Debatte um Ünsal: Welche Qualifikation brauchen Senatoren in Bremen?
Mit Özlem Ünsal als neuer Senatorin für Bau, Stadtentwicklung und Verkehr hat die SPD in Bremen überrascht. Welche Faktoren spielen bei der Auswahl eine Rolle?
Wenn nach einer Wahl die Posten verteilt werden, wird es spannend – aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger manchmal auch kurios. Selbst in der Bundespolitik ist es der Normalfall, dass die Spitzenpolitiker und Spitzenpolitikerinnen der koalierenden Partien gleichzeitig für das Finanzministerium, das Auswärtige Amt oder das Verteidigungsministerium gehandelt werden. Berufliche Vorkenntnisse in ihrem jeweiligen Fachbereich besitzen diese dabei nicht immer oder nur kaum.
Eine Überraschung gab es nun auch in Bremen, denn die SPD einigte sich auf Özlem Ünsal als neue Senatorin für Bau, Stadtentwicklung und Verkehr. Die 49-Jährige ist an der Weser ein unbekanntes Gesicht, denn bisher wirkte sie in Schleswig-Holstein. Von 2017 bis 2022 war sie dort Landtagsabgeordnete und Sprecherin ihrer Fraktion für Wohnungsbau und Stadtentwicklung, ehe sie den erneuten Einzug ins Parlament verpasste.
Vorerfahrungen ausreichend für Bremens Verkehrsressort?
Vor ihrer Zeit als Politikerin hat Ünsal eine Ausbildung zur Sozialarbeiterin und ein Studium der Politikwissenschaften, der Soziologie und der Psychologie absolviert, dann arbeitete sie mit benachteiligten Kindern und in der Migrationsberatung. Bürgerinnen und Bürger haben sich deshalb gefragt, ob Ünsals Vorerfahrungen ausreichen, um in Bremen als Senatorin einen erfolgreichen Job in ihrem Ressort zu erledigen. Wir klären daher die wichtigsten Fragen und zeigen auf, welche Faktoren bei der Vergabe von Senatorenposten eine Rolle spielen.
Warum hat die SPD sich für Ünsal entschieden?
Laut Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) besitzt Ünsal die "notwendigen Fachkenntnisse". Hierbei bezieht er sich auf ihre Erfahrungen beim Quartierbau und auf ihre vorherige Laufbahn in der Kieler Kommunalpolitik. Ebenso führt Bovenschulte Ünsals Tätigkeit als Sprecherin der SPD für Wohnungsbau und Stadtentwicklung im schleswig-holsteinischen Landtag an. Er ist überzeugt, dass die 49-Jährige die nötige Lebenserfahrung und die nötige politische Erfahrung mitbringt.
Zugleich muss Bovenschulte jedoch einräumen, dass die Personalie Ünsal ihm empfohlen wurde und er sie vorher nicht kannte.
Bovenschulte verwies darauf, dass er nach einer Senatorin gesucht hat, weil er die Parität einhalten wollte. Ist Parität bei der Auswahl nach geeigneten Senatoren wichtiger als die bestmögliche fachliche Eignung?
Laut dem Bremer Politikwissenschaftler Andreas Klee von der Universität Bremen reicht das Geschlecht nicht aus, um den Posten zu erhalten. Letztlich sei es aber so, dass bei der Verteilung der Senatorenposten bestimmte Personen innerhalb einer Partei gesetzt sind. Bei der SPD gelte dies zum Beispiel für Ulrich Mäurer. Das Einhalten der Parität sei vor allem für die Grünen, aber auch für die SPD sowohl in der Außendarstellung als auch in der innerparteilichen Kommunikation wichtig. Bei der Auswahl spiele nicht allein das Geschlecht, sondern auch die nötige Eignung eine Rolle. Diese müsse sich aus der Biografie der Person ergeben.
Mit dem Einhalten der Parität gehe jedoch einher, dass geeignete Kandidaten auch leer ausgehen können. Hier führt Klee bei der SPD Falk Wagner an, der als Nachwuchshoffnung der Bremer SPD gilt und ebenfalls als Kandidat gehandelt wurde, aber die Parität eben gesprengt hätte. "Er wurde jetzt nochmal für vier Jahre auf die Ersatzbank gesetzt", sagt Klee
Anhand welcher Faktoren werden die Senatoren ausgewählt?
Auf Bundesebene setzen die SPD und die Grünen sehr viel Wert auf Repräsentation. So wird bei der Vergabe der Ministerposten nicht nur auf das Geschlecht, sondern auch auf den jeweiligen Parteiflügel und den Landesverband geachtet. Bei der SPD sorgte es im Januar beispielsweise für Diskussionen, dass die zurückgetretene Verteidigungsministerin Christine Lambrecht durch Boris Pistorius ersetzt wurde. Schließlich ist Pistorius nach Arbeitsminister Hubertus Heil schon der zweite SPD-Mann aus Niedersachsen im Kabinett.
Derartige Probleme sieht Klee in Bremen nicht. Da es ein kleines Bundesland ist, würden die Parteien bei den Spitzenämtern vielmehr unter einem Rekrutierungsproblem leiden. Wichtig für die Parteien sei vor allem eine positive Außenwirkung der Kandidaten.
In der Bremischen Bürgerschaft würden die Parteien innerhalb ihrer Fraktionen viele Kandidaten allerdings als nicht geeignet für einen Senatorenposten ansehen. Zum Beispiel, weil diese aufgrund ihrer politischen Positionen zu stark an ein bestimmtes Klientel gebunden sind.
Vorteilhaft ist es laut Klee, wenn im jeweiligen Politikfeld bereits im Vorfeld innerhalb der Partei eine gewisse Nähe nachgewiesen wurde. Dass in Anbetracht dieser Faktoren Kandidaten auch mal von außerhalb Bremens geholt werden, sei deshalb nicht ungewöhnlich. Vor allem, so Klee, in zuvor als schwierig geltenden Ressorts sei dies schon einige Male vorgekommen.
Sollte ein Senator nicht vorher schon im Land Bremen gelebt haben, um die Probleme und Besonderheiten vor Ort zu kennen?
Ünsal hatte zuvor keine Berührungspunkte mit Bremen. Dies betrachtet Klee als deutlichen Nachteil für sie. Allerdings könne sie dies durchaus kompensieren. Zumindest, wenn sie nicht alles alleine machen möchte, sondern sich auch Dinge zeigen lasse und Ratschläge annehme. Ohnehin sei der Senatorenjob mit enorm viel Netzwerkarbeit verbunden.
Ünsal müsse dabei auch herausfinden, wie die jeweiligen Machtstrukturen innerhalb der Partei vor Ort sind. Hier wäre es ein klarer Vorteil für sie, wenn sie die wichtigen Ansprechpartner der SPD zum Beispiel schon lange aus der gemeinsamen Arbeit in der Fraktion kennen würde und auf gewachsene Vertrauensverhältnisse bauen könnte. Dies ist bei ihr aber nicht der Fall.
Maike Schaefer war als Senatorin für die Bereiche Stadtentwicklung, Wohnungsbau und Mobilität zuständig und recht umstritten. Ist dies nun ein Vor - oder ein Nachteil für Ünsal?
Maike Schaefers Verkehrsversuche haben in Bremen für einige Diskussionen und letztlich auch früh Verdruss gesorgt. Klee geht davon aus, dass Ünsal von den Menschen in Bremen eine faire Chance erhalten wird.
Mit Kredit starte sie allerdings nicht, denn dafür sei der Ruf des Ressorts derzeit zu beschädigt. Mit Blick auf die anvisierte Verkehrswende hätten die Bremer in den vergangenen Jahren bei einigen Projekten einfach das Verständnis verloren. Deshalb seien für Unsal die ersten Schritte nun sehr, sehr wichtig.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 5. Juli 2023, 19:30 Uhr