Fragen & Antworten
Belastende Erlebnisse: Wie Geflüchtete in Bremen betreut werden
Angst zu sterben, Verlust der Heimat, Gewalt – Geflüchtete sollen in Bremen psychologische Hilfe bekommen. Warum das gerade bei einem Trauma so wichtig ist.
Nach den belastenden Erfahrungen einer Flucht geht es häufig erst mal um ein neues und sicheres Dach über dem Kopf. Doch auch psychologische Hilfe ist wichtig für viele Geflüchtete. Zum Weltflüchtlingstag zeigen wir, an welche Stellen sich Geflüchtete in Bremen wenden können, wenn sie eine psychologische Beratung wünschen.
Wie ist der Weg, wenn Geflüchtete eine psychologische Behandlung benötigen?
In der Erstaufnahmeeinrichtung wird mit neu nach Bremen gekommenen Geflüchteten ein sogenanntes Erstgespräch geführt. Dabei geht es darum, sich einen Überblick über die gesundheitliche Situation zu verschaffen, heißt es bei der Bremer Sozialbehörde. Wird Bedarf an einer psychologischen Beratung festgestellt, so können Geflüchtete das Angebot einer offenen Sprechstunde wahrnehmen. Außerdem gibt es die Möglichkeit, mit dem spezialisierten Beratungszentrum Refugio zusammenzuarbeiten, teilt Bernd Schneider, Pressesprecher des Bremer Sozialressorts, mit. Ist ein stationärer Aufenthalt notwendig, wird an das Behandlungszentrum Nord verwiesen, das beim Klinikum Bremen-Nord angedockt ist. Das Behandlungszentrum Nord unterstützt bei Bedarf auch bei der Suche und Vermittlung von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten.
Das Beratungs- und Behandlungszentrum für Flüchtlinge und Folteropfer in Bremen, Refugio, berät viele Geflüchtete. "Wir bieten ihnen als Erstes eine Beratung an, um überhaupt das Konzept Psychotherapie kennenzulernen und für sich zu gucken, ob ihnen das bei der Bewältigung ihrer Erlebnisse hilfreich sein kann", sagt die therapeutische Leiterin Danja Schönhöfer im Interview mit Bremen Eins. Refugio bietet darüber hinaus auch Kunsttherapie, Musiktherapie oder auch Gruppenangebote an.
Wie hoch ist der Bedarf an psychologischer Beratung bei Geflüchteten?
Schönhöfer geht davon aus, dass 20 bis 30 Prozent der Geflüchteten eine Behandlung bräuchten. Daher brauche man eigentlich mehr Kapazitäten im Bereich der psychologischen Beratung und Therapie. "Die Rate von psychischen Erkrankungen, vor allem von Traumatisierungen von geflüchteten Menschen, ist zehnmal so hoch wie in der Normalbevölkerung. Unser Gesundheitssystem ist aber auf die Zahlen ausgerichtet, die wir aus der Normalbevölkerung kennen", erklärt Schönhöfer. Es entstehe eine große Lücke dadurch, dass man nicht nur von zwei bis drei Prozent, sondern von 20 bis 30 Prozent von Menschen ausgehen müsse, die eine Behandlung bräuchten. "Das können wir in unserem Behandlungszentrum auch gar nicht vollständig abdecken."
Wie lang sind die Wartezeiten auf einen Therapieplatz?
Wartezeiten für eine ambulante Psychotherapie sind für Geflüchtete ebenso lang wie für alle anderen Ratsuchenden. Nach Angaben der Bremer Psychotherapeutenkammer beträgt die Wartezeit für einen Therapieplatz in einer Praxis durchschnittlich fünf Monate.
Wie kann eine Therapie ohne deutsche Sprachkenntnisse funktionieren?
Bei Refugio in Bremen werden dafür sogenannte Sprachmittlerinnen und Sprachmittler eingesetzt. Sie begleiten die Geflüchteten zu den Sitzungen und übersetzen. Nach Informationen der Bremer Gesundheitsbehörde arbeiten 40 Sprachmittler und Sprachmittlerinnen für Refugio. Im Jahr 2022 wurden so Therapiesitzungen in 16 verschiedenen Sprachen übersetzt, insgesamt 837,5 Stunden Sprachmittlung bewilligt. Am häufigsten gefragt waren laut Gesundheitsbehörde Übersetzungen in und aus den Sprachen Serbokroatisch, Farsi, Arabisch und Französisch. Die Kosten trägt die Gesundheitsbehörde.
Warum ist psychologische Hilfe gerade bei Traumata so wichtig?
Danja Schönhöfer von Refugio verweist im Bremen-Eins-Interview darauf, dass sich nicht immer sofort nach der Ankunft Probleme zeigten. "Menschen haben oft viele Energien, sich zusammenzuhalten, sich wieder auf ein neues Ziel zu fokussieren", sagt sie. Ein dauerhaft erhöhtes Stresslevel hinterlasse aber sowohl körperlich als auch seelisch Spuren. Menschen könnten dann auch körperlich erkranken, zum Beispiel eine Schmerzstörung entwickeln. "Oft ist es so, wenn dann irgendwas obendrauf kommt, ein abgelehnter Asylantrag oder eine drohende Abschiebung, dann brechen Menschen oft vollständig zusammen."
Zudem geht man bei Refugio davon aus, dass gar nicht alle Menschen, die eigentlich Hilfe benötigten, diese auch in Anspruch nähmen. Auch Bernd Schneider, Pressesprecher der Bremer Sozialbehörde, berichtet, dass Geflüchtete nicht immer sofort in eine Behandlung kommen, es in einigen Fällen eine Zeit braucht, bis sie die Belastungen wahrnehmen und sich Hilfe holen können.
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Morgen, 20. Juni 2023, 8:40 Uhr