Fragen & Antworten
Orchester erbost: Zoff um neue Struktur beim Stadttheater Bremerhaven
Am Stadttheater Bremerhaven ist ein Streit zur Neuausrichtung der Führungsetage entbrannt. In einem offenen Brief äußert das Orchester seinen Ärger. Darum geht es.
Gerade hatte sich das Bremerhavener Stadttheater in die Ferien verabschiedet, da brodelte der Zoff hinter den Kulissen richtig hoch: In einem offenen Brief kritisiert das Philharmonische Orchester scharf den Intendanten Lars Tietje. Unter anderem wird ihm vorgeworfen, er wolle die Position des Generalmusikdirektors schwächen und diesen entmachten.
Was steckt hinter dem Streit?
Eine Aktionsgruppe aus Mitgliedern des Orchesters und dem Orchestervorstand geht auf die Barrikaden. Aus ihrer Sicht droht perspektivisch die Streichung des Orchesters – das momentan aus über 50 Musikerinnen und Musiker besteht. Der Generalmusikdirektor Marc Niemann hat angekündigt, Bremerhaven 2026 nach zwölf Jahren zu verlassen. Deshalb ist die Stelle auch neu ausgeschrieben worden.
Aus der Ausschreibung für die Stelle des Generalmusikdirektors geht hervor, dass dieser künftig dem Intendanten unterstellt sein soll. Es sei schon seit 30 Jahren so, dass Intendant, Verwaltungsdirektor und der Generalmusikdirektor gleichgestellt seien, betont die Aktionsgruppe. Das verhindere eine Machtkonzentration, meint der Sprecher der Aktionsgruppe, Michael Pfannschmidt.
Bremerhaven ist seinerzeit Vorreiter in einer modernen Führung eines Stadttheaters gewesen. Die althergebrachte Art, ein Stadttheater zu leiten, ist die Intendantenleitung, die in deutschen Stadttheatern lange Zeit normal war, aber inzwischen als großes Problem erkannt wurde. Es ist eben ein Problem, wenn eine Leitungsperson allein entscheidet, wer im Theater mitarbeitet und wer das nicht soll.
Michael Pfannenschmidt vom Orchestervorstand
Die Struktur-Debatte ist längst unterwegs an deutschen Theatern. Zum Beispiel gab es auch in Kassel und Wiesbaden heftige Kämpfe zwischen Intendanz und Orchester. Letztlich geht es um Mitbestimmung und den weiteren Kurs der Häuser – die immer mehr unter starkem Spardruck stehen. Auch in Bremerhaven wird schon seit Jahren über Zuschüsse für das Theater diskutiert – gut 16 Millionen Euro leistet sich die Stadt für das Vier-Sparten-Haus im Jahr. Hinzu kommt ein Defizit von rund 1,5 Millionen Euro, dass das Theater sozusagen mitschleppt. Einige Städte in vergleichbarer Größe betreiben schon Bespieltheater ohne eigenes Ensemble und Orchester.
Spielen Differenzen zwischen Intendant und Generalmusikdirektor eine Rolle?
Unterschiedliche Positionen über die weitere Ausrichtung gebe es, bestätigt auch der Sprecher der Aktionsgruppe, Pfannschmidt.
Den Eindruck, dass es da Differenzen und Abwägungen gegeben hat, haben wir tatsächlich auch. Und dann ist unsere Sorge schon, dass die Entscheidung, um die es jeweils gegangen ist, dann nicht in unserem Sinne gefallen wäre.
Michael Pfannenschmidt vom Orchestervorstand
Aber die unterschiedlichen Positionen dürften zumindest nicht ausschlaggebend gewesen sein für den Generalmusikdirektor Niemann, Bremerhaven den Rücken zu kehren. Er hat in den vergangenen Jahren in der Stadt deutliche Erfolge gefeiert – so sei es dem Team gelungen, die Besucherzahlen bei den Konzerten verglichen mit der Vor-Corona-Phase um einige Tausend im Jahr zu verbessern. Aber gerade jetzt sieht er offenbar Chancen für sich, weiterzukommen und seine Karriere voranzutreiben. Er selbst hat sich zu dem offenen Brief bislang nicht geäußert.
Und worum geht es bei der Frage der Neuausrichtung des Theaters?
Ein Punkt ist offenbar: Intendant Tietje will wohl künftig mehr in Richtung Musical gehen, wofür kein Orchester mehr gebraucht, sondern eine Band ausreichen würde. Oper und Operette würden in den Hintergrund rücken oder womöglich ganz vom Spielplan verschwinden. Aber auch andere Dinge stehen in der Kritik: Musiktheater- und Ballettproduktionen seien vom Spielplan verschwunden, nach 100-jähriger Tradition habe es zudem keine Weihnachtspremiere mehr gegeben. Außerdem habe Tietje die Zukunftsfähigkeit des Sinfoniekonzerts in Frage gestellt.
Was sagt der Intendant selbst zur Kritik?
Tietje ist zurzeit zwar im Urlaub, hat sich aber mit einer schriftlichen Stellungnahme gemeldet. Er sagt: Veränderungen bringen Chancen mit sich. Und die Leitungsstruktur sei immer wieder intern in der Diskussion gewesen, weil sie – wie er sagt – weder die seit Jahren gelebten Praxis der Zusammenarbeit und Zuständigkeiten noch die heutigen Bedürfnisse eines modernen Theaterbetriebs entspreche. Auch künftig soll die Generalmusikdirektion in einem Leitungsteam arbeiten, in dem sie Programm-, Budget und Personalverantwortung habe. Das aber bezweifeln die Kritiker aus dem Orchester und werfen dem Intendanten vor, sie bei seinen Entscheidungen nicht mitzunehmen.
Gibt es weitere Stimmen zu dem Konflikt?
Ja, auch der Kulturdezernent der Stadt, Michael Frost (parteilos), hat sich schriftlich zu Wort gemeldet. Er sagt, das Orchester sei eine Säule des Stadttheaters. Frost weist den Vorwurf der Entmachtung des Generalmusikdirektors als unangemessen zurück. Alle Fragen der Mitbestimmung und der weiteren Beteiligung entsprechen gängigen und vor allem jederzeit überprüfbaren Regularien. Frost hat angekündigt, erstmal ein Gespräch mit dem Orchestervorstand führen zu wollen.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Tag, 2. Juli 2024, 15:40 Uhr