So schneidert diese Bremerin für einen barierrefreien Kleiderschrank
Menschen im Rollstuhl kämpfen im Alltag immer noch mit Hindernissen. Das erste ist gleich am Morgen die eigene Kleidung. Jessica Lewerentz macht deshalb Maßschneiderungen.
Vorsichtig legt Jessica Lewerenntz ihr gelbes Maßband an den Beinen von Ariane Manako an. Mit ein paar schnellen Handgriffen hat sie Ober- und Unterschenkel ihrer Kundin vermessen und die Längen notiert. Typische Schneiderinnenarbeit. Aber um den Bedürfnissen einer Kundin wie Ariane Manako gerecht zu werden, hat Jessica Lewerentz sich viele Jahre weitergebildet. Denn Ariane Manako ist Rollstuhlfahrerin.
Als erstes schaue ich immer: 'Wie sitzt mein Kunde im Rollstuhl? Ist der Kunde ein Aktivrollifahrer, also dreht er die Räder selber, oder ist es ein E-Rolli? Da muss man auch immer drauf achten.
Jessica Lewerentz, Schneiderin
Ariane Manako ist seit vielen Jahren Stammkundin bei "Fadenstolz", so heißt das Atelier von Jessica Lewerentz. Dort bekomme sie genau die Kleidungsstücke, die es für Menschen wie sie sonst nirgendwo gebe: "Die Hosen, die ich vorher getragen habe, mit Sieben-Achtel-Länge, sind im Rollstuhl nur dreiviertel lang. Der Hosenbund war noch prekärer. Dann hab ich gegoogelt und bin auf Fadenstolz gekommen. Dann habe ich angefangen, mir maßgenschneidert die Hosen machen zulassen", sagt Manako.
Zu enge Umkleiden, schlechter Sitz
Auf ihre Idee ist Jessica Lewerentz durch ihre Schwester gekommen. Deren Kollegin saß nach einem Multiple-Sklerose-Schub plötzlich im Rollstuhl. Shoppingtouren war wegen der engen Umkleiden nicht mehr möglich, Anprobieren ein Kraftakt – und dann saßen die Kleidungsstücke nicht mal richtig. Das brachte Jessica Lewerentz auf einen Gedanken: Maßgeschneiderte Kleidung für Rollstuhlfahrende, Anproben nur bei Hausbesuchen der Schneiderin.
So auch bei Ariane Manako: "Das Umziehen, Reinschlüpfen und so weiter ist ja schon mit großem Aufwand verbunden. Und da ist es schön, wenn jemand sieht: 'Die Hose darf nicht weit sein oder das ist ungünstig mit den Rädern oder der Hosenbund muss noch einen Tick länger gemacht werden. Das ist das einfach schön, zu Hause, ohne Stress."
Druckstellen durch Nähte vermeiden
Besonders wichtig sind bei den maßgeschneiderten Hosen die Nähte, erklärt Kundin Ariane Manako. "Wenn man sich nicht bewegt und den ganzen Tag gleich sitzt, dann kann so eine kleine Naht schnell zu einer Druckstelle führen, die gesundheitsgefährdend sein kann."
In ihrem Atelier in Bremen-Gröpelingen zeichnet Jessica Lewerentz die Maße ihrer Kundin auf den ausgewählten Stoff auf und beginnt zu arbeiten. Für das Problem mit den drückenden Nähten hat sie eine einfache Lösung gefunden: "Bei den Nähten ist das so, dass ich die Seitennähte von den Hosen, also die äußere Seitennaht, die steppe ich auseinander, damit kein Knick und keine Falte im Sitzen an der Leiste entsteht. Genauso die hintere Mitte, die Naht, die dteppe ich auch auseinander, damit man nicht auf einem Huckel sitzt. Das soll alles plan sein."
Jahrelanges Ausprobieren bis zur Kundenzufriedenheit
Jessica Lewerentz hat viele Jahre gebraucht, um ihr Angebot so auszurichten, dass Kundinnen wie Ariane Manako sich in ihren Klamotten wohl fühlen. "Vieles ist halt durch ausprobieren, durch Innovation entstanden und ich entwickele das immer weiter, in Zusammenarbeit mit den Kunden. Kein Kunde hat die gleichen Vorlieben oder Wünsche, jeder möchte es anders, und von daher wachse ich mit jedem Kunden. Und die Zusammenarbeit ist mir auch sehr wichtig."
Wenn man dann den Kunden beobachtet, wie er sich selber beobachtet, sich mal nicht kritisch im Spiegel anschaut oder an sich rummäkelt und glücklich ist mit dem, was er an hat – das ist für mich das Größte.
Jessica Lewerentz, Schneiderin
Jessica Lewerentz verbringt viel Zeit im Auto oder bei Kundinnen und Kunden zu Hause – da muss manchmal viel Arbeit in der Werkstatt liegen bleiben oder in Überstunden nachgeholt werden. Trotzdem habe sie ihren Traumjob gefunden: "Es gibt für mich nichts Schöneres als Kunden glücklich zu machen, endlich das Lieblingsstück gefunden zu haben und bei so einer Übergabe auch einfach die strahlenden Augen des Kunden zu sehen: 'Es kneift nichts, es ist die Farbe die ich mir ausgesucht habe, es ist meine Passform, ich merke das Kleidungsstück gar nicht'. Und wenn man dann den Kunden beobachtet, wie er sich selber beobachtet, sich mal nicht kritisch im Spiegel anschaut oder an sich rummäkelt und glücklich ist mit dem, was er an hat – das ist für mich das Größte."
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Nachmittag, 23. Mai, 14:10 Uhr