Autoindustrie in der Krise: Wie sicher ist Mercedes in Bremen?
VW steckt in einer tiefen Krise. Die gesamte deutsche Autoindustrie schwächelt. Was heißt das für Mercedes, was für das Bremer Werk? Zwei Experten wägen ab.
Volkswagen droht ein Kahlschlag. Wenn es ganz schlecht läuft, muss VW sogar bald Werke schließen. Tausende Arbeitsplätze sind in Gefahr. Neun Jahre nach dem Dieselskandal um systematisch geschönte Schadstoffwerte rächt sich für VW offenbar auch, dass der Konzern zu spät auf den Umbau zur Elektromobilität reagiert hat – und nun nicht die erforderlichen Absätze erzielt.
"Die Preisdifferenz zwischen einem Elektrofahrzeug von VW und einem gleichwertigen Verbrenner ist zu groß", fasst Stefan Bratzel, Direktor des Centers of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach, das Problem der Hersteller in einen Satz. Fragt sich aus Bremer Perspektive: Steht "nur" VW am Abgrund, oder droht der gesamten deutschen Automobilindustrie ein Einbruch? Und: Was ist mit Mercedes, müssen sich die rund 12.000 Bremer Beschäftigten des Autobauers ebenso um ihre Jobs sorgen wie ihre Kollegen von VW in Wolfsburg?
Nein, sagt zumindest Martha Winter, eine Sprecherin des Konzerns. Zwar befinde sich die Branche in einer Zeit der Transformation. Dennoch gelte: "Für die Mitarbeitenden der Mercedes-Benz Group AG, der Mercedes-Benz AG sowie der Mercedes-Benz Intellectual Property GmbH & Co. KG gilt eine Beschäftigungssicherung bis Ende 2029." Damit seien betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2029 ausgeschlossen.
"Werk Bremen ist gut ausgelastet"
Ohnehin stehe Mercedes gut da, zumal in Bremen. "Das Werk Bremen ist gut ausgelastet. Am Standort Bremen sind in den letzten vier Jahren neun Modelle angelaufen. Sechs davon werden exklusiv in Bremen gefertigt", so Winter. Derzeit bereite sich das Werk auf die Integration eines Modells der vollelektrischen MB.EA-Plattform vor. Auch deshalb sei der Standort gut für die kommenden Jahre aufgestellt.
Zwar sehen die Branchenkenner Stefan Bratzel und Ferdinand Dudenhöffer vom Car-Center Automotive Research in Bochum der Zukunft von Mercedes nicht ganz so sorglos entgegen. Akut gefährdet sind der Konzern und das Bremer Werk jedoch auch aus ihrer Sicht nicht. "Zur Zeit stehen deutsche Premium-Hersteller wie Mercedes noch besser da als deutsche Volumen-Hersteller wie VW", erklärt Bratzel.
Hohe Preise als Schutzfaktor
Zwar machten auch den Premium-Herstellern chinesische Autobauer immer mehr Konkurrenz. Doch das betreffe vor allem den chinesischen Markt und noch nicht so sehr den europäischen. Auch helfe deutschen Edelmarken wie Mercedes das hohe Preissegment, indem sie sich bewegen. Denn in diesem Segment falle nicht so sehr ins Gewicht, dass Elektrofahrzeuge im Vergleich zu Verbrennern zu teuer sind. "Premium-Kunden vergleichen nicht so sehr die Kosten wie andere Kunden", so Bratzel.
Das ist eines der großen Probleme: Dass Elektrofahrzeuge teurer sind als Verbrenner vergleichbarer Klasse.
Stefan Bratzel
Batterien treiben die Kosten hoch
Klar sei indes, dass alle deutschen Automobilhersteller gezwungen seien, künftig stärker auf Elektroautos zu setzen. Auch deshalb, weil ab 2025 schärfere CO2-Grenzerwerte in der Europäischen Union greifen sollen. "Dann müssen Mercedes, aber auch Volkswagen und andere schon deshalb mehr Elektrofahrzeuge auf den Markt bringen, um Strafzahlungen zu vermeiden", sagt Bratzel.
Um dieses Ziel aber zu erreichen, werde sich gerade Mercedes unter Umständen gezwungen sehen, den Preisabstand zwischen Elektrofahrzeugen und Verbrennern deutlich zu verkleinern – notfalls zulasten der bereits heute vergleichsweise kleinen Margen bei Elektrofahrzeugen. Das Problem dahinter: Es ist für die deutschen Autobauer deutlich billiger, Verbrenner herzustellen als Elektrofahrzeuge. Das liege vor allem an den hohen Kosten der Batterien, so Bratzel.
Chinesischer Markt entscheidend
Bratzels Kollege Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des CAR-Centers Automotive Research in Bochum, ist indes überzeugt davon, dass sich die Zukunft der Elektrofahrzeuge nicht in Deutschland entscheiden wird, sondern in China. Entsprechend müssten sich die deutschen Autobauer im Reich der Mitte noch stärker als bislang etablieren: "Dort sind die größten Strukturen. Dort ist der Markt viel größer", sagt der Wirtschaftswissenschaftler.
Die Schlacht um Elektrofahrzeuge wird in China geschlagen.
Ferdinand Dudenhöffer
Dudenhöffer kritisiert die deutsche Politik. Die Ampel-Koalition im Bund bremse die Elektromobilität aus, sagt er. Er könne nicht nachvollziehen, dass der Bund den Kauf von Elektroautos nicht mehr fördere, wie es bis Ende vorigen Jahres in Gestalt der so genannten Umweltprämie geschehen war. Ebenso falsch, dass die EU hohe Strafzölle auf chinesische Elektroautos erhebe. Dadurch werde die Elektromobilität generell abgebremst, auch mit negativen Folgen für den Wettbewerb und die Produktion in Europa.
Dazu muss man wissen: Die EU-Kommission erhebt Strafzölle von bis zu 36,3 Prozent auf chinesische Elektrofahrzeuge, weil China seine Hersteller in unzulässiger Weise subventioniere und damit europäischen Anbietern im Wettbewerb ein Nachteil entstehe.
Ziehen Europas Autobauer Produktion nach China ab?
Dudenhöffer geht davon aus, dass die europäischen Autobauer die Produktion in den kommenden Jahren zusehends nach China verlagern werden. Auch, weil die Kosten für die Herstellung dort niedriger seien als etwa in Deutschland.
Zwar könne man aus diesem grundsätzlichen Trend keine Vorhersage zur Zukunft speziell des Bremer Mercedes-Werk ableiten. Klar sei allerdings, dass sich Mercedes, wie alle anderen Hersteller, am Markt orientieren und die Kosten sowie die notwendigen Gewinne von morgen im Blick haben müsse. "Die Aufgabe von Mercedes ist nicht, Standorte in irgendwelchen Ländern zu sichern", so Dudenhöffer.
Aus seiner Sicht ist die Standortsicherung vor allem eine Aufgabe der Politik, zumal des Bunds und der EU. Insbesondere letztgenannte sei in fataler Weise von Überregulierungen geprägt, sagt Dudenhöffer. Das schade der gesamten europäischen Wirtschaft, nicht nur der Automobilindustrie.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Nachrichten, 5. September 2024, 13 Uhr