Wenn die Schule Angst macht: In Bremen gibt es viele Schulvermeider

Eine verzweifelt Schülerin beugt sich beim Lernen in der Schule über den Schreibtisch
Eine verzweifelt Schülerin beugt sich beim Lernen in der Schule über den Schreibtisch

Wenn die Schule Angst macht: In Bremen gibt es viele Schulvermeider

Bild: Imago | Photothek

In 665 Fällen wurde gegen Bremer Schülerinnen und Schüler vergangenes Jahr ein Bußgeld verhängt, weil sie Unterricht schwänzten. Schulvermeider-Projekte sollen ihnen helfen.

Donnerstag, 9 Uhr, in einer Küche in Bremen-Hastedt: Eine Gruppe von Jugendlichen deckt den Frühstückstisch. Sie holen Lebensmittel aus den Schränken, schneiden ihr selbst gebackenes Brot auf, decken den Tisch mit Marmelade, Käse und Wurst – so wie jeden Tag, erklärt die Sozialpädagogin Ina Richter: "Der Tag startet damit, dass wir ein gemeinsames Frühstück haben. Und dann geht es in die Unterrichtszeit."

Gemeinsam mit dem Lehrer Markus Keller betreut Richter die Gruppe von Jugendlichen zwischen 13 und 16 Jahren, die teilweise seit mehr als einem Jahr nicht mehr zur Schule gehen. Schulvermeiderprojekt nennt sich das Ganze, angesiedelt ist es am Regionalen Beratungs- und Unterstützungszentrum Ost, genannt Rebuz. Sieben dieser Projekte gibt es in der ganzen Stadt Bremen, ungefähr 60 Schülerinnen und Schüler profitieren davon.

Alles ist freiwillig

Mit typischem Schulunterricht hat das nichts zutun, erklärt Lehrer Markus Keller: "Schulpflicht ist in der Schule verpflichtend, aber das Angebot hier ist freiwillig." In ganz Bremen sind vergangenes Schuljahr 720 Bußgeldverfahren wegen Schulvermeidung eingeleitet worden, in 665 Fällen wurde ein Bußgeld verhängt. In 434 Fällen fehlten die Jugendlichen zum ersten Mal – der Rest hatte schon häufiger geschwänzt. Die Schulen melden diese Fälle, dann werden die Jugendlichen für passende Projekte an den Rebuz verwiesen.

Die Jugendlichen können sich die Projekte immer probeweise anschauen, bevor sie sich dafür entscheiden. "Wenn sie sich das angeschaut haben, und sagen: Sie möchten das ausprobieren – dann erfolgt die Schulpflicht im Schulprojekt", sagt Markus Keller. "Sie bleiben Schülerinnen und Schüler der Stammschule, sind aber im Schulprojekt."

Der Bedarf für diese Plätze ist stetig gestiegen in den vergangenen Jahren. Laut Bildungsbehörde gab es vergangenes Jahr 1.200 Anfragen für Schulvermeiderprojekte. Die Wartelisten sind immer lang, sagt Markus Keller, manche müssen ein Dreivierteljahr auf einen Platz warten – oder länger.

Beschimpfungen auf dem Schulflur

An diesem Morgen sind nur drei der insgesamt sechs Projektteilnehmer beim Frühstück. Sie alle wollen ihre Namen lieber nicht nennen. Ein Jugendlicher ist seit November hier: "Davor war ich ein Jahr nicht in der Schule. Weil ich da – wie soll ich das sagen – jetzt nicht richtig gemobbt wurde, aber wenn ich durch die Flure gegangen bin, dann wurde mir gesagt, dass ich hässlich aussehe und dass ich ein Hurensohn bin."

Seine Mutter hat dann das Rebuz kontaktiert, nach langem Warten bekam er einen Platz. Ihm habe das geholfen, sagt er.

Es ist immer besser geworden, ich hatte meine Höhen und Tiefen, manchmal war ich nicht so pünktlich. Und auch meine Anwesenheitsliste kriege ich sehr gut hin.

Jugendlicher Schulvermeider

Am Anfang des Programms haben die Jugendlichen oft Konzentrationsschwierigkeiten, sagt Markus Keller. Und auch das Hadern mit der Anwesenheit sei typisch: "Zu Beginn, wenn die Jugendlichen hierher kommen, ist eine große Angstbarriere da, am Unterricht teilzunehmen. Da entsteht so ein richtiger Horror vor: Eigentlich kann ich gar nicht Mathe. Und ich will das auch gar nicht und ich will auch gar keinen Unterricht machen – und dann folgt eine Heranführung, eine ganz entspannte Heranführung."

Fokus auf Selbstvertrauen statt auf typischen Unterricht

Viele Jugendliche haben psychische Probleme, ein schwieriges Elternhaus oder Lernschwierigkeiten. Deswegen fokussiert sich der Unterricht auch eher darauf, sich selber weiterzuentwickeln. "Da geht es um Identität und Selbstfindung, Selbstvertrauen, Stärkenorientierung, Kommunikationsstrategien, Konfliktlösung", erklärt Sozialpädagogin Ina Richter.

Das Ziel des Projektes ist, dass die Schülerinnen und Schüler irgendwann wieder normalen Unterricht besuchen. Die drei Jugendlichen, die an diesem Morgen am Frühstückstisch sitzen, sagen alle: Eigentlich wollen sie nicht in die Schule zurück. Sie fühlen sich wohl im Schulmeider-Programm, vertrauen Richter und Keller. Und sie sind stolz darauf, dass sie inzwischen jeden Tag hier sind und sich ihren Ängsten gestellt haben.

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Autorin

  • Lisa-Maria Röhling
    Lisa-Maria Röhling

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 7. Mai 2024, 7:10 Uhr