Jan Ullrich: "Wollte nicht Verräter meines geliebten Radsports sein"
Er galt als Radsport-Jahrhunderttalent, doch Jan Ullrich stürzte tief. Heute wird er 50 und hofft mit seiner Dopingbeichte auf den Neustart, wie er bei 3nach9 bekennt.
Am Vorabend seines 50. Geburtstags war ihm kein Weg zu weit. Jan Ullrich fuhr am Freitag von Freiburg durch das Schneechaos nach Bremen, dort war er zu Gast in der Sendung 3nach9 von Radio Bremen.
Der Weg, den Deutschlands gefallener Radsportheld jedoch seit mehr als der Hälfte seines Lebens hinter sich hat, war ungleich beschwerlicher, belastender. Und der tiefe Absturz hätte ihn sogar fast sein Leben gekostet.
Ullrich war beim Tour-Sieg 1997 gedopt
"Ja, ich habe gedopt". Mit diesen vier kleinen Worten will sich Ullrich nun 26 Jahre nach seinem Tour-de-France-Sieg endlich von dieser großen Last befreien. Von seiner Lebenslüge. Gewusst hatte das eigentlich jeder, aber dieses Dopinggeständnis "auszusprechen, kam mir nicht über die Lippen", sagte Ullrich im Gespräch mit Giovanni di Lorenzo.
Ullrich galt als Jahrhunderttalent im Radsport, wurde 1996 bei seinem Tour-Debüt in Frankreich auf Anhieb Zweiter. Dass er damals bereits mit dem Doping begonnen hatte, wusste da noch niemand. Ein Jahr später holte Ullrich als erster deutscher Fahrer den Sieg bei der Tour de France. Die Fans lagen ihm zu Füßen, Ullrich stand nun auf einer Ebene mit Sportikonen wie Boris Becker oder Michael Schumacher.
Ullrich: "Pech gehabt, wenn du zu dumm bist"
2006 aber folgte der große Knall, man schloss Ullrich von der Tour de France aus, sein Rennstall Team T-Mobile warf ihn per Faxnachricht raus. Ullrich hatte sich vom spanischen Sportarzt Eufemiano Fuentes mit Blutdoping behandeln lassen, wie duzende andere Sportler auch. Der Arzt war aufgeflogen.
Mein Arzt wurde damals erwischt und es hieß einfach: Pech gehabt, wenn du zu dumm bist, um zu betrügen. Nimm es wie ein Mann.
Ex-Radprofi Jan Ullrich bei 3nach9
Natürlich habe sein Team damals gewusst, dass er dopt, betonte Ullrich nun. Er war schließlich nicht der Einzige. Doch das flächendeckende Doping im Radsport war damals noch nicht publik. "Ich wusste intern natürlich viel", erklärte Ullrich, "aber das waren meine Freunde und Kollegen. Ich hätte niemals einen Freund verraten, das ist nicht mein Charakter. Und es wäre nicht an der Wurzel angekommen. Das System hätte ich ja nicht aufdecken können."
Das Schweigen hat Ullrich "innerlich aufgefressen"
Ullrich schwieg, jahrelang. Seine Anwälte hätten ihm dazu geraten. Denn es ging auch um Strafverfahren gegen ihn, der Druck war immens. "Der Boden ist unter meinen Füßen aufgegangen, ich hatte keine Reißleine und bin nur noch gefallen."
Das Schweigen zerriss ihn, doch Hilfe konnte er nicht annehmen. So war er nicht sozialisiert worden. "Wenn du fällst, stehst du selbst wieder auf", so hatte man es Ullrich beigebracht, "aber dass ich es nicht alleine geschafft habe, konnte ich mir nicht verzeihen. Das hat mich innerlich aufgefressen."
Tiefer Absturz, fast tödlich
Alkohol, Drogen, falsche Freunde, die Ehe kaputt – Ullrich stürzte ab, kam dem Tod ein paar Mal gefährlich nahe. Zuletzt noch vor fünf Jahren.
Es war eine unbewusste Selbsterzerstörung, Hass auf sich selber. Ich konnte mich selbst nicht mehr im Spiegel angucken. Wenn man Kokain und harten Alkohol vermischt, ist man ein anderer Mensch. Und dann passieren so ekelige Sachen, auf die ich nicht stolz bin.
Ex-Radprofi Jan Ullrich bei 3nach9
An einem Tag rauchte Ullrich 700 Zigaretten. Er überlebte. Und fand endlich einen Weg, sich Hilfe zu suchen. Heute lebt er ohne Drogen und Alkohol, gefährdet wird er jedoch immer sein, das ist Ullrich bewusst. "Ich kenne ganz oben und ganz unten. Und jetzt habe ich meine Mitte gefunden und die fühlt sich stabil an. Ich jage nicht mehr den Extremen hinterher."
Ullrichs Rückkehr in den Radsport fraglich
Abgeschlossen hat Ulrich mit dem Radsport aber nicht. "Das war nicht mein Beruf, das war meine große Liebe. Und deshalb wollte ich auch nicht der Verräter meines geliebten Radsports sein." Doch trotz seiner späten Beichte ist es fraglich, ob Ullrich in anderer Funktion noch einmal beruflich dorthin zurückkehren kann. Denn er sieht sich auch weiterhin als legitimer Tour-Sieger 1997. Aberkannt werden kann ihm der Titel aufgrund der Verjährung nicht mehr.
Doch dass Ullrich nach wie vor überzeugt ist, er habe niemanden betrogen, weil ja andere Fahrer auch betrogen hätten und "ich nur mit Doping für eine Chancengleichheit gesorgt habe", steht seiner endgültigen Rehabilitierung im Wege. Und Ullrich bleibt der gefallene Held des Radsports. Dennoch gibt ihm die befreiende Beichte die Chance auf einen Neustart, auf mehr Leichtigkeit in seiner zweiten Lebenshälfte.
Ich wünsche mir, dass ich keine Zeit mehr in meinem Leben verliere. Ich habe viele, viele Jahre mit Dummheiten und Fehlern verbracht. Es hat mir viele schöne Jahre auch mit meinen Kindern versemmelt. Ich möchte die Zeit nutzen und wieder glücklich sein.
Ex-Radprofi Jan Ullrich bei 3nach9
Dieses Thema im Programm: Radio Bremen Fernsehen, 3nach9, 1. Dezember 2023, 22 Uhr