Zwei Bremer auf Spurensuche: "Mein Opa war Kriegsverbrecher"

Großvater und Kriegsverbrecher: Wer war Johann Mechels?

Bild: Radio Bremen

Die Enkel von Johann Mechels finden heraus, dass ihr Opa im Zweiten Weltkrieg Menschen nicht gerettet hat, sondern ermorden ließ. Der Anfang einer Spurensuche.

Bremer Polizeibataillone haben im Zweiten Weltkrieg gemordet. Sie haben Juden in die Vernichtungslager transportiert und Menschen hinrichten lassen. Einer der Kriegsverbrecher war Johann Mechels aus Bremen.

Über seine Taten wurde nach dem Krieg geschwiegen, doch 80 Jahre danach finden seine Enkelkinder immer mehr Details zu den grausamen Morden heraus.

Eine Spurensuche beginnt

Ein Bild von einem Soldaten in einem Buch
Johann Mechels ließ 16 Menschen gefangenen nehmen und ohne Prozess hinrichten. Bild: Radio Bremen

Es ist der 5. Mai. Die Menschen in den Niederlanden feiern den Tag der Befreiung von den deutschen Besatzern. An vielen Häusern hängt die Flagge der Niederlande – es ist ein gesetzlicher Feiertag. Ein roter Bus aus Bremen fährt durch die Straßen der Provinz Groningen. In dem Bus sitzen Anne Mechels und ihr Bruder Malte.

Sie sind auf den Spuren ihres Großvaters unterwegs. Spuren, von denen sie nichts wussten, weil in der Familie nicht darüber gesprochen wurde. Und Spuren, bei denen die Enkelkinder erkennen müssen: Der in ihrer Erinnerung liebevolle und in sich gekehrte Opa ist ein Kriegsverbrecher.

Enkel leben lange mit gefälschter Familiengeschichte

Den Enkeln wurde erzählt, der Großvater habe im Krieg Menschen gerettet. Doch die Geschichte stimmt nicht. Johann Mechels ließ im Krieg als Major der in den Niederlanden stationierten Schutzpolizei unschuldige Menschen hinrichten.

Anne und Malte Mechels versuchen, die Angehörigen der Opfer zu erreichen. "Als wir davon gehört haben, wollten wir den Kontakt aufnehmen", sagt Anne Mechels. "Wir wollten sehen, was sind das für Menschen, die mit der Geschichte zu tun haben, die in ihren Familien damit leben müssen, dass unser Großvater das getan hat und dann auch der Wahrheit ins Auge zu sehen. Auch für uns, um das zu verstehen."

Wir sind mit einer anderen Geschichte aufgewachsen und haben jetzt viele Details erfahren – was wirklich passiert ist, was unser Opa damals getan hat, für was er Verantwortung getragen hat.

Mann mit kurzen Haaren und blauen Pullover
Malte Mechels

Spurensuche führt die Geschwister in die Niederlande

Ihre Fahrt führt Anne und Malte Mechels nach Appelbergen südlich von Groningen: Dort, mitten in einem Naturschutzgebiet an einem See im Wald, steht ein Gedenkstein in Erinnerung an die 16 Menschen, die Johann Mechels ermorden und hier verscharren ließ.

Die von Johann Mechels angeordnete Hinrichtung war die größte in den Niederlanden. Es stehen weit mehr Namen auf dem Stein, in Gedenken an weitere Morde durch Polizei und deutsche Wehrmacht.

Aufeinandertreffen mit den Angehörigen der Opfer

Ein Gedenkstein erinnert an ein Kriegsverbrechen
Der Gedenkstein im Wald erinnert nicht nur an die 16 dort erschossenen Personen. Bild: Radio Bremen

Am Gedenkstein treffen Anne und Malte Mechels auf Angehörige der Opfer. Zusammengebracht hat sie ein niederländischer Fernsehsender aus Hilversum, der eine Dokumentation zu den Maistreiks 1943 in den Niederlanden ausgestrahlt hat. Diese Streiks setzen die deutschen Besatzer und auch Johann Mechels damals stark unter Druck und infolge dessen ließ Mechels die 16 Menschen hinrichten.

Einer von ihnen ist der Großvater von Euwe de Jong. Opfer von Mechels sind auch der Onkel und der Vater von Truus de Witte. Sie und Euwe de Jong haben sich mit den Enkelkindern von Mechels ausgesöhnt. Mittlerweile ist eine Freundschaft daraus geworden. Gemeinsam gedenken sie der Opfer. Anne und Malte Mechels legen Blumen nieder. Für sie wird die Geschichte um ihren Opa jetzt klarer und klarer.

Eine Reise in die Vergangenheit

Frühjahr 1943:
Fabrik-Arbeiter der Niederlande sollen zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert werden. Über die Telefonistinnen der Fabriken verbreitet sich die Nachricht – die Arbeit ruht. Und die deutschen Besatzer haben Sorge, dass die Streiks sich ausbreiten, über Belgien bis nach Frankreich.

Der Widerstand nimmt immer weiter zu und deshalb legt Johann Mechels es als Sabotage aus, als auf einer Dienstfahrt ein Baumstamm auf der Straße liegt. Ein Jugendstreich, doch willkürlich lässt Mechels 16 Menschen gefangen nehmen und ohne Prozess oder richterliches Urteil hinrichten.

Major der Schutzpolizei, Johann Mechels um das Jahr 1943
Johann Mechels galt in seiner Familie als liebevoller, in sich gekehrter Mann und Großvater. Bild: Radio Bremen

3. Mai 1943:
Die Leichen werden auf einen Lieferwagen geworfen und ins Waldgebiet nach Appelbergen gebracht. Das belegen Zeugenaussagen nach dem Krieg. Es stellt sich später heraus: Zwei 13-jährige Jungen haben den Baumstamm auf die Straße gerollt. Einer wird erschossen, der Zweite entkommt durch Zufall.
Es ist Foppe de Jong, der Vater von Euwe de Jong. Er war Auslöser der Exekution und spricht nicht darüber, auch nicht nach dem Krieg.

Zurück am Gedenkstein in den Niederlanden

Euwe de Jong erzählt am Gedenkstein, dass die Familie nichts davon wusste und sein Vater zum Ende seines Lebens oft vom Krieg geträumt habe. Im Interview für die Dokumentation des niederländischen Fernsehens erzählt Foppe de Jong erstmals, was am 3. Mai 1943 in Trimunt in der Provinz Groningen geschah.

Das hat er erzählt, drei Monate bevor er starb. Und die Frage war: 'Fühlst du dich schuldig?' Und es war das erste Mal, dass die Frage gestellt wurde und er sagte: 'Ja'.

Ein Mann mit Brille im Regen
Euwe de Jong

Anne und Malte Mechels haben Foppe de Jong noch kennengelernt. Bei ihrem ersten Besuch in der Provinz Groningen 2022 treffen sie ihn in Marum. Dort an der reformierten Kirche ist das Grab der 16 Menschen, die Johann Mechels am 3. Mai 1943 erschießen lässt. Auch Euwe de Jongs Opa liegt dort jetzt.

Die Geschichte der Familie de Witte

Anne und Malte Michels liegen sich mit Truus de Witte in den Armen
Anne Michels weiß, dass ihr Großvater in weiteren Gebieten mit deutscher Besatzung stationiert war. Sie vermutet, er habe weitere Menschen auf dem Gewissen. Bild: Radio Bremen

Truus de Witte hat geforscht und ein Buch über die Toten von Appelbergen geschrieben. Ihr Vater und ihr Onkel haben als junge Männer Milchkannen während des Maistreiks umgekippt, ihr Onkel wird deshalb standrechtlich erschossen. Ihr Vater entkommt – doch er wird die Geschehnisse nie los und stirbt früh an einer Krebserkrankung.

Truus beginnt danach als junge Frau die Aktenlage zu sichten und recherchiert.
Auch sie wird für die Dokumentation des niederländischen Fernsehens befragt, zusammen mit ihrer 95-jährigen Mutter.

Unter anderem über die Initiative des Bremer Vereins Spurensuche lernt sie Anne und Malte Mechels kennen. Sie sieht ihre Aufgabe darin, das damals Geschehene nicht vergessen zu lassen – wie auch die Enkelkinder des Täters. Und sie erinnert sich an den Tag, als sie die Enkelkinder von Johann Mechels zum ersten Mal trifft.

Als ich den Namen Mechels das erste Mal hörte... es war wie eine Spritze. Mechels – was wollen sie hier? Aber nach dem Schreck habe ich mir gesagt: sie (Anne und Malte) sind unschuldig. Ich habe eine Stunde im Auto gesessen und einen inneren Dialog geführt und dann sehe ich Anne und unsere Liebe in den Augen und dann sagte ich zu Anne: 'Komm, wir sind die lebende Hoffnung von unseren Eltern und Großeltern. Wir sind die Brücke'.

Eine Frau mit grauen Haaren und pinkem Schal
Truus de Witte

Gemeinsam nehmen sie sich am Gedenkstein in die Arme, es regnet. Jedes Jahr gedenken an den Tafeln aus Stein viele Menschen aus den Niederlanden der Opfer, die durch den Befehl von Johann Mechels sterben mussten – vor 80 Jahren.

Ein neues Ziel: Niemals vergessen!

Anne und Malte Mechels fahren zurück nach Bremen. Wieder mal haben sie noch mehr Details über die Gräueltaten ihres Opas erfahren. Aber sie fahren auch mit der Gewissheit zurück, Freunde gefunden zu haben, die mit ihnen ein gemeinsames Ziel verfolgen.

Die Verbrechen der deutschen Polizei und Wehrmacht im zweiten Weltkrieg dürfen nicht vergessen werden. Und Anne Mechels will weiter forschen und nach Slowenien, Frankreich und Warschau fahren, wo ihr Opa ebenfalls stationiert gewesen ist. Und wo er – wie sie jetzt vermutet – sicherlich weitere blutige Spuren hinterlassen hat.

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Autor

  • Holger Baars
    Holger Baars Autor

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 20. Juli 2023, 19:30 Uhr