Interview
Straße nach Hitler-Attentäter benennen: Ist das selbstverständlich?
Die Bremer Langemarckstraße wird nach Hitler-Attentäter Elser benannt. Kaum einer stellt das in Frage. Das ist schwieriges ethisches Terrain, sagt Philosophin Borchers.
Georg-Elser-Allee: So soll die Langemarckstraße bald heißen. Das hat der Beirat Neustadt kürzlich einstimmig beschlossen, dem Vorschlag einer Bürgerinitiative folgend. Georg Elser hatte am 8. November 1939 ein Sprengstoffattentat auf Adolf Hitler verübt, das scheiterte.
In der Bremer Vahr gibt es bereits einen Georg-Elser-Weg. Auch haben diverse andere deutsche Städte, darunter Delmenhorst, Oldenburg, Hamburg, Köln und Leipzig bereits Straßen, Brücken, Plätze, Alleen und Wege nach Elser benannt. Der Hitler-Attentäter ist als Namensgeber für öffentliche Plätze in Deutschland etabliert. Aber einige Bremerinnen und Bremer haben in den Social-Media-Kanälen von buten un binnen Bedenken geäußert. Sie fragen sich: Sollte man eine Straße nach einem Attentäter benennen, selbst wenn der Anschlag Adolf Hitler galt? Wir haben diese Frage mit der Philosophin Dagmar Borchers von der Universität Bremen erörtert. Borchers hat sich unter anderem auf angewandte Ethik spezialisiert.
Frau Borchers, wir werden in Bremen bald eine Georg-Elser-Allee haben. Wie finden Sie das?
Ich finde das nachvollziehbar. Eine interessante Initiative.
Ich denke: Im Fall von Georg Elser ist es gesellschaftlich konsensfähig, zu sagen: Das war ein sehr mutiger, tapferer und aufrechter Mann. Es ist daher gerechtfertigt, nach ihm Straßen zu benennen.
Dagmar Borchers, Philosophie-Professorin Uni Bremen
Meist werden Straßen und Plätze nach Persönlichkeiten benannt, mit denen die Menschen etwas Positives verbinden. Was sagen Sie vor diesem Hintergrund dazu, dass einige unserer Userinnen und User Bedenken gegen die Umbenennung einer Straße nach einem Attentäter haben?
Ich kann das gut verstehen. Es ist wichtig, darüber nachzudenken und zu diskutieren. Dahinter steckt die Frage nach der ethischen Beurteilung des sogenannte Tyrannenmords. Die Kategorie des Tyrannenmordes ist klar definiert. Dabei geht es um einen Machthaber, der seine Macht gegen sein eigenes Volk wendet und dabei Millionen von Menschen unterdrückt oder sogar tötet. Die Frage, inwiefern es legitim ist, einen solchen Menschen umzubringen, wird seit der Antike diskutiert. Man kann sie sehr unterschiedlich betrachten, je nach politischer Einstellung, aber auch nach philosophischer. Betrachtet man die Richtigkeit einer moralischen Handlung in Anbetracht ihrer Konsequenzen? Oder gibt es Handlungen, die an sich gut oder schlecht sind?
Ich denke: Im Fall von Georg Elser ist es gesellschaftlich konsensfähig, zu sagen: Das war ein sehr mutiger, tapferer und aufrechter Mann. Es ist daher gerechtfertigt, nach ihm Straßen zu benennen.
Tyrannenmorde hin oder her. In unserer Gesellschaft lebten und leben bedeutende Persönlichkeiten, die über jeden Zweifel erhaben sind, und an die zu erinnern sich allemal lohnen würde: Künstlerinnen und Künstler ebenso wie Wissenschaftler oder Politiker. Wäre es vor diesem Hintergrund nicht besser, von Attentätern als Namensgeber für Straßen abzusehen, auch dann, wenn sie besonders mutig gewesen sind?
Das kann man so sehen, da gebe ich Ihnen recht. In jedem Fall begibt man sich mit der Benennung einer Straße nach einem Attentäter auf ein schwieriges ethisches Terrain. Man muss auf der anderen Seite aber im Falle Hitlers anerkennen, dass wir es als deutsche Gesellschaft hier mit einer besonderen Ausnahme zu tun haben. Tyrannen bringen großes Unheil und Unglück über die Welt. Adolf Hitler war unser großer Tyrann, vielleicht der allergrößte aller Tyrannen.
Wir stehen daher in einer besonderen Verantwortung, dazu eine Haltung einzunehmen. Das scheint mir auch das Hauptmotiv dahinter gewesen zu sein, dass die Georg-Elser-Initiative die Umbenennung der Langemarckstraße in Georg-Elser-Allee vorgeschlagen hat: Wir können damit auf ein historisches Versagen unserer Gesellschaft aufmerksam machen. Daher kann ich die Entscheidung nachvollziehen. Aber, wie gesagt: Es bleibt problematisch.
Wer beurteilt nach welchen Kriterien, welcher Anschlag gerechtfertigt gewesen ist, welcher nicht? Was etwa ist mit Anschlägen auf Stalin? Was wäre, wenn jemand einen Anschlag auf einen heutigen Tyrannen verübte? Müsste man dann auch nach ihm eine Straße benennen?
Genau das ist der springende Punkt, die große Frage. Aber gerade weil diese Frage so schwierig ist und ihre Beantwortung alle in unserer Gesellschaft betrifft, muss so dringend darüber diskutiert werden. Das ist nichts, was sich lösen lässt, indem irgendwer ein Machtwort spricht. Es wird in unserer Gesellschaft oft gern davon ausgegangen, dass es bei der Beantwortung derartiger Fragen einen großen Konsens gibt. Genau das ist aber nicht der Fall.
Aber hinter ihrer Frage steckt noch ein anderer Aspekt: Wie beurteilen wir generell solche Gewalttaten? Es kann tatsächlich gut sein, dass – in anderen Fällen – diese Beurteilung vom Zeitgeist, von politischen Richtungen abhängt. Daher finde ich, dass die Benennung von Straßen nichts Singuläres sein sollte. Es sollte ein Prozess sein, den wir gesellschaftlich immer wieder neu diskutieren müssen. Da schwingt die Frage mit: Wer sind wir als Gesellschaft? Wie sehen wir uns selbst? Betrachten wir die Vergangenheit? Aus meiner Sicht wäre das in einem öffentlichen Diskurs zu klären. Dazu hätten wir nun durch die Georg-Elser-Allee einen schönen Anlass.
Es gibt ja beispielsweise auch viel Kritik an der Idee, alles, was uns heute problematisch erscheint, aus der Öffentlichkeit einfach verschwinden zu lassen. Das betrifft nicht nur Straßennamen, sondern beispielsweise auch Denkmäler und den Umgang damit. Darüber müssen wir uns als Gesellschaft verständigen.
Dagmar Borchers, Philosophie-Professorin Uni Bremen
Derzeit sind es in Bremen die Beiräte, die dem Amt für Straßen und Verkehr (ASV) Straßennamen, auch bei Umbenennungen vorschlagen müssen. Vom ASV kommen diese Vorschläge dann, sofern keine Einwände bestehen, in die Deputation für Mobilität, Bau und Stadtentwicklung und nach einem Deputationsbeschluss als Beschlussvorlage in den Senat, der dann darüber abstimmt. Was würden Sie an dieser Vorgehensweise gern ändern?
Es stimmt schon: Das Bremer Vorgehen ist formal völlig in Ordnung. Die Beiräte sind demokratisch legitimiert. Trotzdem müssen wir ein bisschen aufpassen, dass nicht der Eindruck entsteht: Hier setzen sich kleine Gruppen durch, ohne dass über die Kriterien ernsthaft öffentlich diskutiert wird.
Ein schönes Beispiel dafür, wie man es machen könnte, ist mir in Freiburg aufgefallen. Dort hat man eine Kommission gebildet aus vielen verschiedenen Personen. Diese Personen haben sich zusammengesetzt, haben sich alle Straßennahmen angeguckt und haben die Straßen kategorisiert. Dann haben sie Kriterien entwickelt: Kriterien dafür, wonach man Straßen künftig benennen oder Straßen umbenennen will. Darüber gab es eine öffentliche Diskussion.
Und das ist auch gut so. Denn es gibt ja beispielsweise auch viel Kritik an der Idee, alles, was uns heute problematisch erscheint, aus der Öffentlichkeit einfach verschwinden zu lassen. Das betrifft nicht nur Straßennamen, sondern beispielsweise auch Denkmäler und den Umgang damit. Darüber müssen wir uns als Gesellschaft verständigen. Denn das Grundproblem ist: Je nach Perspektive scheinen die Dinge immer klar zu sein. Aber in einer pluralistischen Gesellschaft gibt es eben nicht nur eine Perspektive, und die Dinge sind daher auch nicht für alle gleichermaßen klar.
Die Langemarckstraße hatten die Nazis so benannt, weil sie eine Schlacht der Deutschen aus dem ersten Weltkrieg im belgischen Langemark mystifizieren und für Propagandazwecke missbrauchen wollten. Heute will sich Bremen von dem damaligen Vorgehen distanzieren. Kann man aus diesem Beispiel folgern, dass es vollkommen normal ist, wenn Städte und Gemeinden Straßennamen regelmäßig überprüfen und eventuell erneuern?
Ja, so sollte es sein. Ich halte das für ein gutes Zeichen einer reflektierten Gesellschaft, die sich eben immer wieder fragt: Wie sehen wir unsere Vergangenheit? Wer wollen wir sein? Das zeigt, dass wir eine lebendige Gesellschaft sind, eine offene Gesellschaft. Aber natürlich ist das ein bisschen mühsam. Wie immer, wenn es um ethische Konflikte geht.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 21. Dezember 2022, 19.30 Uhr