Wo viele Familienclans ihren Ursprung haben

Kriminelle Clanmitglieder in Bremen – meistens wird als Herkunftsort der Libanon genannt. Viele Großfamilien stammen aber ursprünglich aus dem Südosten der Türkei.

Bild von der Stadt Mardin in der Türkei
Aus der Gegend rund um die türkische Stadt Mardin stammen viele Familienclans. Bild: dpa | Halil Ibrahim Sincar

Immer wieder geraten kriminelle Mitglieder von Großfamilien in den Fokus deutscher Ermittlungsbehörden. Nicht nur in Bremen, auch in Essen und Berlin. Ihre Familiennamen sind bekannt und oftmals haben sie eine Sache gemeinsam: ihre Herkunft. Anders als häufig berichtet, stammen die Clans ursprünglich nicht aus dem Libanon, sondern aus dem Südosten der Türkei.

Furcht vor der eigenen Familie

Ein Auslandskorrespondent des ARD-Studios Istanbul hat sich im Auftrag von Bremen Zwei in der Türkei auf Spurensuche begeben. In der Metropole am Bosporus hat er sich mit Mustafa (Name von der Redaktion geändert) getroffen. Eigentlich heißt Mustafa anders. Sein richtiger Name soll geheim bleiben. Er hat Angst vor seiner Familie und befürchtet, dass ihm etwas passieren könnte, wenn sie erfahren, dass er mit der Presse geredet hat. Loyalität innerhalb der Familie sei sehr wichtig, sagt er.

Mustafa gehört einem großen Clan an. Er hat auch eine Zeit lang in Deutschland gelebt. In der Folge eines Gefängnisaufenthalts musste er zurück in die Türkei.

Es sind viele aus Deutschland zurückgekommen, die da auch im Gefängnis waren. Wer hier im Gefängnis ist, hat sich dagegen einfach freigekauft. Es hat auch Vorteile, in der Türkei zu sein.

Mustafa, Clan-Mitglied

Auswanderung von der Türkei in den Libanon

Die meisten der Clanmitglieder in Deutschland, auch viele aus Bremen, gehören zur arabischsprachigen Volksgruppe der Mhallami. Der Südosten der Türkei gilt als Mhallami-Hochburg. Bis nach dem ersten Weltkrieg lebte die Volksgruppe dort. Danach wanderten die meisten in den Libanon aus. "Dafür gab es viele Gründe", erklärt Mehmet Ali Aslan, ein türkischer Politiker mit Mhallami-Abstammung: Die schwache Wirtschaft oder der türkische Militärdienst, den viele nicht antreten wollten. Oft waren demnach aber auch Streitigkeiten zwischen mehreren Familien der Grund für das Auswandern in den Libanon.

Als in den 1980er-Jahren im Libanon der Bürgerkrieg tobte, flüchteten viele nach Deutschland. Darunter auch heutige Clan-Mitglieder aus Bremen. Einige der Familienmitglieder wurden kriminell, um für ihre Angehörigen zu sorgen. Typisch sei das allerdings nicht für die Volksgruppe Mhallami.

Das hat nichts mit der Zugehörigkeit zu den Mhallami zu tun. Die Leute machen das für sich selbst. Das ist keine kulturelle oder religiöse Sache.

Mehmet Ali Aslan, türkischer Politiker

Strukturelle Veränderungen

Der Buchautor Altan Tan hat Familienclans in der Türkei rund um die Region Mardin untersucht und darüber ein Buch geschrieben. Er glaubt, dass sich die Strukturen verändern. Laut Tan, spielt der Zusammenhalt in der Familie eine immer kleinere Rolle. "Heute unterstützen sich die Familien vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. Viele sind aus den Dörfern in die Stadt gezogen. Es existieren vor allem die Namen." Bis zu 60 Gruppen gebe es laut Tan noch in der Region. Kriminelle Verwicklungen streitet er jedoch ab. Stattdessen vergleicht er die Clans mit politischen Parteien:

Bei diesen Gruppen geht es weniger um Kultur oder Religion. Sie haben alle die selbe Herkunft und sind vergleichbar mit politischen Parteien. Genau wie in der Politik, gibt es manchmal Konflikte um die Führung.

Altan Tan, Buchautor

Die alltägliche Realität sieht anders aus

Führungsstreit in der Familie? Gar keine illegalen Geschäfte? Der Clan-Angehörige Mustafa kennt andere Geschichten, die er täglich miterlebt: prächtige Hochhäuser, die mit illegalem Geld renoviert werden. Vertuschte Morde und politischer Einfluss.
Vor allem ältere Menschen leben in dem Dorf, aus dem er stammt. Journalisten seien dort nicht gerne gesehen, erzählt Mustafa. Dafür aber die Verwandten aus Deutschland, die regelmäßig schmutziges Geld mitbringen würden.

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Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Morgen, 15. Januar 2020, 6:35 Uhr

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