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Prozess in Bremen: Warum ist der Begriff Ehrenmord problematisch?

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Bild: dpa | Karl-Josef Hildenbrand

Ein 24-Jähriger soll seine Schwester getötet haben, weil er mit ihrem Lebensstil nicht einverstanden war. Was man über solche Taten wissen muss und welcher Begriff sich eignet.

In Bremen wird das Urteil in einem Prozess erwartet, in dem es um einen sogenannten Ehrenmord geht: Die Bremer Staatsanwaltschaft wirft dem 24-jährigen Angeklagten vor, dass er mit dem Tod seiner Schwester vermeintlich die Ehre der Familie habe wiederherstellen wollen. Er sei mit dem Lebenswandel seiner Schwester nicht einverstanden gewesen, räumte der Angeklagte vor Gericht ein. Die 23-Jährige habe sich mehrfach mit Männern getroffen und sei nachts nicht nach Hause gekommen. Das sollten Sie zu solchen Taten wissen.

Manche sprechen bei dem Fall von einem "Ehrenmord". Warum ist der Begriff problematisch?

Der Begriff Ehrenmord ist umstritten. Die Bremer Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm hält den Begriff sogar für unangebracht. "Er suggeriert, dass es ein Fehlverhalten einer Frau gibt, das die Ehre des Täters in einer Form verletzt hat, dass er dadurch zum Mord angestiftet wird oder keine andere Wahl hatte – der Begriff übernimmt also die Begründung der Täter", erklärt sie auf Anfrage von buten un binnen.

Bettina Wilhelm
Hält Femizid für den angebrachten Begriff: Bremens Frauenbeauftragte Bettina Wilhelm. Bild: Bremische Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau

Wilhelm plädiert dafür, stattdessen den Begriff Femizid zu verwenden. "Femizid bezeichnet den Mord an einer Frau wegen ihres Geschlechts: wegen Vorstellungen geschlechtsbezogener Ungleichwertigkeit oder weil sie sexistischen Rollen- und Verhaltenserwartungen nicht entspricht, weil sie ein selbstbestimmtes Leben führt, das sich der Kontrolle des Täters entzieht." Tatsächlich gehe es um patriarchale Machtbehauptung, betont Wilhelm.

Der Begriff Ehrenmord verdeckt damit die eigentlichen Ursachen der Tat. Dasselbe gilt übrigens für die oft verwendeten Begriffe Beziehungstat oder Familiendrama.

Bremer Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm

Ist Femizid der einzige Begriff, den Experten als Alternative vorschlagen?

Nein, in der Debatte gibt es noch eine weitere Bezeichnung, nämlich den "Feminizid". Er sei spezifischer, erklärt die Frauenrechtsorganisation Terre de Femmes. "Während der Begriff Femizid auch verwendet werden kann, um jeglichen Mord an Frauen zu beschreiben, versucht der Begriff des Feminizids die Geschlechtsbasiertheit und patriarchale Motivation des Mordes deutlicher hervorzuheben. Durch den Begriff Feminizid soll klargestellt werden, dass zwar alle Feminizide Tötungen von Frauen sind, aber nicht alle Tötungen von Frauen sind patriarchalisch motiviert", heißt es in einem Positionspapier von Terre des Femmes.

Wo verläuft die Grenze zwischen den Begriffen Ehrenmord und Femizid?

Beide Begriffe stünden für Tötungen, "in denen die Sozialisation des jeweiligen Täters und seine Wahrnehmung von der 'Rolle der Frau' oder ihrem 'richtigen Verhalten' entscheidend für seine Handlung ist", schreiben Yamina Lourghi und Elisabeth Gernhardt von Terre des Femmes. Der entscheidende Unterschied sei jedoch, dass sich hinter dem Begriff Ehrenmord eine Vielzahl an Rollenbildern verberge, die den jeweiligen Familienmitgliedern unterschiedliche Teilhabemöglichkeiten am gesellschaftlichen Leben zusprechen. Wichtig sei hierbei, dass Frauen eben nicht die gleichen Möglichenkeiten wie Männern zuerkannt würden, betonen die Expertinnen. "Brechen sie aus diesen Rollen heraus, laufen sie Gefahr, von einem Kollektiv an Personen physisch oder psychisch erpresst, bedroht und sogar ermordet zu werden."

Sogenannte Ehrenmorde sind also nicht als Einzeltaten zwischen zwei beteiligten Personen (Betroffene und Täter) zu begreifen.

Yamina Lourghi und Elisabeth Gernhardt von Terre des Femmes

Bei sogenannten Ehrenmorden sei ein innerhalb der Gemeinschaft ausgehandelter "Regelkodex" für alle der Gemeinschaft angehörigen Personen verbindlich. Auch Männer könnten demnach durch Ehrgewalt tödlich getroffen werden, heißt es in dem Positionspapier.

Wie werden Femizide strafrechtlich geahndet?

"Ein eigener Straftatbestand Femizid muss intensiv geprüft werden", ist die Auffassung der Bremer Frauenbeauftragten Bettina Wilhelm. Derzeit gibt es ihn nicht im Strafgesetzbuch.

Porträt von Sönke Gerhold
Findet das Strafrecht deckt Femizide bereits ab: Jura-Professor Sönke Gerhold. Bild: Universität Bremen | Matej Meza

Sönke Gerhold, Professor für Strafrecht an der Universität Bremen, erklärt, warum es aus seiner Sicht keinen gesonderten Straftatbestand Femizid braucht: "Im Rahmen der Strafzumessung bestimmt § 46 Abs. 2 Nr. 1 StGB ausdrücklich, dass eine auf das Geschlecht bezogene menschenverachtende Gesinnung strafschärfend berücksichtigt werden muss, wenn sich die Tat nicht ohnehin als Mord mit absoluter Strafdrohung erweist." Aus diesem Grund bedarf es seiner Meinung nach keiner Aufnahme von sogenannten Ehrenmorden und Femiziden in das Strafgesetzbuch. Entsprechende Verhaltensweisen seien bereits strafbar und regelmäßig mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu ahnden, erklärt er.

In allen anderen Fällen ist die der Tat zugrunde liegende frauenfeindliche Grundhaltung als bestimmender Strafzumessungsgrund anzusehen.

Sönke Gerhold, Professor für Strafrecht an der Universität Bremen

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Bild: Radio Bremen

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Autorin

  • Patel Verena
    Verena Patel Redakteurin und Autorin

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 31. Mai 2024, 19:30 Uhr