100 Jahre: Die bewegte Geschichte der Kunsthalle Worpswede
Otto Modersohn, Paula Modersohn-Becker, Fritz Mackensen machten den kleinen Ort in der Nähe von Bremen berühmt. Aber nicht nur sie – auch Andy Warhol war dort schon zu sehen.

Roter Backstein, rund und eckig verbaut, ein Eingang aus Glas, darüber das spitze schwarze Kegeldach – die Kunsthalle Worpswede empfängt ihre Besucher in modernem Stil. Hervorgegangen ist sie aus einer kleinen Galerie. Der Grundstein der Kunsthalle Worpswede wurde 1919 gelegt, als Galerie in der Ortsmitte. Friedrich Netzel, der Sohn des gleichnamigen ortsansässigen Buchbinders kaufte sich ein Haus und zog mit seiner jungen Frau ein. In der Bergstraße hatte ab sofort die zeitgenössische Kunst aus dem Ort ein eigenes Zuhause, berichtet Kunsthistorikerin Gesa Jürß: "Hier haben ganz viele wichtige Ausstellungen stattgefunden, mit Künstlern, die zum damaligen Zeitpunkt hier in der Region nicht so vertreten waren und für die es eher ungewöhnlich war, dass sie in so einem kleinen Ort gezeigt worden sind."
Geschäftsführerin der Kunsthalle gehört zur Gründerfamilie
Seit 30 Jahren ist Susanna Böhme-Netzel Geschäftsführerin der Kunsthalle Worpswede – und Teil der Gründerfamilie. Durch sie leben die Visionen der Netzels weiter. Sie verwaltet das Erbe aus drei Generationen von Kunstsammlern und Händlern. "Meinem Mann war es wichtig, dass die Bilder nicht im Depot stehen, sondern: Bilder sind gemalt, damit sie gesehen werden. Das waren auch Botschafter", sagt sie.

Schon am Eingang der Kunsthalle gibt es Kunst zum Anfassen: Eine Bronze-Skulptur von Bernhard Hoetger. Über die Skulptur weiß Böhme-Netzel folgendes zu berichten: "Das ist eine Ausdruckstänzerin, die er in den 1920er Jahren hier in Worpswede hatte, für die er im Café Worpswede sogar die Bühne gebaut hat. Und das ist sozusagen das Symbol der Weiblichkeit und ein wichtiger Teil der Ausstellung."
Jubiläumsausstellung zeigt alte Worpsweder Künstler
Zur Jubiläumsausstellung, die vom 17. März bis 3. November 2019 geht, werden die Wände in sattem Nachtblau und tiefem Weinrot frisch gestrichen. Die gold- und holzgerahmten Ölbilder, Skizzen und Grafiken der berühmtesten Worpsweder Künstler Fritz Mackensen, Paula Modersohn-Becker oder auch Heinrich Vogeler lehnen an den noch leeren Museumswänden und warten auf ihren Platz an der Wand. "Es ist eine dreiteilige Ausstellung mit alten Worpsweder Künstlern. Im Gang gibt es außerdem Graphik zu sehen und im vorderen Raum wird eine Wechselausstellung stattfinden mit Werken von Künstlerinnen wie Hedwig Wührmann, Marie Bock oder Paula Modersohn-Becker", erklärt Kunsthistorikerin Gesa Jürß.

Noch wird konzentriert aber kreativ geplant, gesucht, getauscht. Beim Durchstöbern des hauseigenen Kunstkellers tauchen immer wieder neue Erinnerungsstücke aus der Gründungszeit der Galerie auf, darunter alte Webstühle. Besonders schwierig war die Zeit nach den beiden Weltkriegen, denn die Nachfrage nach Kunst war gering. Schwiegermutter Maria Netzel machte deshalb in den Jahren nach 1945 aus der Galerie eine Weberei und verkaufte Stoffe. Auch das reichte kaum zum Überleben, deshalb versuchte sie es später mit einem mobilen Kunsthandel, erinnert sich Susanna Böhme-Netzel.
Die Geschichte, die ich nur aus Erzählungen kenne: Dass meine Schwiegermutter damals sich ihr Fahrrad geschnappt hat, wertvolle Paula-Modersohn-Becker-Bilder unter den Arm geklemmt, und diese ihren Bremer Kunden angeboten hat – für relativ kleines Geld.
Susanna Böhme-Netzel, Geschäftsführerin Kunsthalle Worpswede
Als Andy Warhol und Roy Lichtenstein in Worpswede zu Gast waren
Zu den absoluten Höhepunkten der vergangenen 100 Jahre Kunsthalle zählen vor allem die Sonderausstellungen in den 1970er und 80er Jahren. Zum ersten Mal war zeitgenössische Kunst aus der DDR zu sehen und durch Verbindungen Netzels nach New York konnten sich Fans die neuen Pop Art-Werke von Andy Warhol, Man Ray und auch Roy Lichtenstein anschauen. "Das hat die Leute umgehauen, diese Überraschungsausstellungen", weiß Böhme-Netzel.
Heute muss sich die Kunsthalle Worpswede immer wieder neu erfinden. Denn deutschlandweit geht die Zahl der Museumsbesuche zurück. Im vergangenen Jahr kamen rund 20 Prozent weniger Besucher als vorher. Das spüre man auch in Worpswede, bestätigen Böhme-Netzel und Jürß. Im Schnitt kommen zwischen 60.000 und 70.000 Besucher pro Jahr. Das lässt sich steigern, hoffen die beiden Frauen, denn schließlich hängen hier all die Originale von Modersohn, Overbeck und Vogeler.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 14. März 2019, 7:36 Uhr