Als ausgerechnet der rote Henning mit der CDU ins Rathaus zog

Nach dem schlechten Wahlergebnis 1995 suchte die SPD in Bremen einen Koalitionspartner. Hätten 20 Mitglieder anders gestimmt, wäre es schon damals Rot-Grün geworden.

Der rote Henning, wie man Henning Scherf gern nannte, war nicht nur wegen seiner Körpergröße von mehr als zwei Metern Jahrzehnte lang einer der größten Linksausleger der SPD. Er war auch erklärter Pazifist, der auch schon mal als Kaffeepflücker nach Nicaragua ging, um seine Solidarität mit der sozialistischen Revolution dort zu zeigen. Henning Scherf war das rote Tuch, das Feindbild der Konservativen, und damit machte er politische Karriere: In den 70er Jahren als Landesvorsitzender der SPD Bremen, dann im Bundesvorstand der Sozialdemokraten und als Senator für Finanzen, für Soziales, kommissarisch für Gesundheit, für Bildung und für Justiz. Und 1995 war Henning Scherf dann am Ziel: Bürgermeister und Senatspräsident des Landes Bremen, in einer Koalition – aber nicht mit den Grünen, sondern mit der CDU.

Er ist zur Zeit der Einzige in der SPD, der die Autorität hat, diese Koalition zusammenzuhalten und den Kurs, den diese Koalition ausmacht, – sanieren und investieren – zu garantieren!

Bernd Neumann, CDU-Landesvorsitzender

So begründete also das konservative Lager, dass seine Partei ausgerechnet mit dem roten Henning an der Spitze ins Rathaus zog. Die Christdemokraten wollten nach Jahrzehnten ununterbrochener Zeit in der Opposition auch endlich mal mit reagieren. Zur Not eben mit Scherf, der die CDU eigentlich gar nicht dabei haben wollte

Ich war immer gegen die Große Koalition. Ich wollte immer aus der SPD austreten, wenn mal andere eine Große Koalition machen.

Henning Scherf  im Jahre 1995.
Henning Scherf, SPD

Aber dann sei seine Partei in "dieser großen Verlegenheit" gewesen: Sie hatten die Wahl verloren und ließen die Mitglieder abstimmen, wie es weitergehen sollte. Heraus kam, dass Henning Scherf der neue Spitzenmann werden sollte und nicht in einer rot-grünen Koalition regieren sollte, was er eigentlich immer wollte, sondern in einer Großen Koalition. Da habe er sich gedacht, dass er das dann auch so machen müsse.

Bild: Radio Bremen

Auweia, ob das gut gehen konnte? Eine Vernunftehe ohne jede Zuneigung und sogar mit Abneigung für einander. CDU-Spitzenkandidat Ulrich Nölle, der stellvertretender Bürgermeister und Finanzsenator im Kabinett Scherf wurde, ging es pragmatisch an und war sich ganz sicher, dass "diese vier Jahre für Bremen und seine Bürger sehr erfolgreiche Jahre werden."

Ich glaube in einer Großen Koalition stehen Wunschkandidaten hinten an, da muss man sehen, dass man eine gemeinsame, erfolgreiche Politik betreibt.

Ulrich Nölle, CDU

Na, für den, der das sprach, für Ulrich Nölle, wurde es ein Reinfall. Schon nach gut zwei Jahren schied er aus dem Senat aus. Der ehemalige Finanzsenator verspekulierte sein gesamtes Privatvermögen und stürzte völlig ab. An seine Stelle rückte der Christdemokrat Hartmut Perschau und die Große Koalition hielt und hielt und hielt. Vor allem auch, weil der rote Henning nachdunkelte in Richtung Schwarz und als großer Umarmer und Ausgleicher zwischen SPD und CDU die Regierung führte. Oft mit so schönen mutmachenden und zugleich inhaltsleeren Sprüchen wie diesem:

Ich finde wir müssen vorleben, dass wir zukunftsoptimistisch sind. Wir müssen vorleben, dass wir uns Lösungen zutrauen.

Henning Scherf  im Jahre 1995.
Henning Scherf, SPD

So führte Scherf die Große Koalition bis zu seinem Rücktritt 2005 zehn Jahre lang. Wirkliche Lösungen für die enormen Finanzprobleme des Landes fanden er und die mitregierende CDU nicht. Mehrere Großprojekte wie der Freizeitpark "Space Park" floppten oder brachten, wie die Privat-Uni in Bremen-Nord, nicht die gewünschten Wirtschaftseffekte. Aber sie kosteten Hunderte Millionen Euro, die den Schuldenberg der Hansestadt noch mehr anwachsen ließen. Zudem rutschen Bildung und Schulen im Land auf totales Looser-Niveau ab, die Polizei wurde kaputt gespart.

Aber Henning Scherf sorgte mit seinem unbändigen Optimismus und seiner überragender Beliebtheit als Landesvater dafür, dass ihm das irgendwie keiner übel nahm. "Auch ein Pleitegeier kann hoch fliegen" betitelte der Berliner Tagesspiegel 2004 einen Artikel über Bremen. Und der Flug des Pleitegeiers startete mit der ersten Vereidigung von Henning Scherf als Regierungschef, heute vor 25 Jahren.

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Autor

  • Andreas Neumann
    Andreas Neumann Redakteur

Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Samstagmorgen, 4. Juli 2020, 8:45 Uhr

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