Aufdecken des mutmaßlichen Sozialbetruges wieder in ihre Heimat geht, hat sich nicht erfüllt.
Nach dem Sozialskandal werden echte Jobs gebraucht
Doch die Bulgaren brauchen nun echte Arbeitsplätze. Außer Kindergeld erhalten sie keine Sozialleistungen mehr, wenn sie nicht auch eine echte Arbeit haben. So kommen sie nach Radio-Bremen-Informationen vor allem bei Firmen unter, die in einschlägigen Branchen arbeiten: Tank- oder Sandstrahlreinigung, Schiffsmontage, Korrosionsschutz. In Bremerhaven residieren Dutzende Unternehmen, die diese Dienstleistungen anbieten.
Und sie arbeiten offenbar für renommierte Auftraggeber. Zum Beispiel bei der Lloyd-Werft. Ein Mitarbeiter, der nicht genannt werden will, schildert den Einsatz der bulgarischen Leiharbeiter: "Wir haben gesehen, dass die Leute gar nichts hatten, gar keine Handschuhe, gar nichts." Die Arbeiter hätten von der Stammbelegschaft Masken und Schutzanzüge bekommen, "weil uns leid getan hat, wie da mit den Menschen umgegangen wurde."
Sie sind mit Jesus-Latschen auf die Werft gekommen, ob Sie’s glauben oder nicht. Aber sie hatten keine vernünftige Ausrüstung.
Ein Mitarbeiter der Lloyd-Werft über bulgarische Leiharbeiter
Auch Werft-Betriebsrat sah Unregelmäßigkeiten
Dass es auf der Lloyd-Werft Unregelmäßigkeiten bei der Beschäftigung von Fremdarbeitern gab, berichtet auch der ehemalige Betriebsrats-Chef Daniel Müller: "Wir haben mitbekommen, dass anscheinend zu wenig gezahlt wurde: Es gab keine Branchenzuschläge, wie es bei der IG Metall im Tarifbereich üblich ist, möglicherweise auch kein Entgelt im Krankheitsfall. Das wurde spärlich an uns herangetragen." Der Betriebsrat habe dann für Leiharbeiter zweier Firmen seine Zustimmung verweigert. "Und wir haben sie so auch von der Werft bekommen", erzählt Müller weiter. Die Geschäftsführung der Werft hat Radio Bremen keine Auskunft gegeben.
Die Arbeiter der Verleihfirmen wurden offenbar auch für andere renommierte Auftraggeber tätig, darunter senatorische Dienststellen in Bremen und Bremerhaven, eine niedersächsische Umlandgemeinde und namhafte Industriekonzerne. Dies legen Radio Bremen vorliegende Dokumente nahe. Sie zeigen auch, dass die Auftraggeber den Anbietern durchaus marktübliche Preise zahlten, von den Arbeitsbedingungen der Arbeiter des Sub-Unternehmens also nicht unbedingt wussten.
Anwalt vermutet systemisches Netzwerk
Umso mehr weiß Matthias Giese über die Problemfälle. Er ist Anwalt in Bremerhaven-Lehe und vertritt jenen kleinen Teil der Bulgaren, die sich juristische Hilfe geholt haben. Er kennt die Tricks der Ausbeutung: Abrufarbeit, Minijobverträge bei voller Arbeitszeit, keine Entgeltfortzahlung bei Krankheit, kein Urlaub. "Natürlich drängt es sich auf, dass das von vornherein so geplant wird", sagt Giese. Er glaubt, dass es eine systematischs Ausbeutung gibt und ein Netzwerk dahintersteckt.
Die Akteure haben gesehen, dass man hier gezielt die Arbeitsvorschriften unterlaufen kann und die Leute entweder gar nicht oder sehr, sehr schlecht bezahlt. Und dass man die Folgen dann eben teilweise auf die deutschen öffentlichen Kassen abwälzt.
Matthias Giese, Anwalt in Bremerhaven-Lehe
Wer steckt hinter den Dienstleistern?
Nach Radio-Bremen-Recherchen gibt es in Bremerhaven neben vielen seriösen Dienstleistungsunternehmen mehrere Firmen, die Zuwanderer systematisch ausbeuten. Mindestens zwei der Unternehmen waren auch in den mutmaßlichen Sozialbetrug verwickelt und arbeiteten mit dem Sozialverein "ABI" zusammen. Eine andere Firma ist in Bremerhaven und im bulgarischen Varna aktiv, um in Osteuropa gezielt neue Arbeitskräfte anzuwerben. Die meisten der als Subunternehmen tätigen Firmen treten am Markt nicht selbst werbend auf – die Kundengewinnung überlassen sie etablierten örtlichen Anbietern. Keines der Unternehmen war für eine Stellungnahme bereit.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 23. Mai 2017, 19:30 Uhr