75 Jahre Grundgesetz: Das steckt hinter der "Bremer Klausel"
Mit Artikel 141 hat Bremen damals Revolutionäres im Grundgesetz durchgesetzt: Landesrecht kann Bundesrecht brechen. Doch was genau verbirgt sich hinter der Klausel?
Das Grundgesetz wird heute 75 Jahre alt. Beschlossen wurde es am 23. Mai 1949 vom Parlamentarischen Rat in Bonn – weit weg von Bremen. Im Auftrag der westlichen Besatzungsmächte verhandelte und genehmigte der Rat von September 1948 bis Juni 1949 eine Verfassung für den westdeutschen Staat. Der Rat bestand aus 65 stimmberechtigten Mitgliedern, die aus den Länderparlamenten der drei westlichen Besatzungszonen gewählt wurden. Das Grundgesetz enthält eine sogenannte Bremer Klausel – davon wissen aber nur noch die wenigsten.
Renate Meyer-Braun weiß, was die Bremer Klausel ist. Die frühere Hochschulprofessorin und Historikerin, geboren 1938, kennt sich bestens mit der Regionalgeschichte Bremens nach 1945 aus: Sie erzählt, die Bremer Klausel sei aus der Diskussion darum entstanden, ob es konfessionsgebundenen Religionsunterricht an Schulen geben sollte. Konfessionsgebunden bedeutet, dass in Übereinstimmung mit den Grundsätzen einer Religionsgemeinschaft unterrichtet wird – in diesem Fall in Übereinstimmung mit dem christlichen Glauben.
Bremisches Gesetz widersprach neuem Bundesgesetz
Denn bei der Schaffung des Grundgesetzes hatte die CDU mit Artikel 7 Absatz 3 Satz 1 durchgesetzt, dass Religion ein ordentliches Fach an Schulen sein sollte – mit konfessionsgebundenen Inhalten. "Ordentlich" heißt, dass es ein Pflichtfach ist. Diese gesetzliche Bestimmung widersprach aber der Bremischen Landesverfassung von 1947, die an staatlichen Gemeinschaftsschulen konfessionsfreien Unterricht in Biblischer Geschichte – auf "allgemein christlicher Grundlage" vorsah, erklärt Meyer-Braun, aber eben nicht konfessionsgebunden.
Durch den Zuzug von Flüchtlingen aus Schlesien und den damaligen Ostgebieten gab es in Bremen eine Reihe von Katholiken, schildert Meyer-Braun. Die Bremer Landesverfassung sorgte für Aufruhr unter den Katholiken, die gegen die "gottlose" Bremer Verfassung demonstrierten.
Bremer Klausel schränkt das Bundesgesetz ein
Initiator der Bremer Klausel war der linke Bremer SPD-Senator Adolf Ehlers. Er stellte am 18. Januar 1949 einen Antrag und nannte im Parlamentarischen Rat einige Argumente, die für einen konfessionsfreien Religionsunterricht sprachen. Wie beispielsweise, dass konfessionsgebundener Unterricht keine wissenschaftliche Grundlage habe und deswegen als Schulfach ungeeignet sei.
Niemand Geringeres als Theodor Heuss, der später Bundespräsident wurde, sprang Ehlers zur Seite. Heuss und andere Liberale unterstützten Ehlers Antrag, sodass er nach langer Diskussion eine Mehrheit im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rats bekam.
Schließlich wurde die Bremer Klausel als Zusatz in die Verfassung geschrieben. In Artikel 141 des Grundgesetzes steht ganz nüchtern: "Artikel 7 Absatz 3 Satz 1 findet keine Anwendung in einem Land, in dem am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand".
Das bedeutet, dass die gesetzliche Vorschrift über konfessionsgebundenen Religionsunterricht nicht in Bundesländern wie Bremen gilt, in denen die Landesverfassung eine andere Regelung vorsieht.
Das zur Geschichte der "Bremer Klausel". Das ist mal richtig was zum Vorzeigen. Nicht zuletzt, weil Landesrecht hier einst Bundesrecht gebrochen hat.
Renate Meyer-Braun, ehemalige Hochschulprofessorin und Historikerin
Damit ist die Bremer Klausel eine Ausnahmeregelung, die die grundgesetzlichen Bestimmungen über Religionsunterricht in einigen Regionen Deutschlands einschränkt. Dadurch wird die Einführung anderer Unterrichtsformen ermöglicht, die nicht den gesetzlichen Vorgaben über klassischen Religionsunterricht entsprechen. Bremen hat mit Artikel 141 also durchgesetzt, dass Landesrecht Bundesrecht brechen kann.
Religionsunterricht am Puls der Zeit
2014 kam noch einmal Bewegung in die Sache: An Bremer Schulen heißt das Fach Biblische Geschichte seitdem schlicht Religion. Das Fach wendet sich an alle Schülerinnen und Schüler – egal welche religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sie haben. Denn Religionsunterricht beschäftigt sich heutzutage auch mit anderen nicht-christlichen Religionen und Themen. So sieht es der Bildungsplan vor.
Trotz der interreligiösen Ausrichtung halten die Schulen weiter an dem Zusatz "auf allgemein christlicher Grundlage" fest. Schließlich hat der christliche Glaube die westeuropäische Kultur maßgeblich geprägt. Gleichzeitig treffen im Klassenzimmer Kinder aus religionsferneren Familien mit Kindern unterschiedlicher Glaubensrichtungen zusammen.
Christina Lange ist Religionslehrerin am Gymnasium an der Hamburger Straße in Bremen: "Ich denke, es entspricht einfach unserer Realität viel mehr, und ich finde es auch sehr befriedigend, dass einfach alle gemeinsam in den Klassen unterrichtet werden und dass nicht jeder dann in den Unterricht seiner eigenen Religionsgemeinschaft geht."
Religionsunterricht heutzutage ist vielfältig: So geht es im Religionsunterricht unter anderem um die aktuelle Weltlage, wie zum Beispiel um die Rolle der Weltreligionen im Nahostkonflikt. Gerade in dieser Zeit sei es wichtig, Vorurteilen zu begegnen, miteinander zu lernen und voneinander zu erfahren, sagt Lehrerin Lange. Auch dafür steht Artikel 141.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 24. Mai 2024, 8:36 Uhr