Interview
Darum ticken Bremen und Bremerhaven politisch so unterschiedlich
In Bremen wird es wohl mit Rot-Rot-Grün weiter gehen. In Bremerhaven aber hat sich die SPD für Verhandlungen mit CDU und FDP und gegen die Grünen entschieden. Wie kommt das?
Bremen und Bremerhaven trennen nicht nur rund 55 Kilometer Luftlinie. Auch die politische Landschaft ist eine andere: In Bremerhaven verhandeln SPD, CDU und FDP über die Fortführung der bisherigen Stadtregierung. In Bremen gibt es dagegen wieder Verhandlungen über einen rot-rot-grünen Senat. Der Bremer Politikwissenschaftler Andreas Klee erklärt die politischen Unterschiede zwischen den beiden Städten im Interview.
Herr Klee, wo liegen die Unterschiede in der politischen Landschaft zwischen Bremen und Bremerhaven?
Zunächst muss man sagen, es gibt eine große politische Gemeinsamkeit, das ist die Dominanz der SPD. Egal, was die Leute gewählt haben: Die SPD ist immer beteiligt. Und in Bremerhaven ist das schon besonders kurios. Da gab es durchaus ernstzunehmende Versuche der Wählerinnen und Wähler, die SPD aus der Regierungsverantwortung zu wählen.
Aber die haben es immer wieder geschafft, teilweise auch über skurrile Koalitionen – wenn man die Ausrichtungen der Parteien betrachtet. Im Moment regieren SPD, CDU und FDP miteinander. Positiv formuliert ist das schon ein sehr großer Pragmatismus, dass man irgendwie versucht, eine Regierungsmehrheit hin zu bekommen – auch über ideologische Grenzen hinweg.
So unterscheidet sich die Sitzverteilung zwischen Bremen und Bremerhaven
Im Gegensatz zu Bremerhaven wäre in Bremen eine Koalition mit FDP und SPD im Senat momentan schwer denkbar. Liegt das nur an den Sozialdemokraten oder ist die FDP in Bremerhaven auch pragmatischer?
Die ist pragmatischer, weil sie auch die Option hat, als sogenannte Königsmacherin zu agieren. Eine Regierungskonstellation mit zwei Partnern ist in Bremerhaven inzwischen nicht mehr möglich, weil die beiden großen sogenannten Volksparteien zu schwach sind. So versucht man sich mit der FDP den schwächsten Partner ins Bündnis zu holen, damit es reicht, um über die 50 Prozent zu kommen.
Die FDP wird mit der Machtoption geködert, dass sie mitbeteiligt ist. Sie schwächt dadurch aber ihre Inhalte immer weiter, weil sie zu klein ist, um in dem Dreierbündnis wirklich Inhalte mitbestimmen zu können.
Andreas Klee, Politikwissenschaftler der Uni Bremen
In Bremen hat sich die CDU auch klimapolitisch profiliert – zum Beispiel mit Wiebke Winter und Martin Michalik. In Bremerhaven aber scheint die CDU im Gegensatz dazu auf konservativere Themen zu setzen. Ist da was dran?
Es gibt in Bremerhaven schon seit Ende des Zweiten Weltkriegs eine Konstante rechts von der CDU. Die NPD war in den Anfangsjahren beteiligt, die DVU (Deutsche Volksunion, Anm. d. Red.) war über lange Jahre stark, abgelöst durch die BiW. Und auch die AfD, die in Bremerhaven für das Stadtparlament angetreten ist, hat wieder eine Rolle gespielt.
Für die CDU bedeutet das in Bremerhaven, dass sie immer auf der Hut ist, nicht noch mehr Wählerinnen und Wähler nach rechts zu verlieren. Das ist die große Herausforderung, die im Bremerhavener Stadtparlament seit gefühlt 50 Jahren eine Rolle spielt. Deshalb ist die CDU hier eher konservativer eingestellt – auch im Vergleich zur Bremer CDU.
Und wie kommen diese Unterschiede zustande? Gibt es ein unterschiedliches Wählermillieu in den beiden Städten?
Ja, das ist offensichtlich so. Es gibt nicht den finalen Erklärungsansatz. In der jüngeren Zeit werden die Unterschiede häufig aufgrund der Strukturschwäche Bremerhavens erklärt, sodass man sagt: Es gibt mehr Unzufriedene. Das erklärt aber nicht die frühen Wahlerfolge. Wie schon gesagt, sind von Anbeginn rechte Parteien im Stadtparlament vertreten. Das war noch zu Zeiten, als Bremerhaven ein prosperierender Wirtschaftsstandort war, wo Hafen und Werften und amerikanische Kasernen noch da waren und es nicht die heutigen Probleme gab.
Deshalb muss man sich andere Traditionslinien angucken. Es gibt unterschiedliche Thesen, dass es etwas mit einer sehr alten Prägung aus der Zeit des Kaiserreichs zu tun hat. Ein anderer Erklärungsansatz: Viele Vertriebene sind nach dem Zweiten Weltkrieg in die Region gekommen, die dann im Sinne von "Wiederherstellung von alten Reichsgebieten" eine gewisse Denktradition mitgebracht haben. Diese Begründungen sind aber noch nicht hinreichend belegbar.
Man kann nicht sagen: Bremerhaven ist arm, deshalb gibt es dort ein hohes Protestpotenzial, deshalb wählen die rechts. Dafür ist die Tradition zu lang.
Andreas Klee, Politikwissenschaftler der Uni Bremen
Könnte auch die Größe der Stadt mit dem unterschiedlichen Wahlverhalten zusammenhängen? In Großstädten sind linke Parteien ja oft erfolgreicher...
In der Stadt Bremen gibt es zum Beispiel für die Linken und die Grünen ein höheres Potenzial an Wählerinnen und Wählern. Gerade die Grünen werden eher von Akademikerinnen und Akademikern gewählt. Aber die Unterschiede zwischen den Millieus sind proportional nicht so groß, dass sich damit das ganze Wahlverhalten erklären lässt.
Es gibt eine spezifische politische Kultur in Bremerhaven. Mit dem Fallen der Fünf-Prozent-Hürde im Jahr 2011 hat die Zersplitterung zugenommen. Weil Bremerhaven kleiner ist, haben Parteien eher die Möglichkeit, Menschen über direkte Ansprache zu erreichen.
Zudem braucht in Bremerhaven bei den absoluten Stimmzahlen gar nicht so viele Stimmen, um schon recht erfolgreich zu sein. Deshalb gibt es in Bremerhaven zum Beispiel viele Abspaltungen, neue Gruppen. Die Mischung aus Kleinheit, Wahlrecht und politischer Tradition führt dazu, dass Bremerhaven ein unruhiges politisches Pflaster ist.
Die Wahlbeteiligung lag in Bremerhaven bei 44 Prozent – in Bremen bei knapp 60 Prozent. Zeigt das, dass sich die Bremerhavener nicht vom Bremer Senat vertreten fühlen?
Wir haben wirklich das Problem, dass die SPD in Bremerhaven sehr "flexibel" ist in ihren Koalitionsfindungen – noch flexibler, als auf Landesebene. Das erweckt schon den Eindruck, dass es am Ende darum geht, die Machtoptionen zu erhalten und was inhaltlich dahinter steht, ist erstmal zweitrangig. Das schlägt sich in Bremerhaven auch immer deutlicher in der Wahlbeteiligung nieder.
Bei einer Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent stellt sich insgesamt eine Frage der Legitimität des Systems.
Andreas Klee, Politikwissenschaftler der Uni Bremen
Wenn man sagt, Demokratie ist die Idee, dass die Gewählten eigentlich alle repräsentieren sollen, dann ist das schon etwas, was sich die Akteure angucken müssen.
Die Bürger in Wut (BiW) sind in Bremerhaven mit knapp 20 Prozent noch mal deutlich stärker, als in Bremen. Wäre eine Koalition mit den BiW in den nächsten Jahren auch eine Machtoption für die CDU?
Ganz rational betrachtet entstehen Machtoptionen immer dort, wo es Machtmöglichkeiten gibt, wie der Name schon sagt. Wenn die BiW sich als verlässliche, berechenbare Partei präsentiert und ihre Hausaufgaben macht – zum Beispiel im Hinblick auf Menschen, die in nicht-demokratischen Kreisen unterwegs sind –, dann kommt man da nicht drumherum.
Und dann ist es auch in Ordnung. Wenn es eine rechtskonservative Partei ist, die einem vielleicht persönlich nicht passt, dann ist das eine Sache. Aber wenn die ihre Arbeit vernünftig macht, sich innerhalb der demokratischen Grundordnung bewegt und deutlich nach rechts abgrenzt, dann muss man auch damit umgehen. Ich glaube, dass die CDU es noch ausschließen kann, dauerhaft aber nicht. Und in Bremerhaven geht es vielleicht noch einen Tick schneller als anderswo.
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Sonntag aus Bremerhaven, 4. Juni 2023, 12:20 Uhr