Interview
Keine Freifahrten mehr für Obdachlose: Innere Mission hat Verständnis
Die BSAG will Obdachlose in diesem Winter wegen zunehmender Aggressivität nicht mehr kostenlos mitfahren lassen. Axel Brase-Wentzell von der Inneren Mission in Bremen hat dafür Verständnis.
Was halten Sie von der Entscheidung der BSAG, Obdachlose nicht mehr kostenlos in Bussen und Bahnen mitfahren zu lassen?
Nach den Darstellungen der BSAG, mit der wir seit Jahren gut kooperieren, gab es massive Bedrohungen gerade an den Endhaltestellen, weil Menschen nicht aufstehen, aggressiv sind. Es ging um massive Gewaltandrohung und -anwendung sowie Vandalismus. Und das sind Situationen, in denen ich – wenn es meine Mitarbeitenden betreffen würde – genauso agieren würde. Insofern ist die Entscheidung für mich und für uns nachvollziehbar. Unabhängig davon, was es dann an Konsequenzen bedeutet, weil es natürlich mehr Nutzerinnen und Nutzer sind, die das Angebot ohne Gewaltandrohung genutzt haben.
Nehmen Sie es auch so wahr wie die BSAG, dass es immer mehr Obdachlose sind, die Probleme machen?
Wir nehmen wahr, dass die Situation immer angespannter und aggressiver wird. Wir haben mehr Menschen mit Suchtmittelkonsum, die schwieriger ansprechbar sind, die aufgrund des Konsums oder unter dem Entzug aggressiver werden. Im Café Papagei haben wir einen Sicherheitsdienst – wir hatten dort vorher nie einen Sicherheitsdienst.
Letztlich wird es die BSAG durch ihre Entscheidung nicht verhindern können, dass Obdachlose trotzdem in Busse und Bahnen steigen. Wird es so kommen?
Ich würde davon ausgehen, dass Menschen es nutzen, wenn es draußen kalt ist. Dann werden sie sich Möglichkeiten suchen, sich aufzuhalten. Dann wird man sie über den Sicherheitsdienst oder die Polizei entfernen lassen, es wird Strafanzeigen geben.
Der Unterschied ist jetzt: Wir bewerben es nicht mehr. Wir sind teilweise seit Oktober angefragt worden, wann sie wieder mitfahren dürfen. Es gibt eben auch Menschen, die das ganz bewusst und unter den Bedingungen, die toleriert waren, genutzt haben, um sich dort aufzuhalten. Denen haben wir mitgeteilt, dass es offiziell nicht mehr erlaubt ist. Alles andere entscheiden die Personen dann für sich selbst.
Welche Möglichkeiten gibt es noch für Obdachlose, sich in Bremen aufzuhalten?
Unsere Möglichkeiten sind total beschränkt. Wir haben tagsüber das Café Papagei und das Frauenzimmer, wo Menschen sich aufhalten können. In den Abendstunden und am Nachmittag wird es dann eng. Da sind wir auf Kooperationen angewiesen. Der Bremer Treff ist ein Angebot unter anderem.
Wenn Sie der BSAG nichts vorwerfen können – wem dann?
Wir müssen uns zum einen als Gesellschaft damit auseinandersetzen, dass es mehr solcher Menschen werden. Und dass das nicht nur als Beschwerdelage wahrgenommen wird, sondern dass das Menschen sind, die schwer krank sind und die Hilfe brauchen, und die uns ansonsten auf der Straße versterben. Ob kalt oder nicht kalt. Und das andere Thema ist, dass es Räumlichkeiten braucht, in denen Menschen sich aufhalten können.
Und das fängt bei Ruheliegen an, für Menschen, die schwer suchtkrank sind, die unter dem Druck tagelang nicht schlafen und irgendwann einfach nur umfallen und schlafen. Und es gibt die, die institutionell nicht unterkommen und die massive Hausverbote haben aufgrund von Gewaltanwendung, bei denen es trotzdem der Fall ist, dass wir als Gesellschaft und als Staat Lösungen brauchen, damit sich die Menschen orientieren können. Eine Idee könnte sein, ein Nachtcafé zu installieren, wo Menschen sich aufhalten können. Das diskutieren wir seit vielen Jahren. Es fehlt an Räumen und am Geld.
Der Vorwurf geht also an die Politik.
Am Ende geht es darum: Wer entscheidet das und wer übernimmt die Kosten. Es mangelt nicht an Ideen. Wir sind mit dem Sozialressort und mit dem Gesundheitsressort im Gespräch über weitere Lösungen. Gemeinden sind angefragt worden, ob sie gegebenenfalls in den ganz kalten Nächten aufmachen können. Aber das ist auch immer abhängig von Ehrenamtlichen, die das machen. Auch die haben das Thema Vandalismus und andere Schwierigkeiten.
Wir haben das in der Corona-Zeit mal mit Unser-Lieben-Frauen gemacht – das hat ganz toll geklappt. Aber auch da musste ab dem dritten Tag ein Sicherheitsdienst hinzugezogen werden. Das heißt, das ist immer mit Kosten und Organisation verbunden, und Gemeinden haben auch noch andere Themen im Kalender. Wir müssen weiter in den Dialog mit den Kostenträgern treten, um Lösungen zu finden.
Die BSAG bietet nun mehr Wärmebusse an, nur die müssen ja auch mit Personal bestückt werden. Wie bewerten Sie dieses Angebot?
Erstmal macht es deutlich, dass die BSAG sich Gedanken dazu macht, wie Menschen dann eben nicht auf der Straße bleiben müssen. Aber es ist nicht nur eine Frage der Kosten und des Personals. Der Wärmebus ist offen von 8:45 Uhr bis 16 Uhr. Der Tag ist länger als dieser Zeitabschnitt. Aber es braucht rund um die Uhr Angebote, wo Menschen sich hinorientieren können. Das ist nicht die Lösung, die es am Ende braucht. Und wir stellen das Problem ja in allen Stadtteilen fest: Der Wärmebus ist am Hauptbahnhof, das zentriert sich da meistens. Aber es braucht mehr Orte, auch in den Stadtteilen, wo Menschen sich aufhalten können.
Das Gespräch führte Niko Schleicher für buten un binnen TV. Aufgeschrieben und redigiert hat es Patricia Friedek.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 2. Dezember 2024, 19:30 Uhr