Bremer Rettungsdienst am Limit: Wenn die Sanitäter Hilfe schreien
Sehr hohe Einsatzzahlen, viel Last auf dem Personal, zu wenig Ausbildung – die Lage in der Bremer Notfallrettung ist extrem angespannt, warnen Beschäftigte.
Im Vergleich zu 2009 (51.030) haben sich die Gesamteinsätze der Rettungsdienste in der Stadt Bremen inzwischen fast verdoppelt: 2022 waren es 89.628 Einsätze, in 2023 gingen sie leicht zurück auf 86.589. Doch damit das System nicht kollabiert muss sich was ändern.
Im Schnitt 240 Einsätze pro Kalendertag. Manche Rettungswachen haben eine Auslastung von 80 Prozent. Es gibt viel zu tun für die Notfallsanitäter und Notfallsanitäterinnen. Wegen knapper Personaldecke fahren Auszubildende schon ab dem 19. Monat als vollwertige Besatzung auf den Fahrzeugen. Gedacht ist eigentlich, dass sie als dritte Person unterstützen und lernen sollen, kritisiert Dirk Braun, Betriebsratsvorsitzender beim Deutschen Roten Kreuz Bremen.
Überlastet durch unnötige Einsätze
Menschen, die jeden Tag mit dem Rettungswagen unterwegs sind, ihren Namen aber nicht öffentlich lesen möchten, sind genervt und frustriert. Denn viele Einsätze sind sogenannte Sozial- oder Bagatelleinsätze. Die Patienten hätten auch aus eigener Kraft den Weg ins Krankenhaus, zum ärztlichen Notdienst oder schlicht zum Haus- oder Facharzt bewältigen können. Das ist ein Missbrauch von Rettungsmitteln, so die Kritik.
Es ist halt das Problem, das ich in dem Moment, wo ich bei jemandem bin, der nur zum Hausarzt will, nicht auf der Straße bin und das Kind, das gerade verunfallt, den Herzinfarkt, der in einer Praxis irgendwo liegt, nicht behandeln kann.
Langjähriger Rettungsdienstbeschäftigter
Tatsächlich verrät die Statistik: von 2017 bis 2022 haben die hilfsfristrelevanten Notfallrettungen im Bremer Stadtgebiet um gut 6 Prozent zugenommen. Notfalltransporte und Sekundäreinsätze hingegen um knapp 43 Prozent. Das heißt: Immer mehr Menschen wählen die 112, weil sie Leidensdruck haben und medizinische Versorgung einfordern, die kein Blaulicht braucht.
Neue Rettungsmittel, optimierte Notruf-Annahme
Die für den Rettungsdienst in der Stadt Bremen verantwortlichen Personen im Hause des Senators für Inneres reagieren schon seit längerer Zeit auf das stetig ansteigende Einsatzvolumen. Seit gut zwei Jahren durchlaufen alle Anrufe unter der 112 ein standardisiertes Notrufabfrageprotokoll, um zwischen dringenden und weniger dringenden Notfällen zu unterscheiden.
Außerdem gibt es neue Rettungsmittel, wie beispielsweise den Hanse-Sani, eine Fahrzeugkategorie zur medizinischen Versorgung zu Hause. Denn etwa 30 Prozent der Notrufe resultieren aus Problemen, denen mit einer Fahrt ins Krankenhaus nicht wirklich geholfen werden kann. Auf der anderen Seite ist in Bremen-Nord ein Notfallsanitäts-Motorrad unterwegs, um schnell vor Ort sein zu können und erste Hilfen zu leisten, bis der Rettungswagen eingetroffen ist.
Diskussionen in vollen Notaufnahmen nehmen zu
Tatsächlich ist es auch gar nicht möglich, so viele Menschen, wie über die 112 um Hilfe bitten, sofort in ein Krankenhaus zu bringen. Denn die Notaufnahmen sind meistens am Limit, erscheinen im System als rot. Trotzdem: In bestimmten Fällen müssen sie Notfälle annehmen, entsprechende Diskussionen haben zugenommen, sagt Daniel Wolter, Notfallsanitäter und Rettungswachenleiter in Bremen-Huchting. Weite Fahrten nach Rotenburg oder Oldenburg nehmen ebenfalls zu, heißt es, der Stress im Job ist immer wieder Thema auf Betriebsversammlungen.
Wenn man dann derjenige ist, der gerade die Schichten erwischt, die extrem hohe Einsatzzahlen mit sich bringen, dann ist das natürlich nicht nur gefühlt, sondern auch real eine enorme Belastung.
Daniel Wolter, Notfallsanitäter und Rettungswachenleiter
Stadt will bessere Aufgabenverteilung prüfen
Alle sind sich einig, dass die Belastung der Rettungsdienste enorm zugenommen hat und sich etwas ändern muss. Daniel Heinke leitet im Bremer Innenressort den entsprechenden Bereich und sagt: Entlastung ist der Ausweg.
"Wir werden gemeinsam mit der kassenärztlichen Vereinigung, dem Gesundheitsressort und andern Bereichen immer wieder daran arbeiten zu gucken, andere Meldewege bekannter zu machen und überlegen natürlich perspektivisch auch, ob man möglicherweise auch eine einheitliche, zentrale Erreichbarkeit sicherstellen kann oder muss", sagt er.
Im Jahr 2023 sind rund 6.000 Fälle, wegen denen ein Notruf einging, an die 116117 weitergeleitet worden. Doch auch auf diese Hotline des ärztlichen Bereitschaftsdienstes ist stark beansprucht, so dass doch oft der Rettungsdienst los musste.
Klare Rechtslage und mehr Ausbildung erforderlich
Vor knapp einem Jahr hat Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) eine Ausbildungsoffensive für den Rettungsdienst angekündigt, gekommen ist sie noch nicht, zuckt Dirk Braun, Betriebsratsvorsitzender des DRK, mit den Schultern. Er vermutet Geldknappheit als Ursache. Bisher fangen jährlich 25 Azubis als Notfallsanitäter an. Brauns Forderung:
50 ausbilden und auch gleichzeitig die Arbeitsplätze so schaffen, dass die diesen Beruf gut und lange ausführen können.
Dirk Braun, Betriebsratsvorsitzender DRK
Um den Kollaps der Rettungsdienste zu vermeiden, ist höchstwahrscheinlich auch eine Gesetzesänderung nötig, für rechtssichere Leitstellenentscheidungen, meint DRK-Betriebsrat Dirk Braun. So könnte sichergestellt werden, dass die Hilfe dort ankommt, wo sie tatsächlich gebraucht wird. Und zwar rechtzeitig.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Morgen, 24. Januar 2024, 08:20 Uhr