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Rekordwinter 1979: Als Bremen im Schnee versank

Langläufer auf den Straßen, Eisschollen auf der Weser, Menschen ohne Heizung – der Schneewinter 1978/79 sorgte in der Hansestadt für Chaos. Doch es gab auch eine positive Überraschung.

Bild: Radio Bremen

Damit hatte wohl keiner gerechnet: Nach Weihnachten 1978 herrschte im Land Bremen kühl-graues Tauwetter, bei knapp unter zehn Grad ging es auf Silvester zu. Doch dann kam der Wintereinbruch – einer, der seinen Namen verdient.

Temperatursturz um 22 Grad Celsius

Am 29. Dezember maß man in Bremen noch milde 8 Grad, während es in Bremerhaven mit einem Grad deutlich winterlicher war. Dann ging alles ganz schnell: Innerhalb von zwei Tagen fiel die Temperatur in Bremen um 22 Grad. In der Silvesternacht wurden nur noch minus 18 Grad gemessen. In Bremerhaven war der Temperatursturz nicht so groß, doch auch dort bibberte man bei minus 12 Grad ins neue Jahr.

"Der Wintereinbruch ist in dieser Form als extrem selten anzusehen und ist seither in dieser Ausprägung auch nicht mehr in Deutschland aufgetreten", teilt Meteorologe Andreas Wagner von der MeteoGroup mit. "Möglich war diese Wettersituation, weil sich über Russland und Nordeuropa ein massives Kältehoch einstellte und die extrem kalten Luftmassen von minus 20 bis minus 30 Grad von Russland her nah an Deutschland heranführte, während tiefer Luftdruck über West- und Südeuropa milde Luftmassen nach Norddeutschland führte, welche dann auf die sibirische Kaltluft stieß."

Heftiger Schneefall kam zum Jahreswechsel in Norddeutschland hinzu, außerdem orkanartige Böen. Autofahrer wurden mitten auf der Autobahn eingeschneit, ganze Ortschaften in Schleswig-Holstein waren von der Außenwelt abgeschnitten. Eine solche "Schneekatastrophe", wie viele Medien titelten, blieb Bremen und Bremerhaven zwar erspart, dennoch tat man sich auch in der Hansestadt schwer mit dem plötzlichen Wintereinbruch.

Die kältesten Tage und Nächte in Bremen und Bremerhaven LTESTE NACHT04.01.1979 LTESTER TAG31.12.1978 BREMEN -21° -14° DURCHGEHENDE SCHNEEDECKE 2 MONATE + 7 TAGE EISTAGE*: 42 LTESTE NACHT06.01.1979 LTESTER TAG31.12.1978 BREMERHAVEN DURCHGEHENDE SCHNEEDECKE 2 MONATE + 6 TAGE EISTAGE*: 41 -14° -10° * Ein Tag gilt als Eistag, wenn die Temperatur nicht über 0 Grad steigt.
Quelle: MeteoGroup, Stand: Dezember 2018 Bild: Radio Bremen

Kattenturmer froren bei minus 14 Grad ohne Heizung

Schnee gab es für Bremer Verhältnisse reichlich. Vom "schwersten Schneesturm seit Jahrzehnten" schrieben die Bremer Nachrichten. Ein Rentner erfror in der Silvesternacht im Schuppen seiner Parzelle in Oslebshausen, in Kattenturm fiel bei Höchsttemperaturen von minus 14 Grad die Heizung aus. In 1.600 Wohnungen im Stadtteil mussten die Bewohner neun Stunden lang frieren, bis das Ventil einer Gasleitung wieder aufgetaut worden war.

Auf Straßen und Schienen ging es nur langsam voran, wenn überhaupt. Autofahrer wurden gebeten, ihren Wagen stehenzulassen – in der Innenstadt waren ohnehin viele Parkplätze nicht geräumt, ebenso wie viele kleine Straßen, in die nicht einmal die Müllabfuhr mehr einfahren konnte. Ampeln fielen aus, in wenigen Tagen verbrauchte der Räumdienst mehr als 600 Tonnen Streusalz.

Bergungspanzer kamen Autofahrern zu Hilfe

Über den Einsatz von Salz statt Sand beschwerten sich kurz später die Bremer zum Beispiel in Leserbriefen an den "Weser Kurier". Bei dem Dauerfrost sei das eher kontraproduktiv gewesen, da sich sofort Eisschichten gebildet hätten, wo der Schnee durch das Salz zum Schmelzen gebracht worden war. Die Räumdienste mussten in den ersten Tagen des Jahres einiges an Kritik einstecken. "Übergänge für Fußgänger gibt es nicht. Man denkt noch nicht einmal an die vielen gehbehinderten Menschen. Rücksichtsloser kann man ja wohl nicht sein?", empörte sich ein Leser der Zeitung.

In Bremerhaven galt eine ganz andere Herausforderung: die Zufahrt zum Freihafen räumen. Dabei kamen sogar Panzer zum Einsatz. Auf der B6 zwischen Cuxhaven und Bremerhaven kamen Bergungspanzer zu Hilfe, um Autofahrer aus ihren steckengebliebenen Autos zu befreien.

Schneereichster Winter in Bremerhaven

Der Winter 1978/79 war nach Berechnungen des Wetterdienstes MeteoGroup neben dem Winter 1962/63 in Bremerhaven der schneereichste: Beide Male stellten die Meteorologen 76 Schneetage fest. Eine durchgehende Schneedecke wurde von Ende Dezember bis Anfang März gemessen. In Bremen gab es in den Jahren 1962/63 und 1969/70 mehr Schneetage als 1978/79, doch auch dort hielt sich die durchgehende Schneedecke mit mehr als zwei Monaten ungewöhnlich lang.

Kreativität war in diesem Winter immer wieder gefragt. Ob man sich auf Skiern durch die Straßen und Parks bewegte oder die Nachbarschaftshilfe neu entdeckte. In vielen Straßen räumten die Nachbarn gemeinsam den Schnee und feierten anschließend dick eingepackt und mit hochprozentigen Getränken.

Vier Tote nach neuem Wintereinbruch im Februar

Ab dem 13. Februar 1979 schneite es erneut unentwegt – ganze 50 Stunden lang, wie die "Bremer Nachrichten" dokumentierten. In Bremerhaven brach das Dach einer Fischauktionshalle unter der Last von zweieinhalb Metern Schnee zusammen. Die Stadt war zwischenzeitlich von der Außenwelt abgeschnitten. Zwei Rentner starben beim Schneeschippen an Herzversagen, ein weiterer Mann wurde beim Räumen von einem Laster überfahren.

In Bremen-Nord überlebte ein Senior den Sprint zu einem Bus durch Schnee und Eis nicht. In der Stadt türmten sich die Schneeverwehungen bis zu zwei Meter hoch. Das Räumen glich einer Sisyphus-Arbeit: War der Schnee gerade zur Seite geräumt, fuhr der Wind hindurch und verwehte ihn erneut.

Winterdienst kostete 7,35 Millionen D-Mark

Der Bremer Senat rief daraufhin am 15. Februar die Bevölkerung zum kollektiven Schneeschippen auf. Und tatsächlich meldeten sich am nächsten Morgen mehr als 1.300 Freiwillige – auch Jugendliche, denn die Schulen blieben drei Tage lang geschlossen. Sie halfen auch beim "Essen auf Rädern" für ältere Bremer, die sich inmitten des Unwetters nicht mehr vor die Tür trauten.

Trotz vieler Helfer und Dauereinsatz blieben viele Straßen noch zugeschneit und mit dem Auto unpassierbar. Allein in der Stadt Bremen waren mehr als 1.200 Kilometer Straßenfläche zu räumen, wobei mehr als die Hälfte des Streckennetzes auf Neben- und Wohnstraßen entfielen. Ihnen maßen die Verantwortlichen die geringste Priorität zu. Wie aus einer Mitteilung des Senats an die Stadtbürgerschaft vom März 1979 hervorgeht, kostete der Winterdienst in Bremen von Ende Dezember 1978 bis Ende Februar 1979 rund 7,35 Millionen D-Mark.

Bremen und Bremerhaven in Weiß – das hielt mehr als zwei Monate lang. Anfang März war es dann in beiden Städten vorbei.

Autorin

  • Patel Verena
    Verena Patel Redakteurin und Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 6. Februar 2021, 19:30 Uhr

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