Gestorben auf der Straße: Das waren Adam, Markus und Johnny
Am Tag der Obdachlosen stellt buten un binnen drei Wohnungslose aus Bremen vor. So wie andere sie erinnern. Denn sie starben fast fern jeder Aufmerksamkeit auf der Straße.
Mehrere Dutzende Menschen ohne feste Bleibe sind seit 2020 in Bremen verstorben. Eine "mittlere, zweistellige Zahl von Personen ohne festen Wohnsitz" sind es nach Angaben des Bremer Innenressorts. An Krankheiten, teilweise an Alkohol- oder Drogenmissbrauch. Teilweise an anderen Ursachen. Manchmal sterben sie in Krankenhäusern, manchmal dort, wo sie ihren provisorischen Ruheplatz haben.
Es sind anonyme Zahlen. Menschen, die oft geräuschlos verschwinden. Denen nicht immer ein Zeitungsartikel gewidmet wird. Diese sind einige ihrer Geschichten.
Adam*
Ein "Spannmann" war Adam, sagt von ihm ein Freund. Jemand, der es mochte, anderen zu helfen. Jemand, mit dem man sich "alles teilt". Der auf einen aufpasst, auf den man selbst aufpasst. Ein Schutzengel könnte man sagen, wenn es auf der Straße so etwas gibt.
Als Adam eines Abends auf einen "Neuen" am Bahnhof trifft, der noch ganz unerfahren und fremd ausgesehen haben muss, nimmt er ihn mit. "Du bist nicht alleine. Du brauchst keine Angst haben", sagt er. Er schlägt seinen Schlafsack aus, kramt ein Kissen heraus. Und überlässt es dem Neuling, damit er seine erste Nacht auf der Straße so gut wie möglich übersteht.
Als ich auf der Straße gelandet bin, hat er mich aufgefangen. Ich werde es nie vergessen.
Ein Freund
Ein feiner, sanfter Mensch. Nein, einer der feinsten Menschen, die er je kennengelernt habe, sagt sein Kumpel. Um die 15 Jahre lang soll Adam auf der Straße gelebt haben, hin und wieder, doch die Angaben der Personen, die ihn kannten, gehen dabei auseinander.
Unter dem Fahrradständer hinter dem Lloyd-Bahnhof soll er häufig gesessen haben, manchmal am Elefanten. Zusammen mit seiner Clique. Ein Ur-Bremer, sehr groß und schlank, mit Vollbart. Sein Leben in Etappen: Ausbildung, Arbeit in einem technischen Beruf, etwas Handwerkliches. Von Adam, von seinem Leben davor, weiß man sonst nicht viel. Vom Leben, das sich für die meisten wie Normalität anfühlt, mit einem Job, einer Wohnung, einer Freundin, vielleicht einem Feierabend mit Freunden. Vor dem Leben auf der Straße, ohne ein festes Heim. Ein freies Leben, und doch auch ein Erbarmungsloses.
Adam konnte anderen helfen, nur nicht sich selbst. Vielleicht hat er anderen dieselbe Hilfe angeboten, die er selbst so stark gebraucht hätte, und doch nicht bekam. Oder nicht in dem Maß, das nötig gewesen wäre. Aber so genau können wir es nicht wissen. Nicht mehr, denn Adam ist vor wenigen Jahren gestorben.
Manch einer hat sich gewundert, wieso ihm die Schuhe nie passten. Immer wieder bekam er neue, immer wieder gingen sie kaputt. Größe 46 trug er, nicht leicht zu finden. Doch daran lag es nicht. Ein Problem an den Beinen hatte Adam, und zwar so fortgeschritten, dass seine Füße zu angeschwollen waren, um sie in die Schuhe zu drücken. Als die Schmerzen unerträglich werden, bricht er zusammen, wird ins Krankenhaus eingeliefert. Doch es ist zu spät. Sein Körper gibt auf, ehe die Ärzte das Übel herausschneiden können.
Mehr als zehn Jahre auf der Straße, die können einen doll zerfurchen. Doch den Schmerzen zum Trotz, war Adam kein trauriger Mensch. Ganz im Gegenteil. Von ihm sagen Bekannte: Egal wo er hinging, den Raum habe er eingenommen mit seiner freundlichen, witzigen Art. Noch ein wenig glücklich sein, bevor man geht.
Johnny*
Johnny hatte einen Hund. Unzertrennlich waren die beiden, vertrieben sich die Tage nicht selten hinterm Bahnhof, wo sie oft saßen. Johnny trug seinen Spitznamen auf der Mütze, den Namen eines Hamburger Viertels.
Von ihm erzählt man, er sei loyal gewesen. Ehrlich. Verlässlich. Einer, dem man seine Wohnung überlassen hätte. Ein interessanter, stiller Typ. Der letzte, der nein gesagt hätte. Auf jeden Fall einer von den guten. So erzählt es ein Obdachloser, der ihn gekannt hat.
Fast die Hälfte seines Lebens muss er auf der Straße verbracht haben. Er kam und ging. "Ein Ruheloser" sei er gewesen, immer unterwegs, erinnert sich Sozialarbeiter Harald Schröder mit einem Lächeln. Immer mit seinem Gepäck zur Hand, kurz aufgetaucht und wieder weiter. Eine hohe Stimme habe er gehabt.
Und wenn er nicht an seiner Stelle saß oder in Findorff unterwegs war, hat er die Straßenzeitung verkauft. Ein guter Verkäufer war Johnny, so erzählt es ein ehemaliger Kollege. Für seinen Hund habe er alles getan. Das wenige Geld gespart, um Futter zu kaufen, wenn es nötig war. Leiden ausgehalten, damit er nicht leidet. Doch irgendwann musste er seinen geliebten Hund gehen lassen. Einschläfern. Danach habe er sich noch einen Hund angeschafft.
Über sein früheres Leben weiß man einiges aus einem Interview, das er mal der Zeitschrift der Straße gab. Über die schwierige Kindheit mit einem gewalttätigen Vater, das Trauma, als sein Kind starb und seine Beziehung zerbrach, das Aufgeben seines Restaurants, die problematische Beziehung zu Drogen, die er dank seines letzten Hundes doch überwinden konnte. Wenn nicht für sich selbst, dann doch für ihn. Hoffnungsvoll, lächelnd schaut er auf dem Bild, ein dünner Mann mit knochigem Gesicht und sanftem Lächeln.
Ende 40 war Johnny, als er starb. Und wir wissen nicht, ob es ein kühler Tag war oder ein warmer, ob es geregnet hat oder der Himmel heiter war. Weil die Menschen, mit denen wir gesprochen haben, sich nicht an den genauen Tag des Todes erinnern.
Markus*
Menschen ohne feste Bleibe werden selten Artikel gewidmet. Eine Ausnahme war Markus*. Ihm sind schon zu Lebzeiten Reportagen gewidmet worden. Von ihm sagen sowohl befreundete als auch weniger befreundete Menschen, er sei eine Institution in der Szene gewesen.
Einer, der sich eingebracht hat. Einer, der sich nie damit abgefunden hat, wenn es ihm etwas nicht passte oder sich nicht richtig anfühlte. Der sich politisch eingemischt hat. Der vieles bewegen konnte und auch bewegt hat. "Ein strammer Linker", sagt Sozialarbeiter Harald Schröder. Auch ihm sind mehrere Initiativen für Obdachlose zu verdanken. Einige Kälte-Übernachtungsmöglichkeiten oder Trinkwasserbrunnen zum Beispiel.
Mit seinem langen, weißen Bart – wie der Weihnachtsmann – saß er oft in der Nähe der Hillmann-Platzes und las. "Viele historische Romane", sagt Schröder. "Je dicker, desto besser". Und Bukowski vor allem, den amerikanischen Dichter mochte er besonders. Doch selbst wer ihn kannte, weiß nicht viel von seinem früheren Leben. Darüber kursieren mehrere Geschichten, von denen man nicht so genau weiß, welche stimmt. Bekannte sagen, er sei technisch versiert gewesen, habe wahrscheinlich ein Ingenieurstudium hinter sich gehabt. Wie er auf die Straße kam, das hat er nie öffentlich verraten. Und wer es weiß, respektiert seinen Wunsch nach Schweigen.
Nicht jeder mochte ihn. Ein Mann, den die Straße erhärtet hatte, sagt einer. Ein Mann, der klar in seinen Aussagen und Abgrenzungen war, sagt ein anderer. Der wusste, mit wem er zu tun haben wollte und mit wem nicht. Einer, der gern zusammen mit anderen war, aber auch Rückzug brauchte. Aber selbst wer sich mit ihm nicht verstanden hat, bestätigt: Wer einen Rat suchte, den fand ihn bei ihm. "Er hat sehr viel gewusst", so ein Bekannter. Auch einer, der immer wieder versucht hat, zurückzugehen zum "Ufer der Normalität", was auch immer das ist. Sein Leben ist das Leben eines Menschen, der sich nie geschlagen gegeben hat. Ein Selbstbestimmter. Ein Kämpfer. Einer, der nicht aufgegeben hat. Bis er doch aufgab.
In einer geheizten, gut isolierten Hütte wohnte er zuletzt, an einem ruhigen Platz. Eines Abends, da war er schon an Krebs erkrankt, verschloss er die Tür hinter sich und machte sich offenbar bereit, dieser Welt Lebewohl zu sagen. Menschen, die ihn kannten, erzählen, er wusste wahrscheinlich, dass er an dem Abend gehen würde. Alleine, wie er in diese Welt gekommen war. Eine Welt, die nicht unbedingt leicht zu ihm gewesen war.
*Namen von der Redaktion geändert.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Morgen, 11. September 2023, 7:40 Uhr