Infografik

Nach Vergewaltigung im Bürgerpark: Wie sicher ist Bremen?

Blick aus dunklem Gebüsch auf einen Stadtpark
Der Anteil an Vergewaltigungen, die durch Unbekannte an öffentlichen Orten passieren, ist sehr niedrig. (Symbolbild) Bild: dpa | Marcus Brandt

Mitten in Bremen wurde eine Frau vergewaltigt. Der Täter wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. Frauen können durch die Tat verunsichert werden. Eine Opferberaterin ordnet ein.

*Trigger Warnung: In diesem Text wird das Thema sexuelle Gewalt behandelt. Für einige Menschen kann das belastend und retraumatisierend sein.

An einem Abend im Mai 2022 greift ein unbekannter Mann eine Joggerin im Bürgerpark an, wirft sie zu Boden und missbraucht sie. Er flieht anschließend auf einem dunklen Fahrrad, als sich ein älteres Paar nähert. Die Polizei kann den Verdächtigten später fassen. Am vergangenen Freitag wurde er zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Der Fall kann auch Frauen, die sich sonst sicher fühlen, verunsichern. Tatsächlich aber passieren Vergewaltigungen in der Öffentlichkeit selten. Das zeigen die jüngsten Zahlen der Kriminalstatistik. Mehr als 90 Prozent der Taten werden in privaten Räume verübt, in mehr als drei Viertel aller Fälle kennt das Opfer den Täter. Das sagen nicht nur die Zahlen, sondern auch Silke Lorenz von der Stiftung Opferberatung Niedersachsen.

Vergewaltigungen im Land Bremen*

Vergewaltigungen im öffentlichen Raum 175 15 vollendete bzw. versuchte Vergewaltigungen im Land Bremen im Jahr 2022 im öffentlichen Raum Davon 9 In solcher Fälle kannten sich Opfer und Täter nicht

Quelle: Polizei Bremen, Stand: März 2023

*Sowohl versuchte als auch vollzogene Vergewaltigungen

Frau Lorenz, laut Kriminalstatistik passieren die wenigsten Vergewaltigungsfälle durch Unbekannte und an öffentlichen Orten. Entspricht das Ihrer Erfahrung in der Beratung?

Von dem, was wir in Niedersachsen mitbekommen, werden die Vergewaltigungen nicht so oft von Fremdtätern verübt, sondern eher im Rahmen von häuslicher Gewalt oder in der Beziehung. Natürlich haben wir auch Vergewaltigungen, an denen Fremdtäter beteiligt waren. Nach meiner persönlichen Erfahrung passiert das jedoch eher im familiären oder Bekanntenkreis. Das ist dann das, was die Opfer noch mehr schockiert: Man verlässt sich auf sein Bauchgefühl oder man kennt denjenigen ganz gut, man ist mit ihm verheiratet oder befreundet.

Die gefährlichsten Orte für eine Frau sind also die eigene Wohnung oder die von Familienmitgliedern, Partnern und Bekannten. Man hat aber oft das Gefühl, dass es umgekehrt ist.

Das sind auch die Medien. Wenn wir darüber etwas mitbekommen, sind es oft spektakuläre Fälle. Ich kann mir vorstellen, dass diese Fälle viel Angst machen. Ich glaube aber auch, dass viele nicht darüber sprechen, was in der Familie los ist. Zum Beispiel bei Kindesmissbrauch: Es ist nicht unbedingt der Fremdtäter, der kommt und das Kind von der Straße klaut, sondern es ist der Vater, der Bruder, der Onkel. Das ist etwas, glaube ich, das wir nicht wirklich an uns ranlassen wollen: Dass es der nette Nachbar sein kann, der seine Frau missbraucht. Das ist einfach schwer zu akzeptieren. Es ist einfacher, wenn es der böse, fremde Mann ist. Aber eine richtige Antwort habe ich auch nicht.

Was würden Sie Frauen sagen, die sich durch solche Nachrichten verunsichert fühlen?

Ich denke: So können wir nicht leben. Dass man permanent Angst haben muss, dass einer etwas passiert. So möchte ich nicht leben. Man muss ja auch nicht unvorsichtig sein. Eigentlich darf aber keiner einem etwas antun. Was ich auch wichtig finde: Dass die Opfer oder Betroffenen nicht die Schuld bei sich selbst suchen. Egal, wie sie sich verhalten haben: Die Schuld liegt ganz allein bei dem Täter.

Anzahl der Vergewaltigungen in Bremen in den letzten 5 Jahren*

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*Sowohl versuchte als auch vollzogene Vergewaltigungen


In den vergangenen zwei Jahren gab es einen deutlichen Anstieg an Vergewaltigungsfällen in Bremen, die angezeigt wurden. Die Zahl der vollendeten Fälle stieg von 88 im Jahr 2020 auf 159 im Jahr 2022. Nach Angaben der Polizei könnte dies jedoch weniger mit einem tatsächlichen Anstieg zu tun haben als vielmehr mit einer zunehmenden Bereitschaft, sexuellen Missbrauch anzuzeigen. Dazu könnten öffentliche Debatten wie die Me-Too-Bewegung beigetragen haben.

Falls der Notfall eintritt und man in der Öffentlichkeit bedrängt wird: Was kann man tun, wenn man die Möglichkeit dazu hat?

Wenn man merkt, dass etwas passiert: Laut um Hilfe bitten und laut sein. Das ist etwas, das wir in meiner Generation nicht wirklich gelernt haben, laut und aggressiv zu sein. Man ist immer sehr höflich erzogen worden: "Ich darf nicht laut sein, ich darf nicht auffällig sein". Lieber einmal übertrieben laut, als dass es zu spät ist. Wichtig ist auch: Immer die Polizei holen. Lieber einmal zu viel als zu wenig.

Nicht jede Gewalttat wird jedoch angezeigt. Woran liegt das?

Das liegt einerseits sicherlich daran, dass man denkt: "Ich habe gar keine Chance. Ich war mit ihm alleine. Ich habe keine Zeugen. Man glaubt mir nicht. Der Typ ist immer ganz charmant, alle mögen ihn." Es ist aber fatal, so zu denken, alleine zu Hause zu sitzen und sich keine Hilfe zu holen. Und der zweite Punkt ist sicherlich Scham. "Habe ich Schuld daran, dass ich vergewaltigt worden bin, weil ich den mit nach Hause genommen habe? Oder ich mit ihm verheiratet bin, obwohl ich weiß, dass er schon immer aggressiv war?" Scham und Schuld. Und dann fremden Menschen zu erzählen, was passiert ist – das ist ganz schwierig.

Anzahl der Vergewaltigungen an öffentlichen Orten*

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*Sowohl versuchte als auch vollzogene Vergewaltigungen

Was können Sie Opfern empfehlen, damit sie diesen Mut finden?

Man sollte dringend zu einer professionellen Einrichtung gehen. Man kann sicherlich bei den Nummern anrufen, die allgemein bekannt sind. Dem Hilfe-Notruf zum Beispiel. Auch wenn man sagt: "Ich will noch nicht anzeigen", kann man Beweise sichern. Bei der Rechtsmedizin kann man anonym Spuren sichern lassen, die werden zwei Jahre lang aufgehoben [in Niedersachsen, A.d.Red.]. Es gibt so viele Hilfsmittel. Die Frauen können sich anonym Hilfe holen. Sie müssen noch nicht mal ihren Namen sagen.

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    Heute vor 25 Jahren verabschiedete der Bundestag ein Gesetz gegen Vergewaltigung in der Ehe.

Autorin

  • Serena Bilanceri
    Serena Bilanceri Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 17. März 2023, 19:30 Uhr