Interview

NS-Zeit im Comic: Die grausame Geschichte des Bunker Valentin

Tausende Zwangsarbeiter arbeiteten am Bunker Valentin in Bremen-Farge. Viele starben. Ein Comic erzählt die Geschichte aus Sicht eines Häftlings und eines Nationalsozialisten.

Nicht nur in den Konzentrationslagern wurden im Dritten Reich Menschen umgebracht – viele Zwangsarbeiter schufteten so lange und hart bis sie starben. Auch in Bremen. Denn hier war es ihre Aufgabe die beiden Bunker "Valentin" und "Hornisse" zu bauen – die nie fertig wurden. Der Krieg endet vorher. Seit 1966 wird am 27. Januar, dem Tag der Befreiung Auschwitz, allen Opfern des Nationalsozialismus gedacht.

1.600 Zwangsarbeiter starben im Bunker "Valentin"

Der Bunker "Valentin" in Bremen-Farge war ein Mammutprojekt der deutschen Kriegsmarine. Ab März 1945 sollte dort alle zwei Tage ein U-Boot vom Stapel laufen. Meterdicke Wände und Decken sollten jedem Bombenangriff standhalten. Auf der Baustelle schufteten täglich rund 8.000 Menschen Zwangsarbeiter. Mehr als 1.600 von ihnen starben durch Unterernährung, Krankheiten oder Tötungen.

Heute wird er als Materialdepot genutzt und beherbergt den Denkort Bunker Valentin. Einer der Mitarbeiter der Gedenkstätte ist Jens Genehr. Seit 2013 führt er Schulklassen durch die Ruine. Am Donnerstag wird sein Comicbuch "Valentin" veröffentlicht. Auf 240 Seiten erzählt Gehner die Geschichte zweier Männer: Der eine ist Deutscher, Nationalsozialist und Fotograf auf der Baustelle. Der andere ist Franzose, KZ-Häftling und wird zur Arbeit am Bunker gezwungen.

Ein Mann sitzt an einem Schreibtisch und zeichnet an einem Bild.
Seine Bilder malt Jens Genehr mit Buntstiften und Aquarellfarbe. Das Zeichnen hat er sich selbst beigebracht. Bild: Radio Bremen | Sebastian Heidelberger

Jens Genehr, wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Comic über den Bunkerbau zu zeichnen?

Für meine Führungen im Bunker habe ich mich intensiv mit der Geschichte dieses Ortes auseinandergesetzt. Wenn mich etwas beschäftigt, dann zeichne ich. Schon als Kind hatte ich ein Zeichenbuch in das ich gekritzelt habe. Von daher war es für mich nur schlüssig die Geschichte des Bunkers in meinem Zeichenbuch zu verarbeiten. Ich habe am Anfang nicht daran gedacht einen ganzen Comic daraus zu machen. Das war ein Prozess. Insgesamt habe ich sechs Jahre daran gearbeitet.

Ist die Geschichte im Buch ausgedacht oder gab es die beiden Männer wirklich?

Die Geschichte basiert auf Quellen und Personen, die es wirklich gab. Vom Zwangsarbeiter Raymond Portefaix gibt es sehr genaue Tagebuchaufzeichnungen über seine Zeit in Bremen-Farge. Über den Fotografen Johann Seubert existiert nur eine dünne Entnazifisierungsakte. Er hat aber beinahe tausend Fotos auf der Baustelle gemacht. Im Auftrag der Nazis sollte er den Fortschritt der Arbeiten dokumentieren. Es ist die Sicht der Täter, das Leid der Zwangsarbeiter hat er eher unabsichtlich festgehalten. Aber auch ein Zwangsarbeiter hatte natürlich keine Übersicht über die gesamte Baustelle, sondern war ein Gefangener. Ich habe die beiden Sichtweisen kombiniert, um ein größeres Bild zu zeigen.

Ein Mann mit Brille lächelt in die Kamera. Er sitzt vor einem Schrank gefüllt mit Büchern.
Jens Gehner hat freie Kunst an der Hochschule für Künste in Bremen studiert. Bild: Radio Bremen | Sebastian Heidelberger

Wie viel Fiktion steckt in der Geschichte?

Beim Zwangsarbeiter Portefaix habe ich mich möglichst nah an die Schilderungen aus dem Tagebuch gehalten. Beim Fotografen Seubert musste ich viel mehr meine eigenen Vorstellungen über die Geschichte einbringen. Ich hatte ja nur die Fotos. Da hatte ich also mehr Spielraum und eine Projektionsfläche für meine eigene Sichtweise. Beide Geschichten basieren auf wahren Gegebenheiten, sind aber nicht die absolute Wahrheit. Sie sind eine Fiktion, die sich innerhalb einer Wahrheit bewegt.

Ist das eine angemessene Umsetzung für ein solches Thema?

Ja. Fiktion kommt immer ins Spiel, wenn wir Geschichte abbilden. Für mich macht es kein Unterschied, ob man es zeichnet oder beschreibt. Schreiben ist nicht objektiver als etwas zu zeichnen. Etwas zu beschreiben, kann eine viel größere Abstraktion sein als Zeichnungen. Ein Comic kann näher am Konkreten sein. Für mich ist der Comic das richtige Medium. Ich schreibe keine Romane, ich zeichne, das ist mein Ding. Ich will die Geschichte teil- und streitbar machen. Wenn Leute sich daran stoßen, dass es im Comic passiert, dann ist das eine gute Sache. Wir müssen wieder anders ins Gespräch kommen über die Geschichte.

Eine Seite aus einem schwarz weiß gezeichneten Comicbuch. KZ-Häftlinge betreten ein Lager. Ein KZ-Aufseher ruft: Willkommen in Farge!
Der Comic "Valentin" erzählt die Geschichte eines französischen Zwangsarbeiters. Bild: Jens Genehr

Sie zeigen auch den Alltag und die Sorgen des Fotografen Seubert. Warum?

Seine Bilder sind nicht mehr durch die Zensur gelaufen. Darum gibt es immer wieder Motive, die überhaupt nicht ins Bild passen. Er dokumentiert einen Bootsausflug auf der Weser. Aufnahmen von Kindern aus dem Dorf. Oder sehr intime Aufnahmen, wenn er die Beine der Sekretärinnen zeigt. Ein Typ wie jeder andere, der auch Bedürfnisse und Verlangen hat. Seubert hat niemanden umgebracht. Das was in Farge passiert ist, war nicht nur grausamer Nationalsozialismus. Es gab ja nicht nur den fanatischen Hass, der die Leute dazu getrieben hat, diese Verbrechen zu begehen. Eigentlich hat die Gleichgültigkeit das erst möglich gemacht. Seubert ist ein gleichgültiger Beobachter, trägt aber trotzdem sein Teil zum Funktionieren des Ganzen bei.

Sie haben sechs Jahre an dem Projekt gearbeitet, wieso hat es so lange gedauert?

Ich habe mir das Zeichnen selber beigebracht. Learning by doing mit vielen Fehlversuchen. Es gab Momente, wo ich alles über den Haufen geworfen habe. Ich war unzufrieden mit meinen Zeichnungen oder der Erzählweise. Ich habe dann noch mal komplett neu angefangen. Ohne die Ermutigungen meiner Kolleginnen und Kollegen am Denkort hätte ich den Comic nie fertig gestellt.

Comics sind gerade bei jüngeren Leuten beliebt. Sollen die durch deinen Comic etwas über die NS-Zeit lernen?

Lernen kann man bestimmt etwas daraus. Es gibt viele Leute, die etwas über die Zeit des Nationalsozialismus lernen müssen. Alle die meinen, dass das nur ein Vogelschiss in der deutschen Geschichte war zum Beispiel. Aber das war nie mein Anliegen. Mein Buch ist kein Pädagogikcomic.

Autor

  • Sebastian Heidelberger

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 29. September 2019, 19:30 Uhr

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