Gewaltvorfälle im Bremer Amateur-Fußball – was nun?
Der Bremer Fußball-Verband hatte mit einer einmaligen Maßnahme alle Spiele abgesagt. Doch wie geht es weiter? Welche Lösungen haben Vereine, Politik und Polizei?
Der Schock saß tief in Bremen und wirkt auch fast zwei Wochen später immer noch nach. Üble Beleidigungen, ein Tritt gegen den Kopf und ein gezücktes Messer – die Gewaltvorfälle im Amateur-Fußball waren derart eskaliert, dass der Bremer Fußball-Verband (BFV) zu einer deutschlandweit bisher einmaligen Maßnahme griff und alle geplanten Fußballspiele am vergangenen Wochenende absetzte.
Vom Kinder- über den Jugend- bis zum Erwachsenenbereich waren alle gleichermaßen von der Absage betroffen. Viele, die immer fair spielten, fühlten sich daher zu Unrecht in Sippenhaft genommen. Doch BFV-Präsident Patrick von Haacke steht weiter hinter der drastischen Maßnahme.
Das ist keine Strafaktion gewesen. Das war ein Zeichen, innezuhalten und zu sagen: Komm, wir denken darüber nach. Und als Zeichen und Mahnmal war es richtig gut.
BFV-Präsident Patrick von Haacke
Senator Mäurer: "Das sind Einzelfälle"
Und offenbar war es dringend nötig gewesen. Obwohl Bremens Innen- und Sportsenator Ulrich Mäurer (SPD) die eskalierten Vorfälle gegenüber buten un binnen als "Einzelfälle" einstuft.
Man muss es realistisch einschätzen und man darf es nicht verniedlichen, aber es sind Einzelfälle. Es ist nicht so, dass wir jedes Wochenende in der Amateurliga massive Auseinandersetzungen haben. Das wäre unfair und es stimmt einfach nicht.
Sportsenator Ulrich Mäurer (SPD) bei buten un binnen
Doch in der Bremer Fußball-Szene wird das Gewalt-Problem ganz anders wahrgenommen. "Es ist leider gang und gäbe geworden und ich finde das ganz erschreckend", so Horst Neugebauer, Vorstand Bremer SV, "es sind Reaktionen, die auf dem Fußballplatz eskalieren und man kann das nicht nachvollziehen."
Beschimpfungen, Bedrohungen, Pöbeleien
Denn zwar gibt es nicht an jedem Wochenende Tritte gegen den Kopf oder gezückte Messer wie in der Partie zwischen Bremer SV II und Bremen United geschehen, aber Beschimpfungen, Bedrohungen, Pöbeleien und Diskriminierungen sind eben schon lange keine Ausnahme mehr, sondern an der Tagesordnung.
"Das, was wir hier sehen, das sind andere Dimensionen. Das hat mit Fußball überhaupt nichts zu tun", betonte daher BFV-Präsident von Haacke: "Mich hat man letztendlich damit überzeugt, dass man gesagt hat: Patrick, worauf willst du warten? Dass jemand tot in der Ecke liegt?"
Mäurer sieht Vereine in der Pflicht
Passiert war dieser dramatische Einzelfall im vergangenen Jahr, ein trauriger Tiefpunkt, der für Entsetzen sorgte. Ein 15-Jähriger war bei einem internationalen Jugendfußballturnier in Frankfurt nach einem Faustschlag eines mittlerweile verurteilten Gegenspielers zusammengebrochen und später verstorben. In Bremen hofft man, diese Stufe der Gewalteskalation verhindern zu können. Doch wie?
Sportsenator Mäurer sieht erst einmal die Vereine selbst in der Pflicht. "Der Ball liegt beim Sport, um alle Möglichkeiten zu nutzen, die ihnen zur Verfügung stehen", erklärte Mäuerer buten un binnen: "Sie können sich von Mitgliedern trennen, können Platzverweise erteilen und vieles mehr. Sie haben eine eigene Sportgerichtsbarkeit. Sie sind nicht hilflos dieser Situation ausgesetzt." Sollten diese Maßnahmen nicht reichen, so Mäurer weiter: "Dann greift die Polizei ein, wenn die Vereine damit überfordert sind."
Bremer Polizei hat 7 Tatverdächtige ermittelt
Die Polizei wird jedoch meist gar nicht verständigt, wenn Gewalt im Spiel ist. So musste die Bremer Polizei selbst die Ermittlungen nach den Vorfällen zwischen dem Bremer SV II und Bremen United aufnehmen und hat inzwischen auch Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft gestellt.
"Wir ermitteln wegen gefährlicher Körperverletzung und haben sieben Personen identifiziert, die wir als Tatverdächtige einordnen", erklärte Polizeisprecher Nils Matthiesen buten un binnen. Und Matthiesen fügte hinzu: "Das große Problem war, dass die Polizei nicht unmittelbar von Zuschauern oder Beteiligten gerufen wurde. Das hat die Ermittlungsarbeit deutlich erschwert."
Dunkelziffer der Gewaltfälle ist hoch
Christoph Schlohbohm, der Referent für Gesellschaftliche Verantwortung beim BFV, wirbt dafür, die Meldestelle des Verbandes zu nutzen, bei der man sich auch anonym melden könne. "Wir müssen die Fälle aufdecken und Licht ins Dunkel bekommen, damit wir überhaupt handlungsfähig werden und sie ans Sportgericht weiterleiten können", so Schlohbohm.
Auch laut der Polizei ist die Dunkelziffer groß. "Wir hatten in der laufenden Spielzeit schon viele Vorkommnisse und bei ganz wenigen wurde die Polizei gerufen", so Matthiesen: "Eine Sportanlage ist kein rechtsfreier Raum. Wir können nur aufrufen, uns unbedingt zu verständigen."
Wie am besten der Gewalt vorbeugen?
Doch umso wichtiger ist die Präventionsarbeit, damit das Eingreifen der Polizei gar nicht nötig wird. Auch hier diskutieren die Vereins längst über Maßnahmen. Der Bremer SV sucht nach einem Deeskalationsexperten, der TSV Lesum überlegt, Videoaufzeichnungen bei den Spielen einzusetzen. Alleingänge seien jedoch wenig hilfreich, so der BFV, man wolle gemeinsame Maßnahmen angehen.
Doch weitere Fortbildungen für Trainer zum Thema Fairplay-Verhalten anzubieten wirken angesichts der Gewalteskalation ein wenig zu kurz gegriffen. Der thüringische Landesverband praktiziert bereits sogenannte Cool-Down-Pausen, die der Schiedsrichter bei Eskalationen auf oder neben dem Platz anordnen kann. Das Spiel wird unterbrochen, bis sich die Beteiligten wieder beruhigt haben.
Aber auch das Zusammenspiel mit der Justiz soll intensiviert werden. Der Bayerische Fußball-Verband beispielsweise kooperiert mit der Generalstaatsanwaltschaft München. Der Verband leitet schwere Fälle an die Justiz weiter, ungeachtet der sportgerichtlichen Aufarbeitung. Eine derartige Kooperation kann sich auch von Haacke vorstellen: "Wir werden das auf jeden Fall anregen und wollen das."
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: Sportblitz, 14. März 2024, 18:06 Uhr