Interview
OHB verlässt die Börse: Was bedeutet das für Bremen?
Das Bremer Raumfahrtunternehmen OHB hat seinen Börsenrückzug angekündigt. Eine gute Nachricht für den Standort Bremen und die Beschäftigten bei OHB, sagt ein Wirtschaftsexperte.
An der deutschen Börse ist der OHB-Konzern seit dem Morgen das Gesprächsthema Nummer 1. Nachdem das Unternehmen seinen Rückzug von der Börse und den gleichzeitigen Einstieg der mächtigen US-amerikanischen Investmentgesellschaft KKR bekanntgegeben hat, ist die OHB-Aktie innerhalb weniger Stunden in die Höhe geschossen. Professor Rudolf Hickel ordnet die Dinge im Interview mit buten un binnen ein und erklärt, warum sich Bremen als Luft- und Raumfahrtstandort über die Nachricht freuen kann, Aktien-Anleger allerdings eher weniger.
Der Bremer Raumfahrtkonzern will sich von der Börse zurückziehen. Wie haben Sie davon erfahren?
Ich bin fast aus allen Wolken gefallen, als ich heute Morgen die Börsenstände gesehen habe. Ich habe gedacht: Das kann doch nicht sein, dass die OHB-Aktie über Nacht um ein Drittel im Kurs gestiegen ist. Dann habe ich mir den Börsenspiegel in Frankfurt angesehen und dort habe ich die Nachricht dann gelesen.
Sie sind selbst Aktionär von OHB. Wie geht es Ihnen mit der Nachricht vom Börsenrückzug?
Ich persönlich finde es schade, weil OHB eine einigermaßen stabile Aktie war. Für das Unternehmen und für den Standort Bremen finde ich die Entscheidung aber richtig – und dafür gibt es vor allem ein Argument. 2017 gab es durch den US-amerikanischen Investor Wyser-Pratt einen massiven Spekulationsangriff auf die OHB. Da ist die OHB-Aktie gezielt nach unten getrieben worden. Wyser-Pratt hat damals eine schwere Attacke gegen OHB gefahren – mit dem damals schon unhaltbaren Vorwurf, dass die Führungsstruktur von OHB unfähig sei. Und dieser Schock von damals spielt bei der Entscheidung von heute wohl eine Rolle. Nach dem Motto: Wenn wir uns Kapital besorgen, dann ohne, dass Spekulationswellen ausgelöst werden.
Was kann man kritisch an dem Deal sehen?
Es gibt zwei Punkte, die man kritisch betrachten kann. Erstens hat der neue strategische Investor von OHB, das Unternehmen KKR, für die Übernahme der Aktien, die bisher an der Börse gehandelt werden, ein Angebot von 44 Euro pro Aktie abgegeben. Dieses Angebot ist gemessen mit dem Kursprung von heute sicherlich zu niedrig. Da wird noch zu reden sein. Weiterhin ist der Investor KKR nicht risikolos. Wir haben viele Beispiele, wo KKR auch eine negative Rolle gespielt hat. Die haben früher Unternehmen aufgekauft und ausgepresst. Aber ich denke, dass KKR ein verlässlicher Partner bleibt. Sie werden natürlich schauen, dass die Profitabilität des Unternehmens erhöht wird. Aber da gibt es gleichzeitig auch Risiken: Wie groß wird der Einfluss sein, den der neue Investor KKR bei OHB einnimmt?
Was steckt hinter dem Börsenrückzug? Was hat OHB vor?
Das Satellitengeschäft läuft nicht mehr so gut. Die steigen jetzt mehr um auf Aerospace. Vor allem braucht die Augsburger Tochter der OHB, die Rocket Factory, dringend Kapital. Denn die Rocket Factory entwickelt den Microlauncher RFA One. Das heißt, OHB braucht viel Kapital, um am Markt mit neuen Produkten präsent zu sein. Es ist eine sehr vernünftige Entscheidung von OHB, dass man das Unternehmen stärkt und die Produktpalette ausbaut.
Was bedeutet die Entscheidung von OHB für den Standort Bremen?
Das ist für den Standort Bremen eine sehr positive Entscheidung. Das bedeutet, dass das Unternehmen nicht verkauft wird. Der Standort Bremen ist jetzt mit der neuen Strategie auch gesichert und damit auch die Arbeitsplätze. Das ist insgesamt sehr positiv zu bewerten. Damit kann Bremen sagen: Wir haben ein renommiertes Unternehmen und einen wichtigen und international anerkannten Standort in der Luft- und Raumfahrtindustrie in der Region gesichert. Wirtschafts- und strukturpolitisch ist das für Bremen eine sehr positive Nachricht.
Die US-amerikanische Investmentgesellschaft KKR will mit viel Geld bei OHB einsteigen. Was hat der Investor vor?
Dafür gibt es zwei Gründe. Das erste Argument ist, dass KKR ihr Kapital ordentlich anlegen will. Die schwimmen ja auch im Geld. Die haben eine sehr große überflüssige Liquidität. Die sammeln ja Kapital ein und sagen den Leuten, wir legen es für Euch ordentlich und profitabel an. Und bei einem zukunftsorientierten, mittelständischen Unternehmen wie OHB zu investieren, ist absolut rational. Außerdem hat KKR natürlich die Erwartung, dass es dauerhaft zu großen Profiten kommen wird.
Ich bin mir sicher, dass viele Anleger sehr sauer sein werden.
Rudolf Hickel
Kehrt OHB der Börse nun komplett den Rücken? Und was sind die Gründe dafür?
Die ganzen Publizitätsverpflichtungen der OHB sind bald weg. Wir werden also nie wieder eine Bilanz von der OHB sehen. Es gibt zwei Möglichkeiten des sogenannten Delistings: Entweder bleibt OHB eine SE (Societas Europaea) nach europäischem Aktienrecht. Damit bleiben sie unter dem Beobachtungsschirm der Aufsicht. Aber OHB ist dann nicht mehr börsennotiert. Und damit sind sie bald nicht mehr rechenschaftspflichtig. Was aber bleibt ist, dass interne Anforderungen erfüllt werden müssen. OHB müsste dann beispielsweise weiterhin den Coperate-Governance-Katalog einhalten.
Die andere Option, die ich für unwahrscheinlich halte, wäre, dass OHB überhaupt nicht mehr an der Börse sein will. Dann wäre OHB keine Aktiengesellschaft mehr, sondern vielleicht eine GmbH (Gesellschaft mit beschränkter Haftung) oder eine KG (Kommanditgesellschaft). Aber in beiden Fällen wäre KKR mit einem Kapitalanteil über 35 Prozent sehr stark.
Ich gehe aber davon aus, dass OHB die SE-Struktur erhalten wird. Mit der fahren sie bisher auch ganz gut. Die ist im Unterschied mit dem deutschen Aktienrecht allerdings für Arbeitnehmerrechte schwächer. Aber so oder so hat OHB bald keine Publizitätspflicht mehr. Das heißt, was künftig im Unternehmen passiert, bleibt von außen eine Blackbox.
Was machen Sie jetzt mit Ihren OHB-Aktien?
Ich weiß es noch nicht. Ich lasse das mal offen. Aber ich habe die nie aus Spekulationszwecken gekauft, sondern um an einem so spannenden Unternehmen beteiligt zu sein. Von der Dividende war das immer uninteressant. Das war ein Engagement für ein hochwertiges Unternehmen vor Ort. Aber was ich jetzt mit den Aktien mache, weiß ich noch nicht. Aber ich bin mir sicher, dass viele Anleger sehr sauer sein werden. Denn wenn man in ein nicht-aggressiven und mittelständischen Familienbetrieb investiert, dann macht man das nicht wegen der großen Dividendenjagd. Das macht man, weil man ein relativ stabiles Ruhekissen in seinem Portfolio haben will. Und das fällt nun bald weg und das ist für viele sehr ärgerlich.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 7. August 2023, 19:30 Uhr