Werden Bremerhavens Häfen zu Hotspots für die Drogen-Mafia?
Ein EU-Minister ist im Visier der Drogenmafia, weil er seine Häfen schützt. Nun könnte der Drogenstrom nach Bremerhaven kommen. Ausgerechnet jetzt bleibt ein Hilferuf beim Bund ungehört.
Wenn Vincent Van Quickenborne über "Narco-Terror" spricht, dann weiß er, wovon er redet. Er ist Belgiens Justizminister und ist beruflich mit Drogenkriminalität befasst. Doch Van Quickenborne ist auch ganz persönlich betroffen. Er und seine Familie, so erzählt er in einem Interview mit dem "Stern", mussten schon mehrfach in ein sogenanntes "Safe House" flüchten. Er stehe unter dauerhaftem Personenschutz – auch einen mutmaßlichen Entführungsversuch habe es schon gegeben: Vor seinem Haus wurde ein Auto mit Waffen und Fessel-Utensilien entdeckt.
So etwas ist aus Deutschland bisher nicht bekannt. Aber das, so warnt der Minister, könne sich schnell ändern. Denn die immer schärferen Sicherheitsmaßnahmen in Antwerpen, so Van Quickenborne, werde den Narco-Terror in die anderen Häfen treiben. Und dabei nennt er ausdrücklich auch: Bremerhaven. Das Zollfahndungsamt in Hamburg bestätigte auf Anfrage von buten un binnen, dass wegen schärferer Sicherheitsmaßnahmen in Antwerpen mit einem vermehrten Kokainumschlag über Bremerhaven und andere europäische Häfen gerechnet werden kann.
Hilferuf des Landes an den Bund
Bremerhaven ist seit vielen Jahren nach Hamburg das größte deutsche Einfallstor für Drogen. Es gab immer größere Funde: Vor einem Jahr war es einer mit fast einer halben Tonne Kokain, davor waren es 1,1 bis 1,4 Tonnen. Es gab einen großen Drogen-Prozess, der zeigte, wie verwurzelt die Drogenkriminalität in Bremerhaven bereits ist. Und es gibt einen Hilferuf des Landes an den Bund.
Im Hafen hätten sich "kriminelle Strukturen verfestigt", schrieb Häfensenatorin Claudia Schilling (SPD) gemeinsam mit Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) an die Generalzolldirektion und später auch an deren obersten Dienstherrn, den Bundesfinanzminister Christian Lindner: Mitarbeiter und Behördenvertreter in den Häfen würden "gezielt angegangen", um an Insider-Infos zu kommen. Solche "kriminellen und zugleich gewaltbereiten Strukturen", warnen die Senatoren, würden auch die Bevölkerung gefährden. Darum müsse der Zoll personell aufstocken, um auch präventiv tätig zu werden. Er müsse bei Streifen ständig Präsenz zeigen. Tatsächlich gehe es auch "um Leben und Tod", sagte Schilling zu buten un binnen. Sie nannte einen Vorfall, bei dem ein LKW-Fahrer mit vorgehaltener Waffe gezwungen wurde, Drogen umzuladen. Er blieb unverletzt.
Bund schickt Absage in freundlichsten Tönen
Die Antwort der Bonner Oberzolldirektion kam zwar in freundlichsten Tönen, aber in der Sache hart: Der Zoll sei für Streifenfahrten gar nicht zuständig – sondern die Bremer Landespolizei. Eine Verlagerung von Personal zu Streifendiensten würde außerdem die Kontrolldichte verringern. Von Aufstockung also keine Spur. Ähnlich antwortete das Bundesfinanzministerium auf den Hilferuf aus Bremen: Die "konstruktive Zusammenarbeit" der Behörden solle fortgesetzt werden. Prävention sei aber nicht Sache des Zolls.
Und das, obwohl es nirgends nach einer Entspannung beim Drogenumschlag aussieht. Auch in Bremerhaven nicht: Konkrete Zahlen für dieses Jahr gibt es zwar noch nicht, ein Sprecher des Hamburger Zollfahndungsamtes nennt die Kokain-Aufgriffszahlen aber weiterhin "hoch". Antwerpen meldet für 2022 Rekordfunde von 110 Tonnen. Ein Grund für den Fahndungserfolg, so Vincent Van Quickenborne, könnten die schärferen Maßnahmen im Hafen sein.
Der Justizminister hatte neue Gesetze verabschieden lassen. Die Hafenbetreiber in Antwerpen müssen nun Zugangskontrollen mit biometrischen Daten durchführen, die Mitarbeiter werden von Sicherheitsbehörden überprüft, es gibt mehr Kameraüberwachung. "Der Hafenbetreiber", so der Minister im Interview, "muss Sicherheitsstandards aus dem Anti-Terror-Bereich auf den Bereich der Organisierten Kriminalität ausweiten". Das habe Belgien als weltweit erstes Land veranlasst.
Bremens Kampf mit eigenen Mitteln
Die Bremer kämpfen nun weiter mit ihren Mitteln gegen den Drogenstrom an. Auch Senatorin Schilling lobt die Zusammenarbeit zwischen Zoll und Polizei und die Arbeitsgruppe "Hafensicherheit", an der zahlreiche Behörden beteiligt sind. Bei der Staatsanwaltschaft Bremerhaven bündeln mittlerweile zwei Sachbearbeiter die Vorgänge zur Hafenkriminalität. Außerdem arbeiten die Beteiligten an der Aufstellung einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe.
Um an Informationen aus dem Kreis der Hafen-Mitarbeiter zu kommen, gibt es seit Kurzem ein anonymes Meldeportal. "Wir haben Anzeichen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Hafen angesprochen und aufgefordert werden, zum Beispiel mal eine Tasche mit Drogen mit nach draußen zu nehmen oder einen Container woanders hinzustellen und ihnen dann Geld geboten wird", sagt Senatorin Claudia Schilling zu buten un binnen. Wer aber einmal in diese Fänge gerate, mache sich erpressbar. Diesen Menschen solle mit dem Portal die Möglichkeit gegeben werden, anonym auf die Behörden zuzugehen. Bisher sind allerdings keine Hinweise eingegangen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 13. April 2023, 19.30 Uhr