Der Kultroller wird 75: die Vespa
Obwohl sie eigentlich zu laut und zu dreckig sind, muss man die schicken Motorroller einfach mögen. Vespa-Fans gibt es auch heute noch – sogar in Bremen.
Bis heute halten Tausende deutsche Vespa-Fans ihre alten Roller in Schuss und treffen sich regelmäßig zu kleinen Ausfahrten. Mittlerweile gibt es sogar ein E-Variante. Aber der leise Elektromotor weckt nicht annähernd solch eine romantische Erinnerung wie der ursprüngliche Flugzeuganlasser. Zum Jubiläum hat der Hersteller sogar ein Sondermodell auf den Markt gebracht und verkündet die Produktion von 19 Millionen Vespas erreicht zu haben.
Stichtag 24. April 1946:
Die Vespa wird zum Patent angemeldet
Es ist ausgerechnet der Zweite Weltkrieg, der uns etwas so Schönes beschert wie die Vespa. In Pontedera in der Toskana hatte Rinaldo Piaggio eine stetig wachsende Fabrik, in der er Straßenbahnen, Lieferwagen, Schiffe, Motoren und Eisenbahnwaggons baute. Dann entwickelte und montierte er Kampfbomber, wurde zu einem der führenden Flugzeugbauer Italiens. Kein Wunder, dass seine Fabriken zu wichtigen Angriffszielen der Alliierten wurden. Als der Frieden kam, lagen 20 Jahre Faschismus hinter Italien, die Wirtschaft war zerstört, ebenso Piaggios Unternehmen.
Käfer auf zwei Rädern

Es ist Rinaldos Sohn Enrico Piaggio, der die zündende Idee für einen Neustart entwickelt. Er will ein billiges Fahrzeug bauen, das Italiens Menschen wieder auf die Beine bringt, gewissermaßen einen VW Käfer auf zwei Rädern. Der Luftfahrtingenieur Corradino D’Ascanio findet die Lösung. Sein erster Motorroller MP5 aber missfällt Piaggio, weil er aussieht wie "Paperino", der italienische Donald Duck.
Widerwillig macht sich D’Ascanio wieder ans Werk, hasst Motorräder, weil sie schmutzig machen, und eigentlich will er weiter Flugzeuge bauen. Für seinen Motorroller geht er vom sitzenden menschlichen Körper aus und konstruiert dann das Fahrzeug darum herum. Als Antrieb dient ihm der Anlassermotor eines Flugzeugs. Sieben Tage lang skizziert er, präsentiert das Ergebnis und überzeugt damit Enrico Piaggio.
"Sembra una Vespa", begeistert der sich: "Sieht aus wie eine Wespe" – schlanke Taillen breiter Po. Und die Luxusvariante verfügt sogar über Seitenständer und Tacho. Höchstgeschwindigkeit: 60 km/h.
Flotte Biene schnell beliebt

Nach wenigen Jahren hatte der hübsche, knuffige Motorroller aus Italien die Herzen der Welt erobert, mit niedrigem, offenem Einstieg, enorm praktisch für Damen mit Röcken. 1953 in rast Audrey Hepburn in dem Kinofilm "Ein Herz und eine Krone" unkontrolliert durch Italiens Hauptstadt Rom. An ihrer Seite Gregory Peck, der sich pausenlos für ihren wilden Fahrstil entschuldigt.
Hollywood setzt ebenso Schaupspieler wie Marlon Brando, Dean Martin und Charlton Heston auf den Vespa-Roller. Vor allem aber setzt das hübsche Zweirad Italiens Jugend in Bewegung und wird Kult. Zwei Jahre nach ihrem Debüt lässt Piaggio seine Vespa auch in Deutschland produzieren, dann in Großbritannien, Frankreich und nachfolgend in 13 weiteren Ländern. 1953 existieren weltweit über 10.000 Piaggio-Werkstätten. Namensgeber Enrico erklärt in einem Time-Magazine-Interview, welche politische Auswirkung sein Motorroller haben könnte:
Den Kommunismus bekämpft man am besten, indem man jeden Arbeiter mit einer Vespa ausstattet.
Enrico Piaggio
Denn wenn jeder sein eigenes Fahrzeug hätte, besäße er "etwas Wertvolles, etwas, das ihm die Wichtigkeit von privatem Besitz demonstriert." Zeitlos modern symbolisiert die Vespa bis heute Freiheit, Unabhängigkeit und Liebe. Anders steht es im Zentralpatentamt von Florenz, wo Enrico Piaggio seinen Roller am 23. April 1946 zum Patent anmeldete. Die Vespa ist ein "Motorrad mit einem rationalen Komplex aus Funktionseinheiten (…) sowie einer Karosserie mit verbundenen Kotblechen und einer Abdeckung sämtlicher mechanischer Teile."
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Stichtag, 23. April 2021, 5:40 Uhr