Ist die Kindergrundsicherung die Lösung für arme Kinder in Bremen?

Ein Kind steht vor einem Fenster, auf dem Regentropfen sind (Symbolbild)
Arme Kinder werden in vielerlei Hinsicht vom sozialen Leben ausgeschlossen. Bild: Imago | photothek/Ute Grabowsky

Mehr als ein Viertel der Bremer ist von Armut bedroht. Gründe gibt es viele. Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Aber es gibt Ansätze, wie die Bremer Armutskonferenz zeigt.

Bremen ist Spitzenreiter in Sachen Armut. In keinem anderen Bundesland waren den Statistiken zufolge 2021 so viele Menschen arm wie in Bremen. Um ein Bewusstsein für Armut im Land Bremen zu schaffen, findet hier seit 2013 die Armutskonferenz statt – am vorigen Donnerstag zum fünften Mal. Aber warum ist Armut in Bremen überhaupt so ein großes Problem? buten un binnen hat sich am Rande der Konferenz umgehört.

Der Sozialwissenschaftler René Böhme vom Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen forscht seit Jahren schwerpunktmäßig zu Armut. Dabei hat er festgestellt: "Es gibt so ein gewisses Erzählregime, was immer gerne verweist auf das Wirtschaftswachstum, auf die Beschäftigungsrekorde. Aber es gibt eben auch die andere Seite der Medaille, die andere Seite des Wachstums in Deutschland, ein Stück weit auch die Schattenseite. Und das ist die Armut, das ist die soziale Ungleichheit."

Die Armutsgefährdungsquote im Land Bremen spricht für sich: 28,2 Prozent der Menschen sind hier im Jahr 2021 von Armut bedroht. Das heißt: Sie verdienen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland. Das sind so viele wie in keinem anderen Bundesland. Zahlen für das Jahr 2022 gibt es noch nicht. Die Konsequenzen der Inflation auf die finanzielle Lage der Bremerinnen und Bremer lässt sich bisher auch nur erahnen.

Armutsrisiko, Mindestsicherung und Arbeitslosigkeit im Land Bremen

Hier können Sie sich externe Inhalte (Text, Bild, Video…) von Datawrapper anzeigen lassen

Stimmen Sie zu, stellt Ihr Browser eine Verbindung mit dem Anbieter her.
Mehr Infos zum Thema Datenschutz.

Zehn Jahre Bremer Armutskonferenz

Bei der Bekämpfung von Armut helfen soll die Bremer Armutskonferenz. Rene Böhme hat sie vor 10 Jahren mitinitiiert. In diesem Jahr fand sie zum fünften Mal statt, jedes Mal mit einem anderen Schwerpunkt.

Böhme erklärt das Konzept der Konferenz so: "Wir wollen mit diesen Schwerpunktthemen natürlich auf bestimmte Handlungsfelder aufmerksam machen, auf bestimmte Probleme und dann während der Konferenz natürlich auch mit den Teilnehmenden diskutieren, wo eben Problemlagen bestehen. Aber wir wollen eben auch ganz konkrete Handlungsempfehlungen am Ende formulieren."

Im Mittelpunkt in diesem Jahr: die Herausforderung von Arbeit und Migration. Der Hintergrund: Gut ein Drittel der Bremerinnen und Bremer hat eine familiäre Migrationsgeschichte. Bei den Unter-18-jährigen sind es sogar über 60 Prozent. Umso wichtiger, nicht nur für die Betroffenen, sondern für die gesamte Bremer Gesellschaft ist es daher, Zuwanderern dabei zu helfen, sich möglichst schnell in Bremen zurechtzufinden, zumal auf dem Arbeitsmarkt.

Gründe für Armut in Bremen

Eine, die auch schon bei der ersten Armutskonferenz im Jahr 2013 dabei gewesen ist, ist die Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne). Die Gründe für Armut seien vielfältig, sagt Stahmann. Das mache die Bekämpfung nicht immer einfach.

In Bremen leben viele Menschen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Das liegt an der Sozialstruktur. Rund um Bremen leben viele Menschen, denen es sehr gut geht. Dadurch, dass in einer Großstadt viele Alleinerziehende leben, auch viele Geflüchtete, auch ältere Menschen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, haben wir eine Struktur, wo man sagen kann: Hier herrscht Armut in Bremen und Bremerhaven.

Sportsenatorin Anja Stahmann gibt ein Interview.
Sozialsenatorin Anja Stahmann

Im Land Bremen leben besonders viele Kinder und Jugendliche in Armut. 2021 lebten sogar bundesweit die meisten armen Kinder von ihnen im Land Bremen.

Könnte eine Kindergrundsicherung helfen?

Einen wichtigen Baustein, um Kinderarmut zu kämpfen, sieht Stahmann auf Bundesebene: Sie fordert die Einführung der Kindergrundsicherung, wie sie im Koalitionsvertrag festgeschrieben steht. Damit soll Kindern aus armen Verhältnissen finanziell geholfen werden. Ein armes Kind soll so nicht zwangsläufig zum armen Erwachsenen werden. Dass es diese Grundsicherung noch nicht gibt, kreidet Stahmann der FDP auf Bundesebene an.

Auch Böhme sieht die Grundsicherung als mögliche Lösung, um den Kreislauf der Armut in Bremen zu durchbrechen. Das bisherige System habe eher zu noch mehr Armut unter Kindern und Jugendlichen geführt.

Das Grundproblem, was wir in Deutschland haben, ist: Je wohlhabender ein Haushalt ist, desto mehr sind dem Staat die Kinder wert.

René Böhme
Sozialwissenschaftler René Böhme

Diejenigen, die über den Steuerfreibetrag Kinder geltend machen könnten, kämen auf deutlich höhere Ersparnisse als diejenigen, die Kindergeld ausgezahlt bekämen. Wer schließlich Sozialleistungen beziehe, dem werde das Kindergeld angerechnet. "Das heißt, wir haben de facto dann null Euro", so Böhme.

Fest steht aus seiner Sicht: Die eine Lösung gegen die hohe Armut im Land Bremen gibt es nicht. Eine wirkungsvolle Armutsbekämpfung müsse verschiedene Faktoren zugleich berücksichtigen, etwa die Einkommen, familiäre Umstände sowie das gesamte soziale Umfeld.

Deshalb ist René Böhme vor allem eines ganz wichtig: Chancengerechtigkeit für alle. Daher sei eine erfolgversprechende Armutspolitik zugleich Teilhabepolitik. Es gelte, Menschen trotz Armut Teilhabe zu ermöglichen und dazu insbesondere die Chancengerechtigkeit im Bildungssystem herzustellen.

Das Ziel müsse darin bestehen, dass diejenigen, die aus einem armen Haushalt kämen, deswegen eben nicht zwangsläufig arm bleiben werden.

So lief die fünfte Bremer Armutskonferenz ab

Bild: Radio Bremen
  • "Geld wird knapper": Immer mehr Bremer sind auf Hilfe angewiesen

    Die Johanniter haben auf der Bürgerweide ein Grünkohlessen angeboten, 200 Menschen sind gekommen. Und die Helfer stellen fest: Der Andrang ist größer als sonst.

  • Wie Bremen Armut bekämpfen und die Integration verbessern kann

    Die Bremer Armutskonferenz will die Lage für Betroffene verbessern. Laut Paritätischem Wohlfahrtsverband ist landesweit mehr als jeder Vierte von Armut betroffen.

Autorin

  • Marie Roters
    Marie Roters Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 2. März 2023, 19.30 Uhr