Infografik
Was Bremen von diesem Stadtteil über ältere Menschen lernen kann
Immer mehr Menschen kommen ins Rentenalter. Das bringt Herausforderungen mit sich – auch für die Stadtteile. So geht Osterholz damit um.
In Bremen-Osterholz leben besonders viele ältere Menschen. 8.416 sind über 65 Jahre, mehr gibt es nur in Schwachhausen, Obervieland und Hemelingen. Fast ein Viertel aller Einwohner, 22,4 Prozent, ist bereits im Rentenalter.
Anzahl der Menschen ab 65 Jahren
Osterholz ist ein Stadtteil, an dem man die Herausforderungen der alternden Gesellschaft gut ablesen kann. In dem die Einwohner selbst, in ihrem Alltag, diese Herausforderungen spüren können. So wie die Politiker und die Menschen, die hier arbeiten.
Denn die vielen alten Menschen treffen in dem östlichen Stadtteil auf ein relativ niedriges Durchschnittseinkommen und einen hohen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund. 28.732 Euro verdient ein einkommenssteuerpflichtiger Osterholzer jährlich im Durchschnitt. Es ist der viertniedrigste Betrag unter den Bremer Stadtteilen. Zum Vergleich: Im wohlhabenden Oberneuland verdient man im Schnitt 92.768 Euro.
Mehr als die Hälfte aller Menschen in Osterholz, 54 Prozent, hat einen Migrationshintergrund. Das bereichert den Stadtteil, ist aber auch eine Herausforderung.
Sozio-ökonomische Verhältnisse in Osterholz
Ortsamtsleiter: Vereinsamung ist ein großes Thema
Einer, der wissen muss, wie sich der Stadtteil entwickelt, ist Ortsamtsleiter Ulrich Schlüter. Seit mehr als 20 Jahren leitet er die Verwaltung Osterholz. Und er kann einiges erzählen über die Wandlungen, die sich in der Gesellschaft gerade vollziehen.
"Wir sehen es insbesondere in den Familien mit Migrationshintergrund", sagt er mit einem Seufzer, die alten Familienstrukturen brächen auseinander. Teilweise wohnten die Kinder weit weg, manchmal gebe es nur ein Kind oder zwei, die Älteren würden seltener in der Familie betreut. Nachvollziehbare Veränderungen, die die Gesellschaft jedoch vor die Frage stellen: Wer kümmert sich?
Die jetzigen 80-, 90-Jährigen haben noch Familienangehörige, aber das wird sich in den nächsten zehn, zwanzig Jahren grundlegend verändern. Von daher wird das Problem immer mehr da sein: Wer sorgt sich um die alten Menschen?
Ulrich Schlüter, Ortsamtsleiter Osterholz
Parallel dazu sei die Bindung zu den Kirchengemeinden, in denen sich früher nicht nur das seelische, sondern auch das soziale Leben abspielte, schwächer geworden. Eines der größten Risiken dabei: die Einsamkeit.
Die sozialen Herausforderungen im Stadtteil sind Schlüter bekannt. Unter Migranten sei die Armut ausgeprägter. Ihnen droht ohne Familienunterstützung oft Altersarmut, wenn sie als Erwachsene nach Deutschland gekommen sind und nicht lange genug für die volle Rente gearbeitet haben. Und durch die hohe Inflation hat sich die Lage für alle verschlechtert, erklärt der Ortsamtsleiter. "Wenn wir Lebensmittel verteilen, sind die Menschen für zehn Euro Lebensmittel dankbar."
Hinzu kommt, dass viele Hausärzte kurz vor der Pensionierung stünden, so Schlüter. Osterholz ist zwar momentan nicht so schlecht versorgt wie andere Stadtteile, optimal sei die Lage jedoch nicht. Mehr Ärzte und Fachärzte seien nötig. Vor allem mit Blick auf die Zukunft.
Hausärzte je nach Stadtteil
Schlüter, graue Haare und Bart, ist seit 1999 Stadtteilbürgermeister. Alternde Gesellschaft ist kein neues Phänomen, sagt er. Die Zahl der 100-Jährigen habe sich im Stadtteil in den letzten 20 Jahren vervier- oder -fünffacht.
Immer noch wird jedoch debattiert, wie sich die Gesellschaft ausrichten soll, um dem zu begegnen. Bei der Lösung sieht Schlüter Wohlfahrtsverbände und Kirchen ebenfalls in der Pflicht. Soziale Arbeit durch die Gemeinden, wo sich alle kannten, sei nicht zu ersetzen durch anonymisierte Sozialarbeit. Kulturelle Angebote seien nötig. Sprachkurse, wie sie im Stadtteil bereits organisiert werden. Und dass die Generationen mehr miteinander tun.
Einwohnerinnen: Mehr miteinander unter Generationen und Kulturen
An diesem Punkt setzt auch das Mehrgenerationenhaus in Osterholz an. Im Schweizer Viertel, mitten im Grün neben einem kleinen Graben, steht das weiße Gebäude. An diesem Donnerstagmorgen sitzen im Café hinter den Glasfassaden gut zwei gute Dutzende Männer und Frauen unterschiedlichen Alters und starren auf die Wand vor sich.
Ein neues Projekt wird gerade vorgestellt. Dabei geht es um Männergesundheit. Nicht nur für ältere Menschen, aber auch für sie. Man wolle Angebote schaffen, Gesundheitskompetenz vermitteln, erklärt die Projektleiterin, Laura Heitmann. Bessere Informationen, um gesünder zu leben.
Das Altern kann je nach Mensch sehr unterschiedlich sein, es ist sehr individuell. Die Grafik stellt nur einen kleinen, standardisierten Teil des Alterungsprozesses dar, der jedoch für jeden Menschen ziemlich unterschiedlich ausfallen kann.
Im Publikum sitzen auch Irmgard Lehnhoff-Schwarz und Gerhard Schwarz. Das Mehrgenerationenhaus ist ihr Zuhause. "Ich wünsche mir, dass es mehr Gelegenheit gibt, den Austausch zwischen den Kulturen zu ermöglichen", sagt die Frau mit den weißen Haaren. Ihr Ehemann nickt und fügt hinzu: "Und dass die Patienten mehr Mitsprache bekommen", wenn es um die eigene Gesundheit gehe.
Hier gibt es viele Kulturen, sie leben aber sehr nebeneinander her.
Irmgard Lehnhoff-Schwarz, Osterholzerin
Ihre Sitznachbarin erwähnt, wie schön es wäre, wenn Menschen unterschiedlicher Generationen mehr miteinander unternehmen könnten. "Es ist grundsätzlich ein Problem, weil wir nicht berufstätig sind und tagsüber mehr Freizeit haben. Andere sind tagsüber beschäftigt und haben nur abends Zeit", sagt die 70-jährige Frau.
Keine leichte Aufgabe
Dass es nicht so einfach ist, weiß auch die Leiterin des Mehrgenerationenhauses, Marina Aydt. In dem Gebäude leben ältere und jüngere Menschen, der jüngste ist 20 Jahre alt. Acht Wohnungen sind es, drei davon für junge Leute, die weniger Miete bezahlen, zwei Stunden pro Woche jedoch ehrenamtlich mitarbeiten müssen. Klingt leicht, ist es aber nicht immer.
Interessenten für die Wohnungen gebe es viele, doch nicht zu jedem passe die Wohnlage. Im Gebäude gibt es eine Kita und Bewegungsräume. Wenn die Kinder herumlaufen, höre man das schon, erzählt Aydt. Unterschiedliche Generationen, unterschiedliche Bedürfnisse. Nicht immer leicht, alle unter einen Hut zu bringen.
Es gibt viele Herausforderungen.
Marina Aydt, Hausleiterin
Das Positive: Ältere, die hier leben, finden Veranstaltungen direkt vor der Tür. Sie müssten sich nur trauen, den ersten Schritt zu machen, so Aydt. Sich nicht dafür schämen, dass sie allein sind. Oder einsam.
Menschen helfen, aus der Isolation rauszukommen
Das Haus steht allen offen, die Kurse sind vielfältig. Hip-Hop, Yoga, Sprachunterricht, Tagesausflüge. Draußen ziehen gerade zwei junge Frauen mit Kopftuch und Kleinkindern an der Hand vorbei. Das schöne sei, dass es im Haus eine Kita mit etwa 80 Kindern gebe, sagt Aydt. Alleine dadurch ergäben sich intergenerationelle Projekte.
Man muss auch immer Gelegenheiten schaffen, dass Jüngere und Ältere zusammenkommen.
Marina Aydt, Hausleiterin
Menschen im Rentenalter können sich aber auch selbst engagieren, wenn sie es wollen, führt Aydt fort. "Ich habe sehr viele Honorarkräfte, die teilweise 60, 65 Jahre alt sind, aber noch total fit, und auch viele Kompetenzen mitbringen." Manchmal gehe es um mehr Struktur im Leben, manchmal darum, die Rente aufzustocken.
Unterschiedliche Lösungen, unterschiedliche Projekte, eine Sicherheit: Die alternde Gesellschaft wird eine der wichtigen Herausforderungen der Zukunft sein. Nicht nur für Osterholz, sondern für ganz Bremen. Und für Deutschland.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Morgen, 2. Mai 2023, 06:36 Uhr