Tod für Olympia: Der tragische Fall der Bremerin Birgit Dressel
1987 verstarb die Bremer Siebenkämpferin Birgit Dressel mit 26 Jahren. Sie gilt als erste Doping-Tote Deutschlands. Indizien zeigen, wer in den Fall verwickelt war.
Birgit Dressel wächst in einer sportbegeisterten Familie auf. Schnell zeigt sich, dass die Leichtathletin hochtalentiert ist.
Aus der Leichtathletik-Provinz Bremen wechselt die Jugend- und Juniorenmeisterin im Hochsprung im Jahr 1979 in die Mehrkampf-Hochburg Mainz und wird dort zu einer der besten deutschen Siebenkämpferinnen – ihre Geschichte endet jedoch tragisch.
Zwei Jahre nach ihrem Umzug nach Mainz ist Dressel das erste Mal bei Professor Armin Klümper in Behandlung, wie fast alle deutschen Spitzen-Leichtathleten. Auch Alwin Wagner schwärmte von ihm.
Der inzwischen 73-Jährige gehörte in den 1980er-Jahren zu den besten Diskus-Werfern weltweit, war Vereinskollege von Dressel beim USC Mainz und ebenfalls Teil des illustren Patientenkreis des Freiburger Sportmediziners.
Das war ein Meister, ein Guru. Da fuhren alle deutschen Spitzensportler hin, die Creme de la Creme des deutschen Sports, also nicht nur die Leichtathleten, sondern auch die Fußballer, Handballer, Schwimmer, Gewichtheber oder Wintersportler. Freiburg war für uns ein Wallfahrtsort, Mekka!
Alwin Wagner, ehemaliger Diskus-Werfer
Konkurrenzkampf Ost gegen West
Auch dank der sportärztlichen Betreuung durch Armin Klümper schafft es Dressel in die internationale Spitze. Bei der Heim-Europameisterschaft 1986 in Stuttgart wird die so sympathische wie ehrgeizige Athletin Vierte im Siebenkampf mit einer neuen persönlichen Bestleistung von knapp 6.500 Punkten. Zur absoluten Weltspitze fehlt nicht mehr viel. Dressels Ziel: eine Medaille bei den Olympischen Spielen in Seoul 1988.
Das alles passiert vor dem Hintergrund einer Leichtathletikwelt im geteilten Deutschland, die geprägt ist vom System-Wettbewerb Ost gegen West. "Das war schon immer ein Konkurrenzkampf. Aber wir hatten gegen den Osten überhaupt keine Chance. Die haben ihre Athleten richtig gefüttert. Wer nicht mitmacht, war weg vom Fenster", sagt Alwin Wagner und spielt auf Doping in der DDR an.
400 Spritzen innerhalb eines Jahres
Es kommt auch im Leistungssport zum Wettrüsten. Im Mittelpunkt: die Sportmedizin. Eine ganz zentrale Rolle in der Bundesrepublik nimmt dabei der schillernde Verbandsarzt der Leichtathleten ein: Armin Klümper.
Die Grenzen zwischen medikamentöser Unterstützung und Doping waren bei ihm fließend. Und er galt auch als Antwort auf den DDR-Sport, wo flächendeckend, staatlich angeordnet gedopt worden war.
Hajo Seppelt, ARD-Dopingredaktion
Von Januar 1986 bis April 1987 setzt Klümper mehr als 400 Spritzen bei Birgit Dressel. Nach Aussagen ihres Trainers und Lebensgefährten Thomas Kohlbacher nimmt sie außerdem Anabolika. Schon damals gelten die Präparate als Dopingmittel und sind eigentlich verboten. Allerdings gibt es kein Interesse daran, das Verbot ernsthaft durchzusetzen.
Ärzte waren machtlos
Zwei Tage im April 1987 ändern alles: Beim Kugelstoß-Training bekommt Birgit nie gekannte Schmerzen an der Lendenwirbelsäule, die unaushaltbar werden, trotz ärztlicher Behandlung. Sie wird ins Uniklinikum Mainz eingeliefert, ihre Lippen verfärben sich blau, sie bekommt Schaum vor dem Mund und ihre Blutwerte verschlechtern sich immer mehr.
Einen der damals behandelnden Ärzte, der seinen Namen nicht öffentlich machen will, lässt diese Geschichte auch 37 Jahre später nicht los: "Das war schockierend! Wenn wir gewusst hätten, was die Frau vorher an Medikamenten eingenommen hat, hätten wir wahrscheinlich viel früher reagieren können und Frau Dressel vielleicht retten können."
Doping-Tote oder ein Unglücksfall?
So stehen mehr als ein Dutzend Ärzte aus verschiedenen Fachrichtungen vor einem Rätsel. Nach etwas mehr als zwölf Stunden in der Uni-Klinik stirbt Birgit Dressel unter qualvollen Schmerzen, die ihr nicht mal höchst dosierte Schmerzmittel nehmen können.
Im deutschen Sport gab und gibt es kein anderes Ereignis, das einen solchen Schock hervorgeführt hat.
Rüdiger Nickel, ehemaliger Vizepräsident des Deutschen- Leichtathletik-Verbandes
Die Mainzer Staatsanwaltschaft beginnt die Todesursache zu ermitteln und fahndet nach Schuldigen. Ohne klare Ergebnisse. Birgit Dressel ist tot, nachdem sie jahrelang unzählige Medikamente, Dopingmittel und am Schluss auch Schmerzmittel verabreicht bekommen oder selbst eingenommen hat. Aber niemand wird zur Verantwortung gezogen.
Für die einen ist sie die "Doping-Tote", für die anderen ein tragischer Unglücksfall. Das System Leistungssport jedenfalls trauert nicht lange um die Verstorbene und hat kein Interesse daran, die Umstände ihres Todes restlos aufzuarbeiten.
Dieses Thema im Programm: Sportblitz, 7. Juni 2024, 18:06 Uhr