Schiffsunglück auf der Nordsee: So klären Experten jetzt die Umstände

Rettungseinsatz der DGzRS nach der Kollision zweier Frachtschiffe in der deutschen Nordsee.
Trotz eines Rettungseinsatzes der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger aus Bremen verloren fünf Seeleute nach der Kollision der "Verity" mit der "Polesie" ihr Leben. Bild: DGzRS

Die Kollision des Frachters "Verity" mit der "Polesie" vor der deutschen Küste wirft Fragen auf. Engländer und Deutsche analysieren die Umstände nun gemeinsam. So gehen sie vor.

Ereignet hat sich das Unglück zwischen Helgoland und Norderney, also in deutschen Gewässern. Dort krachten am vergangenen Dienstag, 24. Oktober, um 4:55 Uhr die Frachter "Verity" und "Polesie" zusammen. Die "Verity" sank infolge der Kollision, fünf Menschen kamen dabei ums Leben. Da der Frachter nicht unter deutscher, sondern englischer Flagge fuhr, leiten nun Engländer die Untersuchungen, sagt Ulf Kaspera, Direktor der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU). Die BSU unterstützt die Kollegen aus Großbritannien bei der Aufarbeitung des Unfalls. Das sind jetzt die nächsten Schritte:

1 Zeugen sagen aus

Bereits kurz nach dem Unglück haben Engländer und Mitarbeiter der BSU damit begonnen, die Besatzung der "Polesie" zu befragen. Von jener der "Verity" lagen Kaspera zufolge zuletzt noch zwei Verletzte in einem Wilhelmshavener Krankenhaus. Sie sollen befragt werden, sobald es ihre Gesundheit zulässt.

2 Daten und Videos werden ausgewertet

Der Frachter "Verity" vor Kiel im Jahr 2014. (Archivbild)
Der gesunkene Frachter "Verity" im Jahr 2014 vor Kiel. Bild: dpa | Dietmar Hasenpusch Photo-Productions

Für eine präzise Analyse der Kollision muss die BSU zusammen mit den britischen Kollegen eine Reihe von Daten analysieren. Wie Kaspera berichtet, zählen dazu insbesondere jene des Schiffsdatenschreibers der "Polesie". "Ein Schiffsdatenschreiber ist wie die Blackbox eines Flugzeugs", erklärt Kaspera.  Der Datenschreiber dokumentiere etwa automatisch Funkgespräche, Informationen zur Maschine und zur Fahrtgeschwindigkeit sowie präzise Koordinaten.

Im Gegensatz zur "Polesie" verfügt die gesunkene "Verity" über keinen Schiffsdatenschreiber. "Das ist für Schiffe in der Größe der 'Verity' nicht vorgeschrieben", erklärt Kaspera. Die "Verity" ist mit 91 Metern Länge, 14 Metern Breite und einer Kapazität von maximal 3.360 Tonnen kleiner als die "Polesie". Der Frachter ist stolze 190 Meter lang, 29 Meter breit und hat 38.000 Tonnen Kapazität.

Neben den Daten des Schiffsdatenschreibers möchte die BSU auch solche der Verkehrszentrale zum Funkverkehr im Vorfeld der Kollision analysieren. Zudem flössen Wetterdaten des Deutschen Wetterdienstes in die Untersuchung ein sowie Videoaufnahmen eines Tauchroboters und Sonardaten zur präzisen Lage der "Verity" am Grund der Nordsee. Seit der Kollision liegt das Schiff nämlich in etwa 30 Metern Tiefe.

3 "Eigentliche Analyse"

Sind alle Zeugen befragt und alle Daten ausgewertet, beginnt die "eigentliche Analyse", kündigt Kaspera an. Um zu klären, wie das Schiff genau in welcher Zeit gesunken ist, sollen zwei Nautiker des BSU sowie ein Experte für die Analyse der Schiffsdaten alle Informationen auswerten. Das Team der Engländer, mit denen das BSU Kaspera zufolge eng kooperiert, besteht derzeit aus sechs Leuten.

"Ob wir noch weitere Experten hinzuziehen müssen, werden wir im Laufe der Untersuchungen sehen", so Kaspera. Denkbar sei beispielsweise, dass die BSU noch einen externen Sachverständigen für Schiffsbau einbinden werde, möglicherweise von der Technischen Universität Hamburg.

4 Konsequenzen aus der Unfallanalyse ziehen

Am Ende der Untersuchungen wird die Frage stehen: "Was muss man für Maßnahmen ergreifen, damit sich ein solches Unglück nicht wiederholt?", greift Kaspera den Ereignissen voraus. Er betont, dass die BSU als fachlich unabhängige Behörde letztlich nur der Öffentlichkeit verpflichtet sei und nicht im Dienste eines Ministeriums oder anderer Behörden ihren Abschlussbericht schreibe.

Entsprechend liege es auch nicht an der BSU, sondern an der Polizei, zu ermitteln, ob und wer für die Kollision der beiden Schiffe auf der Nordsee strafrechtlich oder zivilrechtlich belangt werden könne, erklärt der Experte.

"Mindestens ein Jahr", schätzt Kaspera, werde es dauern, bis der Abschlussbericht der BSU steht. Schon jetzt aber stellt Kaspera fest: "So ein Unfall in der Schwere und mit fünf Toten ist mir noch nicht untergekommen." Kaspera leitet die BSU seit sechs Jahren. Üblicherweise komme es dort vermehrt zu Schiffsunfällen, wo es eng sei, fügt er hinzu, also insbesondere in Häfen.

Die Kollision zwischen der "Verity" und der "Polesie" aber habe sich auf offener See ereignet. "Platz zum Ausweichen gab es eigentlich genug", sagt Kaspera und fasst in Worte, was ihm an dem verheerenden Unfall der beiden Frachter vor der Nordseeküste besonders rätselhaft erscheint.

Nach Frachter-Kollision in der Nordsee: Suche nach Ursache geht weiter

Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 25. Oktober 2023, 19.30 Uhr