So will das Philharmonische Orchester Bremerhaven seine Zukunft retten

So sorgt das Philharmonische Orchester Bremerhaven für die Zukunft vor

Bild: Radio Bremen

In Bremerhaven steckt das Philharmonische Orchester in schwierigen Zeiten. In der Pandemie durfte das Publikum nicht ins Konzert, jetzt kann es nicht mehr.

Erst durften die Zuschauer nicht, nun können viele nicht mehr: Durch die Pandemie hat das Philharmonische Orchester Bremerhaven 25 Prozent der Abonnenten verloren. Hinzu kommen Inflation und gestiegene Kosten. Viele Menschen können oder wollen nicht mehr so viel Geld ausgeben. Die Situation stellt das Philharmonische Orchester Bremerhaven vor Herausforderungen, denn neben knapper Einnahmen fehlt auch strukturell Geld.

Ein Dirigent steht mit erhobenen Armen vor Musikern, die an Notenständern sitzen.
Das Orchester bei der Probe. Bild: Radio Bremen | Heidi Ulrich

Die Stadt stellt laut Magistrat ein Budget für 52,5 feste Musikerstellen zur Verfügung. Benötigt würden aber 56, erklärt Marc Niemann, Chefdirigent und Generalmusikdirektor des Stadttheaters Bremerhaven. "Wir müssen uns für jedes Symphonie-Orchester, was wir spielen, Musiker dazu mieten." Die Kosten dafür seien gestiegen, ebenso wie für Aufführungsrechte. Zuschüsse hingegen stiegen nicht gleichermaßen. "Wir wissen alle, dass die Möglichkeiten Bremerhavens, was Finanzen angeht, sehr begrenzt sind", so Niemann.

"Zukunftsmusik" als Rettungskonzept

Angesichts der Lage versuche das Team, zusätzliche Einnahmequellen zu finden. Denn: "Wenn niemand mehr das wichtig findet, was wir tun, ist es wahnsinnig schwierig, Unterstützung zu finden für ein Orchester." Niemann, sein Team und die Musikerinnen und Musiker haben sich in Workshops überlegt, wie sich das Orchester künftig aufstellen kann. Ihr Konzept heißt "Zukunftsmusik".

Jetzt müssen wir gucken, dass wir aus dieser Krise neu starten.

Ein Mann im Rollkragenpulli steht vor Stühlen und Notenständern.
Marc Niemann, Chefdirigent und Generalmusikdirektor

Eine ganz wichtige Frage, findet Niemann: Sind die Konzerte noch zeitgemäß? Es habe sich in den vergangenen Jahrzehnten schließlich nicht viel verändert. "Man darf nicht mucksen, man muss sich einer Kleidungsvorschrift unterziehen, dann kommt ein Mann im schwarzen Anzug, dreht einem den ganzen Abend den Rücken zu und irgendwann darf man klatschen – aber es muss der richtige Zeitpunkt sein, sonst wird man böse angeguckt."

Neues Publikum gewinnen

Ein Mann im hellen Hemd und ein Mann im dunklen Rollkragenpulli stehen neben einem Notenständer.
Musikvermittler Seraphin Feuchte (links) und Chefdirigent Marc Niemann wollen das Orchester zukunftssicher machen. Bild: Radio Bremen | Heidi Ulrich

Zu den Ideen zählen neue Formate: Raus aus dem Theater, rein in die Viertel. "Wir wollen das Stadttheater verlassen, Quartierskonzerte anbieten, auch bei freiem Eintritt, um Leute für klassische Musik zu interessieren, die jetzt nicht kommen", so der Chefdirigent. Auch kleinere Veranstaltungen sollen kommen. Bei Regio-Konzerten in mittelgroßen Orten vermutet Niemann noch viel Publikum, das bisher nicht ins Theater findet.

Außerdem bietet das Orchester offene Proben an, bei denen die Gäste den Profis kostenlos zuhören können. Einige richten sich explizit an Kinder und Jugendliche. Man möchte mehr junge Menschen für sich gewinnen. Schätzungen zufolge sind die meisten Sinfonie-Zuschauer 65 Jahre oder älter. Genaue Zahlen gibt es nicht.

Kinder und Jugendliche nach Besuch "geflasht"

Der Musikvermittler und Konzertpädagoge Seraphin Feuchte kümmert sich um solche Angebote. Er sagt: "Der Orchesterprobenbesuch spricht für sich – jede Gruppe, die ich bisher hier hatte, war danach so geflasht, war so begeistert von den Eindrücken." Außerdem gebe es aktuell 17 Angebote an Kitas und Schulen. Darunter kleine Mitmach-Konzerte zum Kennenlernen der Instrumente. Ein Vorteil: Dabei könnten auch Kinder gut mitmachen, die noch kein Deutsch sprächen. Außerdem gehe es darum, Musiker persönlich zu treffen und anzusprechen.

Viele Kinder und Jugendliche haben noch nie einen Kontakt mit klassischer Musik gehabt.

Ein Mann im hellen Hemd steht neben einem Notenständer, auf den er seinen Arm legt.
Seraphin Feuchte, Musikvermittler und Konzertpädagoge

Laut Bremerhavens Kulturdezernenten Michael Frost erwartet das Orchester dank der Einstellung des Musikvermittlers diese Saison erstmals mehr als 10.000 teilnehmende Kinder und Jugendliche. Vor Corona waren es rund 6.200.

Kulturdezernent: "Nicht nur Corona ist Schuld"

Frost sieht als Ursache für die Krise aber nicht allein die Pandemie, auch ein verändertes Medienverhalten: "Ganz grundsätzlich befinden sich Kultureinrichtungen in einer Umbruchsituation." Traditionelle Veranstaltungen und Abosysteme wirkten gerade für Jüngere oft nicht mehr zeitgemäß. Pademiefolgen und aktuell steigende Lebenshaltungskosten wirkten zusätzlich negativ. Darum verweist der Kulturdezernent darauf, dass im Sinne jüngerer Menschen und Familien ein "attraktiveres und übersichtlicheres Preissystem" geplant sei. Das Konzept soll noch im Frühjahr den zuständigen Gremien vorgelegt werden.

Die Musikerinnen und Musiker wollen derweil weitere Formate und ein neues Marketingkonzept entwickeln. Außerdem hoffen sie auf Unterstützer aus der Wirtschaft. Ihr Ziel: auch beim 200-jährigen Stadtjubiläum 2027 und darüber hinaus "das Herz des Bremerhavener Musiklebens bleiben".

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 21. Februar 2023, 19:30 Uhr