Bremer Beratungsstelle gegen Gewalt muss Betroffene warten lassen
Bis Mitte März kann die Beratungsstelle gegen Gewalt keine Beratungen mehr annehmen. Es fehlt an Geld für ausreichendes Personal. Auf Hilfe muss bis zu drei Monate gewartet werden.
Eigentlich sollte das eigene Zuhause ein sicherer Ort sein. Doch für viele ist es das eben nicht: Häusliche Gewalt nimmt seit Jahren zu und wird sichtbarer, auch in Bremen und Bremerhaven. 2.800 Betroffene von häuslicher Gewalt wurden 2022 in der Kriminalstatistik des Landes Bremen registriert. Vergewaltigungen, sexuelle Nötigungen und Übergriffe haben sich von 128 Fällen im Jahr 2021 auf 156 Fälle im Jahr 2022 erhöht. Es ist das dritte Jahr in Folge, in dem der Wert steigt. Die Dunkelziffern liegen weit höher.
Das führt die Beratungseinrichtungen in Bremen und Bremerhaven an ihre Grenzen. Bei der Beratungsstelle "Neue Wege – Wege aus der Beziehungsgewalt" in der Bremer Innenstadt kommt zu den gestiegenen Zahlen auch noch eine geänderte Vorgehensweise dazu. Seit sich 2020 das Polizeigesetz geändert hat, werden alle Kontaktdaten von Einsätzen zum Thema Häusliche Gewalt direkt an die Beratungsstelle weitergeleitet und müssen angeschrieben werden. 1.800 Personen waren das im Jahr 2022, 420 langfristige Beratungen haben sich daraus entwickelt. 2020 waren es noch 100 weniger.
Ein weiteres Problem: Dem Träger der Beratungsstelle – dem Verein "reisende werkschule scholen" – ist eine Sonderförderung aus dem Bremen-Fond weggebrochen. Deshalb musste eine dreiviertel Stelle gestrichen werden, die nun in der Beratung fehlt. Die Folge: 85 Menschen warten nun auf Hilfe. "Der Aufnahmestopp war nötig, um noch richtig beraten zu können", sagt Carsten Flömer, Geschäftsführer von "reisende werkschule scholen e.V." und wünscht sich zwei neue Vollzeitstellen.
Beratungsstellen arbeiten am Limit
Gut 30 Beratungsstellen gibt es für Menschen, die Gewalt erfahren haben. Die Beratungsstelle Neue Wege ist die einzige ihrer Art in Bremen, die an der Beziehungsdynamik arbeitet. Sie sprechen also mit beiden Seiten: mit Menschen, die Gewalt ausüben und mit Menschen, die Gewalt erfahren haben. Spricht niemand mit ihnen, kann Gewalt nicht gestoppt werden, erzählt Mitarbeiterin Janina Bauch. Genau die Gewalt wollen sie durch ihre Beratung im besten Fall verhindern.
Der Zustand ist sehr frustrierend. Es rufen hier Menschen an, die sagen: 'Ich brauche jetzt ganz dringend Hilfe. Ich schaffe das nicht, den Gewaltschutz einzuhalten. Ich kann für nichts garantieren.'
Janina Bauch, Beraterin bei der Beratungsstelle Neue Wege
Die Belastung ist nicht nur bei Neue Wege hoch. Viele Beratungs- und Hilfestellen in Bremen und Bremerhaven arbeiten seit Jahren am Limit. Beim Verein "notruf Bremen" können Betroffene von sexualisierter Gewalt sich anonym psychologisch beraten lassen. Auch hier nehmen die Anfragen kontinuierlich zu. Eine für die Verantwortlichen so wichtige zeitnahe Terminvergabe ist schon seit drei Jahren nicht mehr möglich. Auf der Warteliste stehen aktuell 37 Personen, was einer Wartezeit von ungefähr drei Monaten entspricht.
Plätze in den Frauenhäusern sollen steigen
Freie Plätze sind auch bei GISBU, einer Frauenberatungsstelle bei häuslicher Gewalt in Bremerhaven, Mangelware. Hier können sowohl in der Beratungsstelle als auch im Frauenhaus die Aufgaben aber noch gestemmt werden. So geht es auch dem Autonomen Bremer Frauenhaus, obwohl die Plätze von 45 auf 53 Plätze aufgestockt wurden. 60 sollen es ab März sein.
In allen vier Frauenhäusern in Bremen und in Bremerhaven sollen die Plätze von 125 auf 160 Plätze anwachsen. Das ist eine der 75 Maßnahmen, die der Bremer Senat im März 2022 im Bremer Landesaktionsplan gegen Gewalt an Frauen und Mädchen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention beschlossen hat. Dazu gehört auch eine Gewaltschutzambulanz im Krankenhaus Bremen Mitte, die im April öffnet. Betroffene können sich dort von Fachkräften der Rechtsmedizin, der Gynäkologie, Kinder- und Jugendmedizin und der Notaufnahme untersuchen und beraten lassen. So können Spuren gesichert und bis zu zehn Jahre verwahrt werden, die für ein Verfahren gegen die Täter wichtig sind.
Mehr Beratung durch gestiegene Aufklärung nötig
Auf diese neue wichtige Einrichtung schaut Neue Wege-Beraterin Janina Bauch auch mit gemischten Gefühlen. Sie rechnet mit noch mehr Menschen, die dann ihre Beratung brauchen. Geld für neue Stellen ist aber nicht in Sicht, merkt Bremens Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm verärgert an. Der Landesaktionsplan und die Hilfe- und Beratungseinrichtungen müssten ausreichend finanziert sein. Sie fordert die Bremer Politik auf, finanzielle Spielräume auszuloten.
Es muss eine ganz klare Priorisierung geben auf die Einrichtungen, die sich gegen Gewalt und für Kinderschutz einsetzen.
Bettina Wilhelm, Landesfrauenbeauftragte Bremen
Das sieht Claudia Bernhard, Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz, ganz genauso. Gleichzeitig seien ihr die Hände gebunden, weil sie eben aktuell nicht mehr Mittel zur Verfügung habe, auch wegen der noch laufenden Haushaltsberatungen. "Bestimmte Dinge haben wir gestrichen, um bei Neue Wege was dazuzugeben. Man muss aber auch jetzt ehrlicherweise sagen, wir sind nicht das einzige Ressort, das Neue Wege fördern müsste", sagt Bernhard mit Verweis auf das Innenresort.
Der Aufnahmestopp bei der Beratungsstelle Neue Wege läuft aktuell bis zum 15. März. Wie es danach weitergeht, wenn keine neuen Gelder für Stellen zur Verfügung stehen, können die Verantwortlichen aktuell nicht sagen.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 06. Februar, 19:30 Uhr