Schmückt ein Hitler-Denkmal den Eingang der Bremer Böttcherstraße?
Auch am Tag des offenen Denkmals dürften viele ein Foto vom "Lichtbringer" machen. Hinter der goldenen Fassade des Reliefs verbirgt sich jedoch eine umstrittene Vergangenheit.
Mit gezücktem Schwert schießt der Lichtbringer in die Tiefe. Der Blick erhaben und die freie Hand erhoben, wehrt er seinen Widersacher, einen dreiköpfigen Drachen, ab. Männer, Frauen und Kinder recken ihre Arme in die Höhe, bejubeln vom Boden aus ihren selbstlosen Retter.
Bremer Bildnis vom Triumph des Guten über das Böse
Neben Stadtmusikanten und Roland gehört "Der Lichtbringer" wohl zu den meistfotografierten öffentlichen Kunstwerken in Bremen. Gerade Touristen scheint das denkmalgeschützte Bronzerelief über dem Eingang der Böttcherstraße magisch anzuziehen, wie auch Stadtführer Joachim Bellgart oft erlebt. "Viele Leute zücken ganz begeistert ihre Smartphones, wenn sie ihn sehen", so der 71-Jährige.
Wenn Bellgart aber von der Geschichte hinter der goldenen Fassade erzählt, betrachtet mancher seiner Zuhörer den vier mal vier Meter großen "Lichtbringer" mit anderen Augen. Denn laut Bellgart handelt es sich bei dem Bildnis vom Triumph des Guten über das Böse um ein "Hitler-Denkmal".
Anhand einiger Zitate ist diese Interpretation mehr als naheliegend.
Stadtführer Joachim Bellgart
Die braune Vergangenheit der Bremer Böttcherstraße
Die Zitate, auf die Bellgart verweist, gehen zurück auf den Unternehmer Ludwig Roselius und den Bildhauer Bernhard Hoetger, die Schöpfer des "Lichtbringers".
Durch die Erfindung des koffeinfreien Kaffees zu Ruhm und Reichtum gekommen, kaufte Roselius zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Häuser der Böttcherstraße auf. Mit viel Geld und Fantasie ließ der Kunstmäzen die maroden Gebäude im Sinne seiner völkisch-germanischen Weltanschauung umgestalten. Backstein für Backstein verwandelte Roselius die ehemals triste Gasse in ein 108 Meter langes Kunstwerk. Vor allem im Expressionisten Hoetger fand "König Ludwig" den idealen Interpreten für seine nordisch-esoterischen Ideen.
Die Neugestaltung der Böttcherstraße ist ein Streichholz, das verbrannt wird, um eine neue größere Zeit für Deutschland zu erwecken.
Aufzeichnung von Ludwig Roselius
Roselius war fasziniert von Hitler
Im Jahr 1922 traf Roselius erstmals auf Adolf Hitler – und der Vorsitzende der noch jungen Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) hinterließ Eindruck. "Von der Person Hitlers war er enorm fasziniert", sagt Uwe Bölts, Archivar der Böttcherstraße. "Wie viele andere sah er in ihm wohl so etwas wie einen zweiten Messias." Im Gegensatz zu Hoetger, der 1934 in die NSDAP eintrat, blieb Roselius aber die Aufnahme in die Partei verwehrt – offiziell wegen angeblicher Kontakte zur verbotenen Freimaurerei.
Wenn er gekonnt hätte, wäre er NSDAP-Mitglied geworden.
Uwe Bölts, Archivar der Böttcherstraße, über Ludwig Roselius
"Sieg unseres Führers über die Mächte der Finsternis"
Auch die Hoetger-Bauten der Böttcherstraße waren den NS-Machthabern ein ästhetischer Dorn im Auge. Vor allem das SS-Kampfblatt "Das schwarze Korps" wütete gegen die "artfremden Bildwerke".
Um seine Prachtgasse vor den Attacken zu schützen, verzierte Roselius deren Fassade im Sommer 1936 mit dem von Hoetger geschaffenen "Lichtbringer". Angelehnt an den Drachentöter Siegfried und den Erzengel Michael, war offensichtlich, wen die über allem schwebende Erlösergestalt verkörperte: Adolf Hitler, den – nach damals verbreiteter Ansicht – "Retter des deutschen Volkes".
Doch es kam anders: In einer Reichsparteitagsrede schoss der Diktator scharf gegen die "Böttcherstraßen-Kultur" und wetterte gegen ihr ideologisches Fundament. Panik ergriff Roselius. In einem Brief an den Bremer NS-Bürgermeister verwies er auf den "Lichtbringer" und betonte: "Die große Bronze stellt den Sieg unseres Führers über die Mächte der Finsternis dar." Noch pathetischer äußerte sich Hoetger.
Gibt es wohl einen höheren Ausdruck der Verehrung unserer vom Führer geschaffenen Zeit, wie es sich in meinem neuen Relief "Der Lichtbringer" offenbart?
Auszug aus einem Brief von Bernhard Hoetger
Hitler-Denkmal oder Metapher auf das Führertum?
Obwohl die Zitate unmissverständlich sind, lehnt Archivar Bölts das "Lichtbringer"-Etikett als "Hitler-Denkmal" ab. Auch der Senat kam im Jahr 2013 nach einer Fragestunde in der Bürgerschaft zu dem Ergebnis, dass es sich "nicht um ein Hitler-Denkmal handelt". Bölts zufolge sei der "Lichtbringer" vielmehr "eine Metapher auf das Führertum".
Auch die häufige Beobachtung, einige der rund 50 Relief-Figuren zeigten den Hitlergruß, sei falsch. "Wenn es so wäre", so Bölts, "würden sie einheitlich den Arm heben und nicht chaotisch, sondern in Reih und Glied nebeneinanderstehen." In einem zeitgenössischen Handzettel, den Roselius verfasste, war vom "Deutschen Gruß" ebenfalls keine Rede. "Die Menschen", hieß es darin, "erheben glücklich bewegt ihre Hände."
Stadtführer Bellgart bleibt dennoch skeptisch. "Man kann einfach nicht übersehen, wie exakt die Bewegungen ausgeführt werden." Bei seinen Touren bittet er seine Gäste daher stets, genau hinzuschauen, wie die Figuren ihren "Lichtbringer" grüßen.
Und dann erkenne ich immer in ihren Mienen, wie der Groschen fällt.
Stadtführer Joachim Bellgart
Hinweistafel oder Flyerbox?
Auch für Miriam Strunge, kulturpolitische Sprecherin der Linken, steht fest, dass sich Roselius und Hoetger mit dem "Lichtbringer" bei Hitler "anbiedern wollten". Ihre Partei fordert deshalb schon seit Jahren eine Erklärungstafel an Ort und Stelle.
Nach wie vor sind wir der Meinung, dass eine kritische Thematisierung sowohl der Geschichte des "Lichtbringers" als auch der Hintergründe der Böttcherstraße notwendig ist.
Miriam Strunge, kulturpolitische Sprecherin der Linken
Bislang weisen aber nur ein per QR-Code abrufbarer "Lauschorte"-Text der Autorin Katharina Mevissen sowie ein von der Böttcherstraße ausgelegter Flyer auf die Problematik hin. Zu wenig, findet Strunge: "Die verschämte Flyerbox ist überhaupt nicht ausreichend, um diesem Anliegen gerecht zu werden."
Es braucht auf jeden Fall ein deutlich sichtbares Hinweisschild am Eingang der Straße.
Miriam Strunge, kulturpolitische Sprecherin der Linken
Laut Archivar Bölts habe man zwar auch über eine Tafel nachgedacht, sich letztendlich aber bewusst für den Faltblattverteiler entschieden. Denn im Vergleich biete eine mehrseitige Broschüre eben mehr Platz für die komplexe Geschichte des Kunstwerks. "Für uns ist das die ideale Lösung", so Bölts.
Zumal das Interesse an den Flyern groß sei: "In den vier Jahren, seit die Box angebracht ist, sind bereits 60.000 Exemplare mitgenommen worden."
Hitler lehnte die "Böttcherstraßen-Kultur" ab
Roselius' Plan, mit dem "Lichtbringer" sein Werk vor den Nationalsozialisten zu retten, ging letztlich übrigens doch auf – allerdings in anderem Sinne, als von ihm erhofft: Hitler brandmarkte die Backstein-Bauten zwar als "abschreckendes Beispiel dafür, was in der Zeit vor unserer Machtübernahme als Kultur und Baukunst ausgegeben worden sei". Trotzdem ließ der einstige Postkarten-Maler das Ensemble – wenn auch nur als Sinnbild für "entartete Kunst" – unter Denkmalschutz stellen. Dank Hitler war die Böttcherstraße somit vor weiteren Angriffen der NS-Organe geschützt – nicht aber vor denen alliierter Bomber.
Seit ihrem Wiederaufbau nach Kriegsende gehört ihr Besuch wieder wie eh und je zum Pflichtprogramm für Touristen. Doch auch in anderer Hinsicht ist Bremens heimliche Hauptstraße von großem Wert, so Archivar Bölts.
Nirgendwo in Bremen kann man den Weg aus der Weimarer Republik in den Nationalsozialismus besser studieren als in der Böttcherstraße, nirgends den Weg von der Heimatverbundenheit in den Glauben an die völkische Überlegenheit.
Uwe Bölts, Archivar der Böttcherstraße
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Nachrichten, 10. September 2023, 6 Uhr