Interview
Grippewelle: Warum diesen Winter mehr Bremer als sonst krank sind
Infektionskrankheiten breiten sich gerade überall aus. Ein Bremer Arzt erzählt aus seiner Praxis – und erklärt, wieso wir trotzdem keine besonderen Schutzmaßnahmen brauchen.
Hans-Michael Mühlenfeld ist Chef des Hausärzteverbands in Bremen. Im Interview spricht er über die vollen Wartezimmer – und warum sich gerade so viele Menschen in Bremen und deutschlandweit anstecken.
Herr Mühlenfeld, wie ist die Lage in Ihrer Praxis im Moment? Was hören Sie von Kolleginnen und Kollegen?
Hans-Michael Mühlenfeld: Die Lage ist aktuell so, wie das Robert-Koch-Institut sie gemeldet hat. Die Praxen sind übervoll mit Infekten, die insgesamt nicht unbedingt schwere Erkrankungen hervorrufen, aber die Leute sind krank. Ich finde es deshalb gut, dass es für Ärzte möglich ist, per Telefon die Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen. Die meisten Patienten kommen gerade nämlich nicht, um behandelt zu werden, sondern weil sie krank sind und krankgeschrieben werden müssen.
Rund drei Viertel der Menschen brauchen lediglich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und haben keine Komplikationen und schwere Verläufe.
Hans-Michael Mühlenfeld, Vorsitzender des Hausärzteverbands Bremen
Deshalb fordern wir auch, dass es weiterhin möglich sein sollte, die Arbeitsunfähigkeit telefonisch bei bekannten Patienten zu attestieren. Das entlastet die Praxen gerade sehr stark. Ich hatte am Montag mehr als 400 Patientinnen und Patienten in meiner Praxis. Wenn ich da alle medizinisch hätte behandeln müssen, wäre das nicht gegangen.
Welche Infektionskrankheiten sind gerade besonders im Umlauf?
Infekte der oberen Atemwege, also grippale Infekte oder eine echte Grippe.
Warum verbreiten sich die Krankheiten gerade jetzt so stark?
Das ist saisonal bedingt: Vom Prinzip her stecken sich immer mehr Menschen von November bis Januar an. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass die Menschen weniger draußen sind und sich stärker in Innenräumen aufhalten. Mehr Menschen nutzen in der Zeit den Nahverkehr und können sich dort anstecken.
Es gibt die These, dass Masken die Verbreitung von Infektionskrankheiten minimiert haben und sich die Erreger nun ohne Maskenpflicht in Innenräumen stärker verbreiten. Wie schätzen Sie das ein?
Das ist sicherlich so. Es gibt hier einen gewissen Nachholeffekt. Wenn einer während Corona überhaupt keine Kontakte hatte, ist das Immunsystem jetzt nicht so gut vorbereitet.
Merken Sie denn einen Unterschied im Vergleich zu den Jahren vor Corona?
Ja, wir haben definitiv eine stärkere Belastung als in den vergangenen Jahren.
Braucht es aus Ihrer Sicht Maßnahmen, um die Verbreitung der Krankheiten wieder stärker einzudämmen?
Nein, wir brauchen keine besonderen Schutzmaßnahmen. Ich bin kein Freund von Dramatisierung. Wenn man sagt, "wir sind am Limit", dann kann ich das für den einzelnen Patienten verstehen, der länger auf seine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung warten muss. Aber auf der anderen Seite sage ich klar: Es geht aktuell größtenteils darum, Papier zu erstellen.
Ich sehe aktuell keine Gefahr für die öffentliche Gesundheit.
Hans-Michael Mühlenfeld, Vorsitzender des Hausärzteverbands Bremen
Allerdings müssen wir überlegen, wie wir unser System besser vorbereiten können, damit es den Herausforderungen gerecht wird. Wir sollten das Problem sachgerecht angehen, dazu zählen Krankschreibungen per Telefon. Außerdem müssen die Menschen aufgeklärt werden, wie sich die Infektionen verbreiten und auf die Eigenverantwortung setzen: Wer eine schniefende Nase hat, sollte lieber zu Hause bleiben, statt sich krank zur Arbeit zu schleppen. Auch die Hygienemaßnahmen, über die wir schon während der Pandemie gesprochen haben, helfen natürlich: In die Armbeuge niesen und Abstand halten – und wenn ich krank bin und mich in der Öffentlichkeit bewegen muss, ist es sinnvoll, eine Maske zu tragen.
Dieses Thema im Programm: Bremen Vier, Vier News, 6. Dezember 2022, 7 Uhr