Flüchtlinge wehren sich gegen Wohnpflicht in Aufnahmeeinrichtungen

Flüchtlinge stehen auf dem Gelände der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZABH) des Landes Brandenburg.
Wer noch keinen anerkannten Flüchtlingsstatus hat, muss in der Regel in Aufnahmeeinrichtungen leben. (Symbolbild) Bild: dpa | Patrick Pleul

Die Wohnverpflichtung für Asylbewerber zwingt sie, in Erstaufnahmeeinrichtungen zu leben. Einige Bremer Geflüchtete gehen dagegen vor.

Wie ein Knast habe es ausgesehen, sagt Aras D.* Daran habe er sich erinnert gefühlt. Das weckt in D. ungute Erinnerungen. Erinnerungen an die Zeit davor. Denn Gefängnisse kennt der 31-jährige Kurde nur zu gut. Fast zehn Jahre hat D. in türkischen Justizvollzugsanstalten verbracht. Fast zehn Jahre Leben, die nicht zurückkehren werden. Und die er nicht einfach wegwischen kann.

Als D. 17 Jahre alt ist, gibt es Proteste in der östlichen Provinzstadt, in der er lebt. Er geht raus auf die Straße, wo andere sich schon versammelt haben, demonstriert. Pro-kurdische Demo. Er wollte Frieden, sagt er. Dann kommen Mitglieder der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Dann kommt die Polizei. Sie verhaften ihn und andere, willkürlich. Er landet vor Gericht. So erzählt es D.. Die türkische Justiz sieht es anders. Sie verurteilt D. zu zehn Jahren Gefängnis, unter anderem wegen Propaganda einer verbotenen Partei und Gewalt gegen die Polizei.

Psychologische Probleme nach der Zeit im Gefängnis

Als D. 2018 entlassen wird, flieht er. Nach Griechenland, dann nach Deutschland. Zu gefährlich sei es für ihn, in der Heimat zu leben, sagt er. Er hat Angst, wieder festgenommen zu werden, wieder Lebensjahre in einem Gefängnis verbringen zu müssen. Als er in Bremen ankommt, wo er Verwandte hat, hat er Hoffnung. Auf ein neues Leben. Doch das alte lässt ihn nicht los.

Er bekommt Tabletten von einem Psychologen verschrieben. Er ist an einem Ort, den er noch nicht kennt, legt sich abends ins Bett, unter demselben Dach hunderte weitere Menschen, die er nicht kennt und ihn nicht kennen. Die nur eins gemeinsam haben: Sie warten. Auf einen Bescheid, auf Dokumente, auf ein grünes oder rotes Licht. Freiheit oder Abschiebung.

Verwandte wollen D. aufnehmen

Ein junger Mann mit kurzen, dunklen Haaren sitzt in einem Café.
Anas D.* mochte lieber bei Verwandten übernachten als in Wohnunterkünften. Bild: Radio Bremen | Serena Bilanceri

Die Asylunterkunft in der Überseestadt war nicht der richtige Ort, um seine Wunden zu heilen, meint er. "Ich fühlte mich da nicht wohl." Bis zu acht Männer hätten sich ein Zimmer geteilt, unbekannte Menschen. Das habe ihn an seine Zeit im Gefängnis erinnert. "Ich wollte nicht mehr da bleiben."

D. sitzt ruhig in einem Café in der Bremer Neustadt, die Arme im gestrickten Pulli gerade gestreckt entlang des Oberkörpers, die kurzen, schwarzen Haare sind gepflegt mit Gel aufgestellt. Draußen nieselt es, es ist ein grauer Wintertag. Drinnen liegt ein Geruch von Milch und Vanille in der Luft, im Hintergrund erklingt leichte italienische Musik. Auf dem Tisch neben der leeren Cappuccinotasse liegen Kopien der Dokumente vom türkischen Gericht, die D. mitgebracht hat. Er spricht im sachlichen Ton, unaufgeregt.

Eigentlich könnte D. kostenlos bei seinen Verwandten übernachten. Natürlich seien sie bereit ihn aufzunehmen, sagt der Onkel, der neben ihm sitzt und das Gespräch übersetzt. "Er ist der Sohn von meinem Bruder", fügt der robuste Mann hinzu, während er in seinem Latte Macchiato löffelt. Doch Geflüchtete ohne gesicherten Aufenthaltsstatus müssen in der Regel in einem Aufnahmezentrum leben, bis eine endgültige Entscheidung über ihren Antrag vorliegt – oder gar bis zur Ausreise. Wohnverpflichtung heißt die bundesweite Regelung. D. hat jedoch beschlossen, sich rechtlich dagegen zu wehren.

Anwalt: in diesem Jahr zwei Verfahren

"Derzeit habe ich zwei anhängige Verfahren", sagt der Bremer Anwalt Jan Sürig. "Und ich hatte dasselbe Problem schon mal 2016." Er schätze aber, dass die Zahl der Menschen, die in Erstaufnahmeeinrichtungen leben müssen und doch bei Verwandten unterkommen könnten, höher sein könnte. Genaue Zahlen sind kaum zu finden. Als die Heizungsanlage in einer Unterkunft der Überseestadt diesen Winter Probleme machte, konnten beispielsweise gut 100 Menschen vorläufig privat Unterschlupf finden. Die Betroffenen mussten dann wieder zurück in die Unterkunft. Unklar ist auch, wie viele Menschen im vergangenen Jahr einen Antrag auf Aufhebung der Wohnpflicht gestellt haben.

In Bremen sind die Flüchtlingsunterkünfte zurzeit ausgelastet. Nur noch etwa 900 von 7.000 Plätzen sind derzeit verfügbar. Teilweise ziehen sich die Anerkennungsverfahren über mehrere Monate. D. kam vor etwa acht Monaten in Bremen an. Wieso können er und Asylbewerber in ähnlichen Situationen nicht unbürokratisch bei Verwandten oder Bekannten wohnen?

Sozialressort: Bremen legt Regelung bereits zu Gunsten der Geflüchteten aus

Der Aufenthalt ist in solchen Fällen durch das Bundesrecht geregelt, erläutert das Sozialressort.

Für Asylbewerberinnen und –bewerber gibt es Wohnverpflichtungen in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen, die über Bundesrecht geregelt sind. Bremen gehört zu den Ländern, die diese Regelungen sehr zu Gunsten der Geflüchteten auslegen.

Der Sprecher der Sozialsenatorin Bernd Schneider im Interview.
Bernd Schneider, Sprecher der Sozialsenatorin

Sinn dieser Regelungen ist es demnach, die Erreichbarkeit der Asylbewerber und -bewerberinnen zu erleichtern. "Der Gesetzgeber hat die Regelung zur Wohnverpflichtung erlassen, damit eine Erreichbarkeit für die ausländerrechtlichen Verfahren sichergestellt ist. Die Erreichbarkeit ist in einer Gemeinschaftsunterkunft deutlich besser sichergestellt als dezentral in Wohnungen bei Angehörigen oder Bekannten", sagt Schneider.

Anwalt Sürig sagt: "Man kann sicherlich nicht das gesamte Unterbringungsproblem über hilfsbereite Verwandte lösen, das ist klar." Doch für manche Geflüchteten könne dies eine bessere Wohnsituation bedeuten.

Es kann Ausnahmen zur Wohnpflicht geben

Um die Unterbringung neu ankommender Menschen zu gewährleisten, dürfen Geflüchtete von der Wohnpflicht befreit werden. In Berlin hat der Senat deswegen Ende Januar die Wohnverpflichtung für Asylsuchende aufgehoben.

Auch aus "Gründen der öffentlichen Gesundheitsvorsorge" darf man von der Wohnpflicht absehen. Laut Anwalt Sürig ist die Formulierung relativ "wolkig", was genau unter Gesundheitsvorsorge falle. Die Behörde habe dabei jedoch genau deswegen Spielraum. Das Bremer Sozialressort sieht das anders. "Für eine Aufhebung der Wohnverpflichtung müssen 'zwingende Gründe' vorliegen; dazu zählt das Gesetz auch die öffentliche Gesundheitsfürsorge und die öffentliche Sicherheit und Ordnung", schreibt Sprecher Bernd Schneider auf Nachfrage. Im Fall der Kältenächte und der Unterbringung im Zelt sei diese Regelung anzuwenden gewesen. Dies bedeute aber nicht, dass man die Wohnverpflichtung generell und ohne zwingende Gründe aufheben könne. Die Spielräume nutze man bereits so weit wie möglich aus.

Inzwischen hat D. einen positiven Bescheid bekommen, nachdem er zwischenzeitlich einer anderen Unterkunft zugeteilt worden war. Er darf jetzt bei seinen Verwandten wohnen. Auch der zweite Kläger hat recht bekommen, teilt der Anwalt mit. Für sie hat sich der etwas langwierige Weg am Ende doch gelohnt.

Natürlich freuen wir uns sehr. Mindestens eine Sache ist jetzt geklärt.

Onkel eines Betroffenen

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Bild: Radio Bremen

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Autorin

  • Serena Bilanceri
    Serena Bilanceri Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 27. Februar 2023, 19:30 Uhr