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Werder-Coach Werner: "Füllkrug war für mich ein WM-Top"
Es ist die Zeit im Jahr, in der man zurückblickt. Ole Werner schaut im Sportblitz-Interview auf sein erstes Jahr bei Werder, die Rolle von Füllkrug und geerdete Profis.
Herr Werner, es ist die Zeit im Jahr, in der man auch zurückblickt. Bei Ihnen war jede Menge los, seit Sie vor einem Jahr nach Bremen gekommen sind. Welcher Moment sticht für Sie persönlich heraus?
Nach wie vor der Aufstiegstag, weil wir daran ein ganzes Jahr gearbeitet haben. Für mich im Besonderen auch die ersten Arbeitstage, das erste Zusammenkommen mit der Mannschaft, dem Staff. Ich hatte vom ersten Moment an ein super Gefühl. Ich bin mit Patrick Kohlmann abends ins Hotel gefahren und habe zu ihm gesagt: 'Ich habe das Gefühl, wir haben da richtig viele gute Leute sitzen.' Das ist mir in Erinnerung geblieben. Aber bei der Erstliga-Saison fällt es mir schwer, jetzt schon Momente herauszuziehen. Wir sind ja noch mittendrin.
Aber es sind zumindest bereits 15 Spiele absolviert. Gibt es ein Highlight der bisherigen Bundesliga-Saison?
Man könnte es sich jetzt einfach machen und sagen: der Gladbach-Heimsieg oder Dortmund auswärts. Das waren sicherlich außergewöhnliche Spiele. Aber für mich war in den letzten Wochen einfach total wichtig, wie wir nach einer englischen Woche mit zwei Niederlagen und dem Aus im Pokal mit guter Leistung gegen Hertha und Schalke zurückgekommen sind und zwei immens wichtige Spiele gewonnen haben.
Das stimmt mich positiv, dass wir auf schwierige Phasen gut reagiert haben. Ich glaube, das wird für uns sehr wichtig nach dem Winter: Dass wir bei uns bleiben, uns unserer eigenen Stärken bewusst sind und wissen, dass wir hart arbeiten müssen. Aber wenn wir das tun, erfolgreich sein können.
Trotzdem war der 3:2-Sieg in Dortmund fast schon ein Jahrzehnt-Spiel. War das Spiel auch entscheidend für den weiteren Saisonverlauf?
Jeder Sieg ist für einen Aufsteiger zu Beginn einer Saison wichtig, damit man sieht, dass Dinge funktionieren. Das ist eine ganz wichtige Erkenntnis, die wir zum Glück nicht erst in Dortmund hatten. Aber das Spiel hat den Glauben nochmal geschärft, dass es sich immer lohnt, bis zur letzten Minute an sich zu glauben. Das Besondere an dem Spiel war, dass es nicht unverdient war. Denn wir hätten von der Leistung schon vorher verdient gehabt, in Führung zu gehen. Wir haben gemerkt, dass wir mithalten und sogar gewinnen können, wenn wir ans Limit gehen.
Sie sprechen schon sehr routiniert über die Bundesliga, trotzdem sind sie ja noch Trainer-Neuling. Was hat Sie an der Bundesliga überrascht, was haben Sie gelernt?
Gelernt habe ich jeden Tag etwas. Das bringt aber vielleicht auch der Beruf an sich mit, bei dem man nicht so genau weiß, was am nächsten Tag auf einen zukommt. In der Bundesliga hat es mich zwar nicht überrascht, aber der größte Unterschied ist die individuelle Qualität der Spieler und die Geschwindigkeit, in der Dinge passieren. Ich erkläre das immer gerne so: Wenn es in der 2. Liga an der Mittellinie einen Ballverlust gibt, steht es fünfzig zu fünfzig, dass es eine Torchance wird. In der Bundesliga ist es zu 100 Prozent eine Torchance. Die Qualität, in der Fehler ausgenutzt werden, ist ein Riesen-Unterschied zur 2. Liga.
Sie haben die WM schon wegen Ihrer Spieler Füllkrug und Veljkovic verfolgt. Was sind für Sie die Tops und Flops?
Als Top sicherlich Argentinien als verdienter Weltmeister mit der Leistung auf dem Platz und auch als Stimmungs-Weltmeister, wenn man sich anschaut, wie die Mannschaft von den Fans unterstützt wurde. Aber auch der Auftritt von Niclas Füllkrug war für mich, als jemand, der ihn kennt und mit ihm arbeitet und seine Leistung einschätzen kann, durchaus auch ein Top.
Ein Flop insgesamt war dann doch die Stimmung in den Stadien. Da hätte ich mir einfach gewünscht, dass man nach all den Jahren, wo auf Zuschauer verzichtet werden musste, jetzt eine WM mit mehr Stimmung hat und sie eher in einer klassischen Fußball-Nation stattfindet. Aber die WM hat ihre Geschichten und man wird sicher aus unterschiedlichen Gründen noch lange darüber sprechen.
Wie war Ihr Kontakt mit Niclas Füllkrug während des Turniers?
Wenn ein Spieler sein erstes Länderspiel macht und sein erstes Tor schießt, dann gratuliert man und das habe ich natürlich auch getan. Und genauso habe ich mit 'Fülle' nach dem Ausscheiden Kontakt gehabt, um den Urlaub und die Trainingspläne zu besprechen und wann er wieder bei uns ist. Aber bei der Nationalmannschaft hatte er genügend Ansprechpartner, da brauchte er nicht noch Tipps vom Werder-Trainer.
Füllkrug ist nach seinem Auftritt natürlich interessant geworden. Wie sehr gehen Sie davon aus, dass er über den Winter hinaus in Bremen bleibt?
Ja, ich plane absolut mit ihm. Ich habe keine Veranlassung von etwas anderem auszugehen. Natürlich ist es immer so, wenn Spieler auffallen, fällt es eben nicht nur uns auf und es wird dann medial in der WM-Pause als Thema genommen. Ich glaube, 'Fülle' fühlt sich hier sehr wohl. Er hat hier eine ganz große Bedeutung für die Mannschaft und den Verein und ist sich dessen auch bewusst.
Mit Max Kruse gab es vor nicht allzu langer Zeit schon einen Spieler, der sehr wichtig für Werder war und dann irgendwann nicht mehr da war. Fürchten Sie, dass eine zu große Abhängigkeit von Füllkrug eine Gefahr sein könnte?
Am Ende stehen ja trotz alledem elf Leute auf dem Platz. Und jeder bringt seine bestmögliche Leistung, das macht 'Fülle' auch. Genauso macht das die Mannschaft, die ihn unterstützt, seine Leistung zu bringen. Wir arbeiten für den Mannschaftserfolg. Werder Bremen wird in überschaubarer Zukunft immer ein Verein sein, der natürlich auch darauf angewiesen ist, hier und da mal Spieler abzugeben, um sich wirtschaftlich zu konsolidieren. Da spreche ich gar nicht speziell 'Fülle' an. Uns werden generell mal Spieler verlassen und wir müssen neue Spieler kaufen oder aus dem eigenen Nachwuchs entwickeln. Das gilt eigentlich für jeden deutschen Verein, außer vielleicht Bayern München. Das ist ganz normal.
Florian Kohfeldt hat sich hin und wieder mit dem erfahrenen Thomas Schaaf ausgetauscht. Haben Sie auch jemanden an Ihrer Seite, mit dem Sie über das Trainerdasein oder den Fußball sprechen?
Die meisten Themen, die mich beschäftigen, können die Leute im Verein am besten beurteilen. Die Co-Trainer und Clemens Fritz oder Frank Baumann (Sportlicher Leiter und Sportchef, Anm. d. Red.). Die können mir dann am besten Hilfestellung geben, weil sie es täglich miterleben. Ansonsten habe ich nicht den einen Ansprechpartner außerhalb des Vereins, keinen Mentor.
Trotzdem spreche ich gerne über Fußball und schaue über den Tellerrand. Ich arbeite seit längerem mit einer Sportpsychologin zusammen, mit der ich gewisse Dinge bespreche, die mich beschäftigen. Wenn Entscheidungen anstehen und die Frage ist, wie kommuniziert man das? Ist das eine richtige Idee, es so zu machen? Bei manchen Dingen tut es gut, eine Perspektive von außen zu bekommen. Aber die meisten Dinge des Alltäglichen bespreche ich mit dem Trainerteam.
Sie sind ein sehr bodenständiger Typ, haben neulich erzählt, dass sie wüssten, wie es ist, wenn man die Miete nicht zahlen kann. Nun arbeiten Sie mit sehr gut bezahlten, jungen Profis. Müssen Sie die manchmal erden?
Nein, tatsächlich nicht. Die allermeisten wissen, dass sie in einer sehr privilegierten Position sind. Dass sie aber auch viel dafür tun und auf vieles verzichten mussten, das wird manchmal ein bisschen vergessen. Und die allermeisten haben ein normales Leben um sich herum, das sie nicht völlig vergessen haben. Alle haben Eltern, die meistens nicht Fußball-Profis waren, beziehungsweise nicht unbedingt sehr viel Geld verdient haben müssen. Sie haben Freunde um sich herum, sind auch mal zur Schule gegangen und haben ein normales Leben mitbekommen.
Ich habe nicht das Gefühl, dass ich da jemanden auf den Boden der Tatsachen müsste und das ist ja auch nicht mein Job. Ich muss die Mannschaft gut einstellen und die Spieler weiterbringen in ihrer Entwicklung. Ansonsten habe ich schon das Gefühl, dass wir eine Kabine haben, in der sehr viele reflektierte Leute sind, die über den eigenen Tellerrand hinaus schauen und nicht nur das eigene Dasein im Blick haben.
(Das Gespräch führte Stephan Schiffner, aufgezeichnet von Petra Philippsen.)
Dieses Thema im Programm: Sportblitz, 20. Dezember 2022, 18:06 Uhr