Was ist seit dem Gewalt-Video passiert im Bremer Amateur-Fußball?

Bild: dpa | Mika Volkmann

Im März sorgte eine Schlägerei auf einem Bremer Fußballplatz bundesweit für Aufsehen. Seither ist viel passiert — sowohl beim beteiligten Bremer SV II als auch beim Verband.

Das Skandal-Spiel, das Jan Iqbal als "vielleicht größte Niederlage" seines Lebens bezeichnet, erlebte der Fußball-Trainer am Laptop. Statt von der Seitenlinie aus verfolgte Iqbal das Duell seines Bremer SV II mit Bremen United wegen einer Mandelentzündung nur im Livestream. In den eigenen vier Wänden sah er ein torreiches Kreisklassen-Topspiel, das mit 3:3 endete — bevor es, unmittelbar nach dem Abpfiff, zum großen Knall kam. "Ich habe dann einen Anruf gekriegt, dass es eskaliert ist", erzählt Iqbal bei buten un binnen.

Man macht das mit Leib und Seele, es ist mein Lebenswerk — und dann passiert so etwas. In dem Moment ist mir das Herz gebrochen.

BSV-Trainer Jan Iqbal gibt buten un binnen ein Interview.
BSV-Trainer Jan Iqbal bei buten un binnen

Die Schlägerei, die auf einem Video festgehalten wurde, zog weite Kreise. Vor allem die Szenen von BSV-Akteuren, die ihren Gegenspielern mit Anlauf ins Gesicht treten und gegen den Kopf schlagen, schockierten. Weil es auch auf anderen Plätzen in unschöner Regelmäßigkeit zu Gewaltexzessen kommt, zogen die Verantwortlichen die Reißleine: Um ein Zeichen zu setzen, sagte der Bremer Fußball-Verband (BFV) zwischen dem 8. und 10. März alle Amateur-Spiele ab.

Wie konnte es zum Gewaltausbruch kommen?

Beim Bremer SV lief da die Aufarbeitung bereits auf vollen Touren. "Ich war natürlich erst mal mega sauer auf die Mannschaft", sagt Iqbal. "Wir haben dann aber angefangen, das Video zu zerpflücken." Der Trainer führte Einzelgespräche mit seinen Spielern, immer auf der Suche nach der Antwort auf die Frage, wie es zu dem Gewaltausbruch kommen konnte.

"Das ist einfach ein absolutes No-Go", sagt Iqbal, der beruflich als Türsteher arbeitet und weiß, wie man Ruhe ausstrahlt. Wie man brisante Situationen schlichtet — vor allem in der 2. Kreisklasse, wo oft Spieler verschiedener Herkunft aufeinanderprallen, wo häufig kultureller Zündstoff in der Luft liegt. "Gerade bei der Mentalität redet man immer viel von Ehre und Respekt", sagt Iqbal.

Ich versuche denen dann immer zu sagen: "Ehre und Respekt zu haben, ist aber auch, einfach mal was zu schlucken; zu sagen, dass wir einfach nur Fußball spielen und Spaß haben wollen." Aber das ist nicht leicht.

BSV-Trainer Jan Iqbal gibt buten un binnen ein Interview.
BSV-Trainer Jan Iqbal bei buten un binnen

Bremer Sportgericht sperrte mehrere Spieler

Auch das Bremer Sportgericht nahm sich des Vorfalls an, verurteilte mehrere Spieler und einen Trainerassistenten zu Sperren von bis zu zehn Jahren. Sowohl United als auch der BSV bekamen Punkte abgezogen. Die restlichen Saisonspiele bestritten die Waller nur unter Auflagen: Vereinsvorstand Jens Fröhlich musste bei jedem Spiel dabei sein, als Aufpasser gewissermaßen. Der Klub selbst zog ebenfalls Konsequenzen und will Deeskalationsschulungen für alle seine Teams organisieren. "Schon am Anfang der Saison hat Jan gesagt, dass er ein, zwei Spieler dabei hat, die eine kurze Zündschnur haben", sagt Fröhlich.

Er war aber überzeugt, dass sie es im Kollektiv der Mannschaft schaffen können, diese Jungs — die 21, 22 Jahre alt sind — sowohl auf, aber auch neben dem Fußballfeld weiter zu entwickeln.

BSV-Vereinsvorstand Jens Fröhlich gibt buten un binnen ein Interview.
BSV-Vereinsvorstand Jens Fröhlich

Ziele, die auch der BFV verfolgt. Seine Werte nachhaltig in die Vereine zu tragen, damit tat sich der Verband bislang schwer. Christoph Schlobohm möchte dem jahrelangen Zögern nun ein Ende setzen. "In den letzten sechs Monaten ist noch mal eine ganz andere Dynamik in die Gewalt-Thematik gekommen", sagt der BFV-Referent für gesellschaftliche Verantwortung.

Man muss vor allem immer wieder an die einzelnen Fälle appellieren, dass sie Haltung zeigen und für die Werte einstehen, die es in einer Gesellschaft gibt — und an die man sich halten muss.

Christoph Schlobohm, Referent beim Bremer Fußball-Verband für gesellschaftliche Verantwortung, lächelt während eines Interviews.
Christoph Schlobohm, Referent beim Bremer Fußball-Verband für gesellschaftliche Verantwortung:

Zwei Präventionsprojekte zur neuen Saison

Inzwischen scheint der Verband aufgewacht zu sein. Zur neuen Saison setzt der BFV gleich zwei Präventionsprojekte um: zum einen das Stopp-Konzept, das Schiedsrichter berechtigt, "Beruhigungspausen" zu verordnen; zum anderen den Trainerpass, der verpflichtende Schulungen zu Respekt und Fairplay vorsieht.

Marvin Bergmann, Jugendleiter beim TS Woltermershausen, wird an der Umsetzung mitarbeiten. Für den Nachwuchstrainer stellt die Coaching-Fortbildung den Auftakt zu einem besseren, weil gewaltfreien Fußball dar.

Ich denke, dass das ein guter Ansatz ist, damit die Trainer gut auf ihre Teams einwirken und sich selber in die Pflicht nehmen, dass etwas passiert. Es ist der erste richtige Schritt.

Marvin Bergmann, Jugendleiter beim TS Woltermershausen, blickt bei einem Interview an der Kamera vorbei.
Marvin Bergmann, Jugendleiter beim TS Woltermershausen

Im Video: Hier eskaliert die Gewalt bei einem Bremer Fußballspiel

Bild: Radio Bremen

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Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 25. Juni 2024, 19:30 Uhr