Die FIFA und der WM-Frust der Fans: "Ich will doch nur Fußball gucken"
Deutschland spielt heute gegen Spanien. Doch die Freude fehlt selbst bei eingefleischten Fußballfans. buten un binnen-Autor Julian Beimdiecke versucht eine Frustbewältigung.
Seit ich denken kann, bin ich Fußballfan. Als ich endlich groß genug war, stülpten mir meine Eltern Ende der 90er ein schwarz-gelbes BVB-Trikot über – und legten damit den Grundstein dafür, dass Fußball eine prominente Rolle in meinem Leben spielen wird. Ich nahm mit meinem BVB Pokalsiege und Meisterschaften mit, merkte aber schnell, dass ein Fußballfan auch leiden können muss – aber wem in Bremen sage ich das.
Wie mit meinem Verein litt ich auch mit der Nationalmannschaft: Ich heulte im zarten Alter von acht Jahren wie ein Schlosshund nach "unserer" Finalniederlage gegen Brasilien 2002, auch 2006 flossen die Tränen, als das Sommermärchen unsanft in der Verlängerung endete (ausgerechnet in Dortmund, aua) und 2010, mit 17, als es schon wieder nicht mit dem WM-Titel klappen wollte.
Nie gab es etwas Schöneres als Fußballschauen
Und trotzdem: Auch bei den schmerzhaftesten Niederlagen gab und gibt es für mich nichts Schöneres als Fußballgucken. 90 Minuten den Kopf lüften, weil nur eins wichtig ist – ob die eigene Mannschaft gewinnt. 90 Minuten sich mit anderen für eine gemeinsame Sache begeistern. Und das Highlight waren Welt- und Europameisterschaften, bei denen ich endlich auch mit den Freunden jubeln konnte und leiden musste, deren Herz nicht schwarz-gelb schlägt.
Doch dieses Jahr ist es anders. Von der aktuellen WM habe ich noch kein Spiel geschaut. Nicht, weil ich den Moralhammer schwingen und mich über alle erheben möchte, die es wagen, diese WM zu schauen. Aber 90 Minuten lang den Kopf lüften und nichts ist sonst wichtig? Das kriege ich bei dieser WM leider nicht hin.
Über den Sport wurde bisher kaum geredet
Es ist so: Wenn ich mit meinen Freunden, mit denen ich sonst die WM geschaut habe, über die WM spreche – dann über Fragen wie: Bringt es wirklich was, die WM zu boykottieren? Müssten wir nicht auch auf die Champions League verzichten, in der auch eine Menge katarisches Geld steckt? War "unser" Sommermärchen nicht auch gekauft – und warum interessiert das keinen mehr? Auch über die One-Love-Binde haben wir gesprochen, über die Mund-zu-Geste der deutschen Mannschaft, über die Frage, ob der DFB nun rückgratlos ist oder man von den Spielern eine deutlichere Position nicht verlangen könne.
Über den Sport haben wir bisher kaum geredet. Zusammen die Spiele geschaut haben wir auch nicht. Aber wir wohnen mittlerweile ein paar mehr Kilometer auseinander als früher.
Eine gemeinsame Position in diesem Jahr gibt es nicht
Zu all diesen Fragen haben wir unterschiedliche Standpunkte, unsere Antworten fallen recht verschieden aus. Und dementsprechend ziehen wir auch alle unterschiedliche Schlussfolgerungen, wie wir jetzt mit der WM umgehen: Die einen schauen die Spiele im gewohnten Umfang, die anderen schauen nur Deutschland und manche – wie ich – gar nicht. Eine gemeinsame Position haben wir in diesem Jahr nicht.
Das ist vielleicht der letzte Beleg dafür, dass es in diesem Jahr eben um mehr geht als darum, dass unsere Mannschaft gewinnt. Ob man will oder nicht, man kann sich dem nicht entziehen. Und das frustet gewaltig. Wir werden laufend daran erinnert, dass es eben doch Wichtigeres gibt als Fußball. Nicht, dass uns das nicht klar wäre. Aber das Leiden dieser WM ist es, sich dieser harten Wahrheit mal nicht entziehen zu können.
FIFA führt Fußballwelt ad absurdum
Allen voran die FIFA, aber auch die anderen Fußballverbände haben die Fußballwelt so ad absurdum gedreht, dass sie mir als eingefleischtem Fußball-Fan einfach die Lust daran genommen hat. Das hat bisher noch niemand geschafft – kein Fußballhasser, der mir das Schauen madig machen wollte, kein Freund, der sauer war, dass ich lieber Fußball schauen wollte, als mich mit ihm zu treffen.
Sondern ausgerechnet diejenigen, die sich um das Wohl des Fußballs kümmern sollen. Ich könnte mich sehr darüber aufregen, ich hoffe, dass irgendwann Beteiligten zur Besinnung kommen. Aber eigentlich will ich doch nur Fußball gucken.
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Morgen, 24.November 2022, 7.40 Uhr