Fragen & Antworten
Wenn ein Mitschüler stirbt: Das kann Betroffenen helfen
Eine Psychotherapeutin erklärt, wie Lehrer und Schüler mit tragischen Todesfällen von Mitschülern umgehen können.
Beim Sturz aus einem Fenster in großer Höhe ist ein Schüler am Bremerhavener Lloyd-Gymnasium ums Leben gekommen. Betreuungskräfte und Notfallseelsorger kümmerten sich um die Schülerinnen, Schüler und das Personal. Die betroffene Klasse erhielt auch am Tag drauf seelsorgerische Betreuung statt Unterricht. Wie man Betroffenen in einem solchen Fall helfen kann, erklärt Amelie Thobaben, Präsidentin der Psychotherapeutenkammer Bremen.
Frau Thobaben, was macht ein Erlebnis wie der Tod des Schülers in Bremerhaven mit Angehörigen und Augenzeugen?
Die unmittelbaren Angehörigen befinden sich wahrscheinlich noch in einem Schockzustand, indem sie das Geschehene noch nicht realisieren können. In einer solchen akuten Krise reagieren viele Menschen zum Beispiel mit Schlafstörungen, oder Konzentrationsschwierigkeiten. Sie grübeln, sind abgelenkt, können an nichts Anderes denken. Das sind erstmal ganz normale Reaktionen auf ein solches Erlebnis. Man kann das in einem ersten Schritt abfangen mit guten Beschäftigungen. Jugendlichen würde ich empfehlen, Freunde zu treffen, Sport zu machen, oder, falls vorhanden, sich mit dem Haustier zu beschäftigen. Tiere sind Gold wert in solchen Situationen. Für Erwachsene käme hier Gartenarbeit, aufräumen oder putzen in Frage.
Warum solche praktischen Dinge?
Weil sie dem Gehirn etwas zu tun geben. In einer akuten Krise ist die Konzentration gestört, es gibt viel innere Unruhe. Da benötigt das Gehirn etwas, das sehr simpel ist. Solche simplen Tätigkeiten bewirken, dass das Gehirn leichter zur Ruhe kommt.
Wie kann eine Schulgemeinschaft mit einem solchen Erlebnis umgehen?
Ein erster Schritt ist es, die Gruppe als Ganzes seelsorgerisch zu unterstützen, wie es hier geschehen ist. Durch eine gemeinsame Betroffenheit können sich Menschen gegenseitig eine Hilfe sein. Wenn beispielsweise ein Freund verstorben ist, dann können gemeinsame Freunde anders mitfühlend sein als andere Personen, die diese Beziehung zum Verstorbenen nicht hatten.
Es kann Menschen in solchen Situationen helfen, wenn man mal Essen vorbei bringt, im Haushalt hilft oder Kinder betreut.
Amelie Thobaben, Präsidentin der Psychotherapeutenkammer Bremen
Welche Hilfen gibt es noch?
Nachdem die akute Krisensituation abgefangen ist, wird es um die Frage gehen, für welche Menschen das Erlebte zu einer behandlungsbedürftigen Belastung führen kann. Denn Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf solche Erlebnisse. Wer bereits vorher in psychischer Not war, auf den kann das einen besonderen Effekt haben. Wer bereits zu einem früheren Zeitpunkt ein schlimmes Erlebnis hatte, erfährt möglicherweise, dass es durch die aktuelle Situation reaktiviert wird. Gerade hier, aber auch ohne besondere Vorgeschichte gibt es die Möglichkeit für Kassenpatienten, eine sogenannte psychotherapeutische Sprechstunde in Anspruch zu nehmen. Die bieten Psychotherapeutinnen und -therapeuten mit Kassenzulassung in der Regel zeitnah an. Dort kann man gemeinsam schauen, ob eine Behandlung empfehlenswert wäre.
Wie kann man als Freundin oder Freund betroffene Menschen unterstützen?
Indem man unaufdringlich Hilfe anbietet. Das können ganz unterschiedliche Dinge sein, je nachdem, was sich der Betroffene wünscht. Das kann darüber reden sein, aber auch einfach, zusammen Zeit zu verbringen, ohne über das Thema zu sprechen. Es kommt natürlich immer auf die Beziehung zwischen den Personen an, wie nah sie sich sind. Es kann Menschen in solchen Situationen helfen, wenn man mal Essen vorbei bringt, im Haushalt hilft oder Kinder betreut. Man sollte wahrnehmen, wo der Bedarf gerade liegt und fragen, wie man helfen kann.
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Rundschau am Nachmittag, 5. Oktober 2023, 16 Uhr