Interview
Sollte Fahrerflucht keine Straftat mehr sein? Das sagt ein Jurist
Der Bundesjustizminister plant, Fahrerflucht bei Unfällen mit Sachschaden als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen. Ein Bremer Jurist begrüßt das – hat aber auch Bedenken.
Wer sich unerlaubt von einem Unfallort entfernt, begeht nach aktuellem Recht eine Straftat – und die kann mit einer Geldstrafe oder mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden. Doch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) denkt darüber nach, diese Regeln in Zukunft nur noch bei Unfällen mit Personenschaden gelten zu lassen.
Unfälle, bei denen nur ein Sachschaden entstanden ist – wenn also zum Beispiel beim Einparken ein anderes Auto angerempelt wurde – würden dann nur noch als Ordnungswidrigkeit gewertet. Aber wie sinnwoll wäre solch eine Neuerung? buten un binnen hat darüber mit Sönke Gerhold, Professor für Strafrecht an der Universität Bremen, gesprochen.
Wäre solch eine Änderung Ihrer Einschätzung nach sinnvoll?
Eine Entkriminalisierung der Unfallflucht ist im Bagatellbereich sicherlich sinnvoll. Diese Grenze ist derzeit extrem eng gezogen und wird faktisch mit jedem noch so geringen Sachschaden an einem fremden Pkw überschritten, da selbst bei einem kaum erkennbaren Kratzer häufig ganze Bauteile neu lackiert werden müssen. In der Abwägung ließe sich daher gut vertreten, das ganze nur als Ordnungswidrigkeit zu behandeln.
Gegebenenfalls würden sich im Einzelfall sogar Unfallverursacher nachträglich beim Geschädigten oder der Polizei melden, die dies mit Blick auf die gegenwärtige Strafdrohung nicht getan hätten.
Sönke Gerhold, Professor für Strafrecht an der Universität Bremen
Für größere Sachschäden stehe ich einer Entkriminalisierung jedoch kritisch gegenüber, da viele Kfz-Halter nicht vollkaskoversichert sind und der Unfall ja auch nicht nur Schäden an Fahrzeugen betreffen muss. Wertmäßig gibt es daher keine Obergrenze für das Ausmaß des finanziellen Schadens beim Unfallgegner.
Ebenfalls sollten Schäden an Tieren jedenfalls zwingend im derzeitigen Umfang im Schutzbereich der Norm verbleiben, da anderenfalls zu befürchten steht, dass ein angefahrener Hund oder eine angefahrene Katze dann nicht die erforderliche medizinische Behandlung erfahren wird, wenn der Halter nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügt. Die Versicherung des Unfallverursachers hätte die Kosten jedoch in vollständiger Höhe zu tragen.
Würde sich im Alltag der Menschen denn tatsächlich etwas ändern?
Im Alltag der Menschen würde sich wohl nichts ändern. Die Unfallflucht bleibt ausnahmslos verboten. Lediglich die Rechtsfolge ist eine andere. Dies betrifft aber nur den kleinen Ausschnitt der Bevölkerung, der sich einer Unfallflucht schuldig macht, und auch nur im unmittelbaren Zusammenhang mit der Tat.
Glauben Sie, dass es dann mehr Unfallflüchtige geben würde?
Sicher würde es weniger Verurteilungen wegen Unfallflucht geben, da eben weite Teile des jetzt strafbaren Verhaltens nur noch als Ordnungswidrigkeit sanktioniert werden.
Die Hemmung, im Falle eines schlichten Blechschadens den Unfallort zu verlassen, dürfte jedoch bei dem einen oder dem anderen sinken. Dies dürfte allerdings nicht für die Mehrzahl der Bundesbürgerinnen und -bürger gelten, da das Verbot des Sich-Entfernens ja weiterhin bestehen bleibt.
Sönke Gerhold, Professor für Strafrecht an der Universität Bremen
Die meisten Bürgerinnen und Bürger beachten staatliche Anordnungen ganz unabhängig von der Rechtsfolge und parken daher auch nicht auf Behindertenparkplätzen, bilden Rettungsgassen oder stellen ihre Musik ab 22:00 Uhr leise. Es kann als gesicherte Erkenntnis gelten, dass für die Mehrheit der Gesellschaft nicht die Höhe der Sanktion entscheidend ist, sondern die Aufdeckungswahrscheinlichkeit und das Verbot des Verhaltens als solches. Hieran ändert sich nichts.
Beule im fremden Auto – und jetzt? Was raten Sie Bremern und Bremerinnen für den Fall der Fälle?
Ganz unabhängig davon, ob es sich um eine Straftat oder um eine Ordnungswidrigkeit handelt, sollte Anzeige erstattet werden. Sofern der Unfallverursacherin oder dem Unfallverursacher keine Strafe droht, lässt sie oder er sich vielleicht auch mit einem schlichten am Unfallort aufgehängten Zettel motivieren, sich doch noch zu melden, oder es lassen sich auf diesem Weg Zeugen finden. Die Pflicht der Unfallverursacherin oder des Unfallverursachers, den Schaden zu ersetzen, bleibt ja von der straf- und bußgeldrechtlichen Einordnung der Unfallflucht vollkommen unberührt.
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Nachmittag, 25. April 2023, 16:40 Uhr