Interview
Was Bremerhaven von Belgiens Kampf gegen Drogen-Kartelle lernen kann
Wird Bremerhaven zu einem neuen Einfallstor für Drogenschmuggler? Der belgische Justizminister Van Quickenborne verrät, was im Kampf gegen Kokain-Kartelle helfen kann.
Herr Van Quickenborne, was macht Sie so sicher, dass deutsche Seehäfen wie Bremerhaven oder Hamburg attraktiver für Kokain-Kartelle werden könnten?
Drogenschmuggler wählen immer den Weg des geringsten Widerstands. Schmuggelrouten können sich schnell ändern, sobald Staaten härter gegen Drogen vorgehen. Das ist der sogenannte Wasserbett-Effekt.
Der Hafen von Rotterdam war der wichtigste Kokain-Eingangshafen Europas. Als die Behörden dort strenger kontrollierten, hat sich der Schmuggel Richtung Antwerpen verlagert. Wir investieren mittlerweile allerdings ebenfalls mehr in Gegenmaßnahmen. Wir beschlagnahmen schätzungsweise elf Prozent der Drogen, die über Antwerpen importiert werden.
Wenn wir es schaffen, uns auf 20 Prozent zu steigern, ist es wahrscheinlich, dass die Schmuggler sich Häfen suchen, in denen es ihnen einfacher gemacht wird. Es ist also durchaus möglich, dass mehr über Bremen und Hamburg geschmuggelt wird. Das ist auch der Grund, warum wir uns mit mehreren Europäischen Ländern, auch Deutschland, zu einem Anti-Drogen-Bündnis zusammengeschlossen haben.
Was kann es für ein Gemeinwesen wie Bremerhaven bedeuten, wenn es in den Fokus Organisierter Kriminalität gerät?
Ich kann schwer voraussagen, wie sich die Lage für Bremerhaven entwickeln könnte. Aber ich kann die Situation in Antwerpen beschreiben: Nachdem es belgischen Ermittlern gelungen war, das verschlüsselte Telefonnetzwerk Sky-ECC zu hacken, wurde auf einen Schlag eine Unmenge an Korruption sichtbar. Das reichte von Hafenarbeitern bis hin zu Rechtsanwälten. Zwei Jahre später haben wir bereits 3.000 Verdächtige ermittelt. 300 davon sind mittlerweile zu Haftstrafen von insgesamt 1.125 Jahren verurteilt worden.
Wir haben auch beobachtet, dass organisierte Kriminalität versucht, die legale Wirtschaft zu unterwandern. Das passiert in erster Linie über scheinbar legale Firmen, die als Tarnung für kriminelle Machenschaften dienen.
Es ist von Bedrohungsszenarien durch die Mafia zu lesen, denen sich Personal aus Behörden, Politik oder Hafenverwaltung in Belgien ausgesetzt sieht. Womit haben Sie es konkret zu tun?
Es kam durchaus vor, dass jemand, der im Hafen arbeitet, 20.000 Euro verdienen konnte, indem er einen Container an einem vereinbarten Ort abstellt, etwa ebenerdig oder in der Nähe eines Zauns. Aber sobald man so etwas getan hat, ist man unter ihrer Kontrolle. Sie werden immer mehr verlangen.
Da wir heute hart durchgreifen gegen diese Form der Korruption und strengere Sicherheitsmaßnahmen ergriffen haben, ist es schwieriger geworden, Hafenarbeiter mit hohen Summen zu bestechen. Es hat sich herumgesprochen, dass die Gefahr sehr groß ist, aufzufliegen. Unsere Geheimdienste überprüfen mittlerweile das gesamte Hafenpersonal, das in kritischen Bereichen arbeitet. Etwa nach auffälligen Kontakten mit Leuten, die mit organisiertem Verbrechen in Verbindung stehen.
Laufen solche Machenschaften in der Regel gewaltfrei ab?
Wenn Bestechung nicht funktioniert, kommt es durchaus vor, dass Druck ausgeübt wird. Menschen werden eingeschüchtert. Eins ist klar: Wenn man sich einmal mit diesen Leuten ins Bett gelegt hat, kommt man nur noch schwer von ihnen los.
Natürlich wird nicht nur Hafenpersonal bedroht, auch Behördenmitarbeiter, Polizisten und Journalisten sind im Fokus. Wir mussten das in den Niederlanden beobachten, wo ein renommierter Journalist auf offener Straße ermordet wurde. Sie schrecken auch nicht mehr davor zurück, Regierungsmitglieder zu bedrohen. Das betrifft sowohl mich, als auch den ehemaligen Justizminister der Niederlande.
Es ist offensichtlich, dass wir in eine Phase des Narco-Terrorismus eingetreten sind. Organisiertes Verbrechen versucht, mittels Gewaltandrohungen den Staat zu unterwandern – was wir selbstverständlich niemals zulassen werden.
Was bedeutet die aktuelle Lage für Ihr persönliches Leben?
Nun, ich stehe unter erhöhter Bewachung. Das gilt auch für meine Familie. Es ist nicht immer leicht. Besonders für meine Frau und meine Kinder, die sich dieses Leben nicht ausgesucht haben. Glücklicherweise unterstützen sie mich sehr. Ich bin mehr denn je entschlossen, diesen Kampf fortzusetzen.
Mir ist bewusst, dass die Drohungen nicht mir persönlich gelten, sondern dem Justizminister als Symbol für die Tausenden Beamten und Polizisten, die ihre Arbeit tun und diese Kriminellen wegsperren. Das werden wir auch weiterhin tun. Es mag widersprüchlich klingen, aber der Anstieg an Gang-Kriminalität in Belgien ist darin begründet, dass belgische Justiz und Polizei ihre Zähne zeigen und zurückbeißen. Wir haben der organisierten Kriminalität riesigen Schaden zugefügt, als wir ihr verschlüsseltes Telefonnetzwerk Sky-ECC geknackt haben.
Wie nachhaltig wird dieser Ermittlungserfolg die Drogenmafia schwächen?
In den vergangenen zwei Jahren ist keine Woche vergangen, in der Polizei nicht ein weiteres kriminelles Netzwerk aufgedeckt hätte. An unseren Gerichten befinden sich derzeit noch 500 Verfahren in der Warteschleife. Hunderte Verdächtige warten hinter Gittern auf ihre Verhandlung. Wir wissen natürlich: Nehmen wir eine Person von der Straße, wartet schon die nächste, um das lukrative Drogen-Import-Geschäft nach Europa zu übernehmen. Deshalb müssen wir das Geschäftsmodell zerstören.
Laut Experten setzen wir das Geschäftsmodell ernsthaft unter Druck, wenn es uns gelingt, mehr als 20 Prozent der geschmuggelten Drogen zu beschlagnahmen. Wir sind jetzt bei elf Prozent, deshalb werden wir unser Vorgehen weiter verschärfen.
Eine erfolgreiche Maßnahme war es, unsere Geheimdienste einzubinden. Die Organisierte Kriminalität hat den Staat ins Fadenkreuz genommen und versucht, ihn zu destabilisieren. Die Aufgabe der Geheimdienste ist es, die nationale Sicherheit zu schützen, deshalb war es naheliegend, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen. Im Gegensatz zum Justizministerium können die Geheimdienste sehr viel gezielter und effektiver gegen Verdächtige ermitteln.
Welche Lektionen können die Verantwortlichen der deutschen Seehäfen aus den belgischen Erfahrungen lernen?
Ein Rat lautet: Investiert früh genug in ordentliche Überwachung! Auf diese Weise werden rechtzeitig Schwachstellen sichtbar. Bleiben Fehlentwicklungen zu lange unter dem Radar, kann das die gesamte Wirtschaftsstruktur infizieren. Firmen werden gegründet, die keinerlei ökonomischen Nutzen haben und nur dazu dienen, Geld zu waschen.
Wir kooperieren eng mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Zusammen mit Italien, Frankreich, Spanien, den Niederlanden, Belgien und Deutschland treten wir den Kriminellen entgegen. Auf diese Weise können wir die Drogenmafia effizient, effektiv und über Grenzen hinweg bekämpfen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 13. April 2023, 19.30 Uhr