Wieso Bremens Großprojekte meistens mehr kosten als geplant
Ob das Stadtmusikantenhaus und die A281 in Bremen oder das Sturmflut-Sperrwerk in Bremerhaven: Öffentliche Großprojekte werden oft viel teurer als geplant. Doch warum?
Fast immer ist von gestiegenen Baukosten die Rede, etwa beim Stadtmusikantenhaus in Bremen. Oft heißt es auch, wie beim Bremerhavener Sturmflut-Sperrwerk, dass sich das Genehmigungsverfahren hinzieht. Auffallend häufig werden öffentliche Großprojekte später fertig und verschlingen mehr Geld als angekündigt. Es betrifft Riesenvorhaben wie die Autobahn 281 oder den Hafentunnel in Bremerhaven – genauso wie Projekte in Größe von Bremens Fahrradpremium-Route oder die Sanierung der Justizvollzugsanstalt. Der Bund der Steuerzahler, der Bauindustrieverband Niedersachsen-Bremen und ein Forscher des Deutschen Instituts für Urbanistik erklären, warum das so ist.
1 Politisch motivierte Kalkulationen
Wer in der Politik ein Bauprojekt vorantreiben möchte, ist auf die Zustimmung aus den eigenen Reihen und oft auch aus anderen Fraktionen angewiesen. Entsprechend groß sei daher die Versuchung, die Kosten für ein Vorhaben zunächst klein zu rechnen, sagt Jan Vermöhlen vom Bund der Steuerzahler Niedersachsen-Bremen. Im Groben gelte die Formel: "Je geringer die Summe, desto wahrscheinlicher die Zustimmung."
2 Planungsfehler
Jan Vermöhlen vom Bund der Steuerzahler moniert, dass die Fehlerkette oft bereits bei der Planung von Großprojekten anfängt: "Wir stellen immer wieder fest, dass man sich dafür nicht genügend Zeit nimmt", so Vermöhlen: "Eine umfassende Gesamtplanung im Vorfeld bleibt häufig aus." In der Folge müsse die Planung während des Baus nachgeholt werden. Nachträge werden fällig. "Diese Nachbeauftragungen lassen sich die Unternehmen natürlich entsprechend vergüten", so Vermöhlen. Nachträge der Nachträge kommen hinzu. Das Projekt wird scheibchenweise immer teurer.
Gleichzeitig greife der öffentliche Auftraggeber nun in der Regel nicht mehr ein, kritisiert Vermöhlen: "Je weiter das Projekt fortschreitet, desto größer wird der politische Druck, dass es zu Ende geführt wird", beschreibt er diesen Mechanismus.
3 Verspäteter Baubeginn
Mitunter verzögert sich auch schon der Beginn des Baus, wie Jörn P. Makko, Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbands Niedersachsen-Bremen, sagt. Etwa dann, wenn sich – wie im Falle des Bremerhavener Sperrwerks – die Genehmigungsverfahren lange hinziehen. "Wenn zwischen der Planungszeit und der Ausschreibung der Aufträge zu viel Zeit vergeht, können die alten Preise natürlich nicht mehr stimmen", so Makko.
Doch auch andere Voraussetzungen, unter denen die alte Bauplanung einmal erstellt worden ist, können sich in der Zwischenzeit verändert haben. Mit Hinblick auf den Hochbau denkt Makko dabei insbesondere an technische Anforderungen, die den Brandschutz betreffen, wie er weiter erklärt. Nachbeauftragungen, wie vom Bund der Steuerzahler beschrieben, werden wahrscheinlicher. Die baubegleitende Planung, die man ursprünglich möglichst schlank halten wollte, muss intensiviert werden. Die Fehlerquellen nehmen zu, es kommt zu Verzögerungen. Und das kostet Geld, zumal die beteiligten Unternehmen fortlaufend bezahlt werden müssen.
Jedes Bauvorhaben ist ein Maßprojekt. Jede Änderung des geplanten Ablaufs macht das Bauen teurer.
Jörn P. Makko, Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbands Niedersachsen-Bremen
4 Sanierungsstau und Personalmangel
Die Schwierigkeiten bei der Planung insbesondere sehr großer Bauvorhaben verschärfen sich zusätzlich dadurch, dass es in den deutschen Kommunen einen massiven Sanierungsstau gibt, sagt Henrik Scheller vom Deutschen Institut für Urbanistik. Daher müssten viele große Projekte auf einmal angeschoben werden – und damit seien die Kommunen nicht selten überfordert: "Es gibt einen eklatanten Personalmangel sowohl in der öffentlichen Verwaltung als auch in den Planungsbüros der Bauwirtschaft", so Scheller. Die Kommunen seien schon aus zeitlichen Gründen kaum noch in der Lage, alle Vorhaben solide zu planen. Die Folge: Sie lagerten die Planung mitunter sogar ganz aus.
Hinzu kommt, so Scheller, dass die öffentliche Hand bei Ausschreibungen stets das wirtschaftlichste Angebot auswählen muss. Doch das sei oft nur vordergründig betrachtet das günstigste. So werde oft nur auf die einmaligen Anschaffungskosten geschaut, nicht aber auf die Folgekosten. "Nicht umsonst sehen sich die die Anbieter von Planungs- und Bauleistungen faktisch oft gezwungen, sich gegenseitig zu unterbieten, um mit einem möglichst niedrigen Angebotspreis Ausschreibungen für sich zu entscheiden", so Scheller. Dabei komme es immer wieder zu unzureichenden oder fehlerhaften Kalkulationen. Zudem werde durch den Unterbietungs-Wettbewerb bei der Ausschreibung eine nachhaltige Bauweise, die letztlich auch wirtschaftlich vorzuziehen wäre, häufig ausgebremst.
5 Sachliche Gründe
Neben vermeidbaren Mehrkosten beim Bau von Großprojekten aufgrund etwa von Fehlplanungen gibt es auch eine Reihe unmittelbar nachvollziehbarer Gründe dafür, dass ursprüngliche Kalkulationen eines Bauvorhabens mitunter nicht lange Bestand haben, wie Henrik Scheller erklärt. Es beginne damit, dass nicht nur in den Behörden und in den Planungsbüros Personalmangel herrscht, sondern auch bei den Baufirmen. Dringend erforderliche Handwerker sind laut Scheller daher mitunter schlicht nicht kurzfristig verfügbar. Die Auftraggeber müssten daher außerplanmäßige Wartezeiten in Kauf nehmen.
Schließlich ist die "Baupreisinflation" inzwischen ein geflügeltes Wort: "Die Baupreise haben sich in den vergangen zwölf Monaten innerhalb kürzester Zeit immer wieder sprunghaft verteuert", sagt Scheller. Schuld daran sei etwa der Mangel an bestimmten Baustoffen aufgrund von Lieferengpässen. Die Entwicklung der Baupreise vorherzusehen, hält Scheller gegenwärtig für kaum möglich. Er empfiehlt Kommunen, über Risikopuffer und Preisgleitklauseln bei der Planung von öffentlichen Baumaßnahmen nachzudenken.
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Rundschau, 15. März 2023, 8 Uhr