Infografik
Kaum noch Platz in Bremens JVA: Warum Bremen so viele Gefangene macht
In Bremens Gefängnissen sitzen derzeit besonders viele Straftäter ein. Doch woran liegt das? Zahlen und Fakten rund um den Justizvollzug in Bremen und Bremerhaven.
Zumindest bis Mitte Oktober sperrt das Land Bremen niemanden mehr ein, weil er eine Geldstrafe nicht bezahlen kann. Der Grund: Bremens Justizvollzugsanstalt (JVA) ist so voll, dass dort kaum noch weitere Gefangene unterkommen. Für Kleinkriminelle, die keine ernsthafte Gefahr für die Gemeinschaft darstellen, fehlt es an Platz.
Dabei sind die Häftlingszahlen bundesweit seit Jahren rückläufig: von rund 54.500 im Jahr 2014 auf gut 44.000 im Jahr 2023. Der Haken aus Bremer Sicht: In den Stadtstaaten sieht es anders aus. Hier ist die Gefangenenrate zuletzt gestiegen. buten un binnen hat wesentliche Daten, Fakten und Hintergründe zur Auslastung der JVA Bremen zusammengestellt:
Welche Formen der Haft gibt es in der Justizvollzugsanstalt Bremen und woher kommen die Insassen?
In der JVA Bremen gibt es sowohl Plätze für die Untersuchungshaft (U-Haft) als auch für den Strafvollzug, also für bereits verurteilte Straftäter. Fast alle Häftlinge, die im Land Bremen hinter Gittern leben, sind auch in Bremen verurteilt worden.
Frauen und Männer sowie Jugendliche werden auf dem Gelände der JVA jeweils getrennt voneinander untergebracht. Jugendliche Straftäterinnen, von denen es meist keine oder nur sehr wenige in der JVA gibt, kommen zu den erwachsenen Frauen. Ebenfalls räumlich von den übrigen Häftlingen getrennt sind jene, die im offenen Vollzug leben, auch "Freigänger" genannt. Sie dürfen die JVA verlassen, um ihrer Arbeit nachzugehen.
101 der 717 Bremer Haftplätze entfallen auf die Vollzugsabteilung Bremerhaven der JVA Bremen. Wie Alexander Vollbach, stellvertretender Leiter der Abteilung für Justizvollzug im Bremer Justizressort mitteilt, verbüßen hier ausschließlich Männer ihre Haftstrafe – und zwar ausschließlich solche, die Freiheitsstrafen von weniger als 48 Monaten zu verbüßen haben.
Auslastung der JVA Bremen in den Jahren 2020 bis 2023
Wieso schwanken die Zahlen zur Belegungsfähigkeit der Justizvollzugsanstalt?
Die Belegungsfähigkeit hängt zum einen von der Zahl der Zugänge als auch von der der Haftentlassungen ab. Beide Faktoren lassen sich nur sehr eingeschränkt vorhersehen. So werden immer wieder Häftlinge vorzeitig entlassen. Zugleich schwankt die Zahl derer, die aufgrund richterlicher Anordnungen zur Untersuchungshaft in die JVA kommen. Einige dieser Häftlinge müssen zudem von möglichen Komplizen getrennt untergebracht werden. So kommt es, dass immer wieder Untersuchungshäftlinge aus Bremen in niedersächsische Gefängnisse gebracht werden – und umgekehrt.
Ohnehin ist Häftling nicht gleich Häftling. So dürfen Frauen nur zusammen mit anderen Frauen oder mit jugendlichen Straftäterinnen untergebracht werden. Auch gilt es, die jugendlichen männlichen Straftäter von den erwachsenen Männern zu trennen. Schließlich gibt es gesonderte Abteilungen für jene, die im offenen Vollzug ihre Strafe verbüßen.
Aus all diesen Gründen gilt die JVA Bremen nicht erst dann als ausgelastet, wenn alle 717 Haftplätze belegt sind, sondern bereits bei einer Belegung von rund 85 Prozent der Plätze (609). So steht es in einer Antwort des Bremer Senats auf eine Große Anfrage der FDP-Fraktion zu Beginn dieses Jahres.
Belegung der JVA durch Ersatzstrafen
Um Platz für Schwerkriminelle in der JVA zu schaffen, sperrt Bremen bis Oktober dieses Jahres niemanden dort ein, "nur" weil er eine Geldstrafe nicht bezahlen kann. Wie unsere Grafik zeigt, belegten Häftlinge mit derartigen Ersatzstrafen in den vergangenen Jahren zu "Spitzenzeiten" im September und Oktober 2021 sowie im Januar 2023 bis mehr als 80 der maximal 717 Haftplätze. Dazu sollte man wissen: Ein Häftling kostet das Land Bremen laut Justizressort täglich rund 180 Euro.
Tägliche Kosten pro Häftling in Bremen
Gründe für Haftstrafen im Land Bremen 2022
Die Gründe, aus denen die Gerichte im Land Bremen Haftstrafen verhängen, sind vielfältig. Häufig geht es um Drogendelikte, also um Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz. Unsere Grafik zeigt beispielhaft, für welche Straftaten Gerichte im Land Bremen 2022 Haftstrafen verhängt haben.
Bundesweit sinkt die Zahl der Gefangenen. Warum sind die Kapazitäten der JVA Bremen trotzdem erschöpft?
Als einen wesentlichen Grund hierfür nennt Alexander Vollbach aus dem Bremer Justizressort, dass die Gefangenenraten in Stadtstaaten vergleichsweise hoch seien. "Das hängt mit der lokalen Bevölkerungs- und Kriminalitätsstruktur, mit der Aufklärungsrate und mit der Sanktionspraxis zusammen“, erklärt er. Hier spiele auch der Anteil der strafmündigen jungen Männer eine Rolle. Junge Menschen seien öfter tatverdächtig als ältere. Zudem sei in Stadtstaaten vermehrt mit Rauschgift-Delikten und der dazugehörigen Beschaffungskriminalität zu rechnen.
Vollbach betont mit Blick auf die vielen Bremer Gefangenen aber auch: "Wir haben in Bremen keine lineare Belegungsentwicklung, sie war in der Vergangenheit eher unbeständig und sprunghaft." Der aktuelle Anstieg der Haftzahlen könne damit zu tun haben, dass sich viele in dringendem Tatverdacht stehende Personen im Untersuchungshaftvollzug befinden und von dort aus, gleich nach ihrer Verurteilung in die Strafhaft kommen. Zum Hintergrund erläutert Vollbach: Bei vielen Straftätern, zumal bei ausländischen Tätern ohne soziale Bindung in Bremen, bestehe Fluchtgefahr – ein Grund für Untersuchungshaft. Zur Zeit liegt der Ausländeranteil in der JVA Bremen bei 47 Prozent.
Wieso landen kaum Frauen im Gefängnis, und welche Straftaten lassen sie sich zu Schulden kommen?
"Frauen begehen insgesamt deutlich weniger schwere Straftaten als Männer", sagt Vollbach. Entsprechend würden sie auch seltener zu Haftstrafen verurteilt. So liege der Anteil der Insassinnen an allen Häftlingen bundesweit bei rund sechs Prozent.
Zahlen des Bundeskriminalamts zufolge gab es im Jahr 2019 nur wenige Straftaten, bei denen der Anteil der weiblichen Tatverdächtigen höher war als der der männlichen: verbotene Prostitution (92,4 Prozent), Vortäuschen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung (88,4 Prozent), Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht (67 Prozent), Entziehung Minderjähriger (55,2 Prozent) sowie Verleumdung auf sexueller Grundlage (54,7 Prozent).
Vollbach fügt hinzu, dass viele inhaftiere Frauen drogensüchtig seien, auch in Bremen. Sie seien oftmals infolge von Beschaffungskriminalität zu Haftstrafen verurteilt worden.
Welche Haftform gibt es in Bremen nicht?
Grundsätzlich halte der Justizvollzug in Bremen alle Haftformen vor, sagt Vollbach – mit einer Ausnahme: Sicherungsverwahrung. Straftäter für die ein Gericht in Bremen Sicherungsverwahrung angeordnet, würden in die niedersächsische JVA Roßdorf (bei Göttingen) verlegt, sagt Vollbach und erklärt: "In Sicherungsverwahrung kommen gefährliche Hangtäter, die ihre Freiheitsstrafe restlos verbüßt haben, die aber trotzdem nicht in die Freiheit entlassen werden sollen, weil sie bisher als nicht besserungsfähig und für die Allgemeinheit als gefährlich gelten." Das betreffe insbesondere Gewalt- und Sexualstraftäter, aber auch Täter mit anderen gemeingefährlichen Straftaten. Unter Hangtätern versteht man Straftäter, bei denen man befürchten muss, dass sie vergleichbare Straftaten immer wieder ausüber werden.
Die Verhältnismäßigkeit der Sicherungsverwahrung wird regelmäßig gerichtlich überprüft. Auch erfordert Sicherungsverwahrung besondere Haftbedingungen. So hätten die vorsorglich Untergebrachten (man bezeichnet sie nicht als Häftlinge) mehr Bewegungsspielraum als andere Gefangenen und auch bessere Einkaufsmöglichkeiten, erklärt Vollbach.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 6. September 2024, 19:30 Uhr