Wie die "Neue Heimat" Bremen prägte
Das gewerkschaftseigene Bauunternehmen "Neue Heimat" war einst das größte Europas – und prägte Bremens Stadtbild. 1982 stellte ein Skandal alles auf den Kopf.
Heinrich-Plett-Allee, Neue Vahr, Gewoba: Wohl jeder Bremer kann mit diesen Begriffen etwas anfangen. Doch nur wenige wissen heute noch, dass sie mit einem Baukonzern verknüpft sind, der Bremen seit den 1950er Jahren prägte: die Neue Heimat. Jede vierte Wohnung in Bremen wurde in deren Hochphase von ihr verwaltet.
Ursprünglich war der gewerkschaftseigene Immobilienkonzern nur in Hamburg tätig. Doch bald übernahm er Baugesellschaften in ganz Deutschland – darunter 1953 auch die Mehrheit an der Gewoba in Bremen. Aus diesen Beteiligungen formte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) 1954 einen Großkonzern mit mehr als 100.000 Wohnungen. Sein erster Chef: der Gewerkschafter Heinrich Plett.
Dieser setzte beim Neubau ganzer Viertel nicht nur auf bekannte Architekten wie Max Säume oder Günther Hafemann, er vermarktete die modernen Sozialwohnungen der Neuen Heimat auch über damals recht neue Werbekanäle, etwa als Vorfilme im Kino.
In Bremen-Huchting erinnern heute die Heinrich-Plett-Allee an den ersten Konzernchef – mit den Mehrfamilienhäusern, die von der Neuen Heimat seit 1955 in Mittelshuchting errichtet wurden. In Bremerhaven-Leherheide gibt es die Heinrich-Plett-Straße – denn auch dort baute das Immobilienunternehmen zahlreiche nach den Kriegszerstörungen dringend benötigte Wohnungen. Bis Anfang der 60er-Jahre hatte sich der Wohnungsbestand der Neuen Heimat deutschlandweit auf rund 200.000 verdoppelt.
Nach dem Tod Pletts übernahm 1963 sein ehemaliger Stellvertreter Albert Vietor den Vorstandsvorsitz. Unter ihm wurden die anfangs überschaubaren Bauprojekte im Laufe der Zeit immer größer. Eines davon: die Neue Vahr in Bremen.
Die Neue Vahr wird heute von der gut zwei Kilometer langen Richard-Boljahn-Allee in Nord und Süd geteilt. Denn mit kaum jemandem ist dieses Projekt und der soziale Wohnungsbau in Bremen so verknüpft wie mit Richard Boljahn. Er war von 1951 bis 1969 Fraktionsvorsitzender der SPD und seit 1953 DGB-Ortsvorsitzender in Bremen.
Der von Zeitgenossen gerne als "König Richard" bezeichnete Politiker sorgte jedoch auch für den ersten handfesten Skandal des Immobilienkonzerns. 1969 kam heraus, dass ihm aufgrund eines geheimen Vertrags mit der Neuen Heimat zwischen 1955 und 1969 insgesamt 360.000 Mark überwiesen worden waren. Zum Rücktritt zwang ihn schließlich die Kumpanei mit seinem Freund, dem Grundstücksmakler Wilhelm Lohmann. Diesem hatte Boljahn vorab gesteckt, wo die Neue Heimat bauen wollte. In der Presse machte bald die Geschichte um die "Bremer Stadtspekulanten" die Runde. Der Ruf der Neuen Heimat nahm nach dieser Bauland-Affäre nachhaltig Schaden.
Doch der Konzern hatte nicht nur ein Imageproblem. Ab Mitte der 70er-Jahre ging es auch wirtschaftlich bergab.
Ursache für den wirtschaftlichen Niedergang ist, dass das Unternehmen um ein Problem herum konstruiert war, das Mitte der 1970er-Jahre nicht mehr existierte.
Peter Kramper, Historiker, über den Niedergang der Neuen Heimat
Obwohl es erstmals nach dem Krieg in Deutschland genügend Wohnungen gab, stampfte das Unternehmen dennoch weiter ganze Stadtteile aus dem Boden. In Bremen beispielsweise Osterholz-Tenever: zahlreiche Wohnblocks mit bis zu 21 Stockwerken. Vermieten ließen sich die mehr als 2.500 Wohnungen jedoch kaum. Zweistellige Zinsen auf die Konzernschulden verhagelten die Bilanz. Der Versuch, weltweit Fuß zu fassen, scheiterte ebenso wie der, das Geschäft auf Krankenhäuser und Stadthallen auszuweiten.
Im Februar 1982 war es schließlich der ehemalige Pressesprecher der Neuen Heimat, John Mehnert, der den Untergang einleitete. Nachdem er vom Konzernchef Albert Vietor entlassen worden war, veröffentlichte er pikante Akten. "Ich habe nur den Schrank geöffnet und mein Herz hüpfte fast in meinen Kopf: da stand das Wort Tele-Term", erinnert sich Mehnert im Interview mit buten un binnen. Aus den Unterlagen ging hervor, dass mehrere Vorstände – unter ihnen Vietor – über Jahre hinweg in die eigene Tasche gewirtschaftet hatten. Und zwar mit der Lieferung überteuerter Fernwärme eines von ihnen im Geheimen kontrollierten Unternehmens: der Tele-Term.
Das kann kein Mafiafilm besser machen.
John Mehnert, ehemaliger Pressesprecher der Neuen Heimat
Bevor Vietor der Prozess gemacht werden konnte, starb er in seiner Villa im Tessin. An der Schieflage der Neuen Heimat – sie besaß bundesweit inzwischen mehr als 300.000 Wohnungen – änderte dies nichts. Im Geschäftsjahr 1982 stand ein Konzernverlust von 750 Millionen Euro in den Büchern. "Nirgendwo war da Gewinn", erinnert sich Mehnert. Ob Wohnungen in Italien, ein Spiel-Casino in Monte-Carlo, eine Luxusanlage in Paris oder Arbeiterwohnungen in Kanada: "Es war überall Pleite!"
1986 verkauften die Gewerkschaften den kränkelnden Konzern schließlich in einer Hauruck-Aktion für eine symbolische Mark an den Berliner Bäcker Horst Schießer. Das wiederum sorgte in Bremen für Aufregung – besaß die Neue Heimat hier doch jede vierte Wohnung. Für die Hansestadt ging es dennoch gut aus. Denn der neue Eigentümer erwies sich als nicht sonderlich seriös.
So gingen die vielen Tausend Wohnungen der Neue Heimat-Tochter Gewoba schließlich doch nicht an einen Berliner Bäcker, sondern in den Besitz Bremens über. Den Preis, den der damalige Finanzsenator Claus Grobecker 1986 dafür zahlte, war vergleichsweise überschaubar. Auch er legte damals symbolisch eine Mark dafür auf den Tisch.
Dieses Thema im Programm: Geschichte im Ersten, Korruption und Wohnungsbau – Das Ende der Neuen Heimat, 13. Januar 2020, 23:30 Uhr