Interview
Wie Bremen Armut bekämpfen und die Integration verbessern kann
Bei der Bremer Armutskonferenz geht es um die Teilhabe von Migranten. Bremens Migrationsbeauftragte sieht viel Luft nach oben – und sagt, was besser werden könnte.
Gut ein Drittel der Bremerinnen und Bremer hat eine familiäre Migrationsgeschichte. Bei den Unter-18-Jährigen sind es sogar mehr als 60 Prozent. Das teilt der Paritätische Wohlfahrtsverband mit – und lädt daher für den 2. März zur 5. Bremer Armutskonferenz unter dem Motto "Bremen braucht alle – Schwerpunkt Migrationsgesellschaft" ein.
Wie es um die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben von Menschen mit Migrationshintergrund in Bremen bestellt ist, darüber wird bei der Tagung auch Nadezhda Milanova sprechen. Sie ist die Leiterin der Bremer Integrationspolitik. Buten un binnen hat mit Milanova im Vorfeld der Armutskonferenz über Integration im Land Bremen gesprochen.
Frau Milanova, "Bremen braucht alle" heißt es im Untertitel der 5. Bremer Armutskonferenz. Was sind Ihre Eindrücke aus Ihrer beruflichen Praxis: Hat unsere Gesellschaft verstanden, dass sie jeden braucht?
Ich glaube: Es ist nicht bei allen angekommen, dass wir alle brauchen. Wenn man sich die Zahlen, Daten und Fakten aus diversen Studien anguckt, dann wird deutlich: In den kommenden zehn Jahren werden mehr Fach- und Arbeitskräfte aus Altersgründen aus dem Berufsleben aussteigen, als wir mit neuen Arbeitskräften ausgleichen können. Wir müssen alle Potenziale, die wir haben, nutzen und dazu an verschiedenen Stellschrauben drehen. Und natürlich müssen wir versuchen, möglichst viele der Menschen, die bei uns leben, in den Arbeitsmarkt aufzunehmen. Egal, ob sie schon lange bei uns leben oder neu zu uns gekommen sind.
Woran hakt es dabei aus Ihrer Sicht besonders?
Die Probleme sind vielschichtig. Nehmen wir etwa die Sprache. Wir haben zwar inzwischen verstanden, dass die Sprache der Schlüssel zur Integration und daher auch ganz wichtig ist, um Armut zu bekämpfen. Daher hat sich viel auf Bundes- und auf Landesebene getan. Es gibt viele Sprachkurse für Menschen, die neu ankommen. Allerdings gibt es auch Lücken. Voriges Jahr sind viele Menschen aus der Ukraine zu uns gekommen, Mütter mit Kindern. Da haben wir schnell feststellen müssen, dass wir zu wenig Sprachkurse für Eltern haben, Kurse bei gleichzeitiger Kinderbetreuung. Das ist ein bekanntes Thema in Bremen. Es gibt nicht genügend Betreuungsplätze.
Ein anderes Problem bei uns ist die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen. Das dauert einfach zu lange. Klar gibt es Unterschiede je nach Qualifikation und Beruf. Aber die durchschnittliche Dauer des Anerkennungsprozesses liegt in Deutschland bei fünf Jahren. Wenn ich mir vorstelle, dass ich hier als qualifizierte Arbeitskraft ankomme und fünf Jahre warten muss, bis meine Qualifikation anerkannt wird – dann muss ich sagen: Mir wird ganz schön viel abverlangt! Und den Arbeitgebern, die mich doch vielleicht einstellen möchten, wird auch viel abverlangt.
Ein drittes Problem ist die Erwartungshaltung der Gesellschaft. Viele gehen davon aus, dass Sprachkenntnisse schnell erlernt werden. Aber so ist das nicht. Ich hatte schon ein bisschen Deutsch gelernt, bevor ich hierher gekommen bin. Trotzdem habe ich als 20-jährige Studentin ohne familiäre Verpflichtungen noch einmal etwa zwei Jahre gebraucht, um ein gewisses Sprachniveau zu erreichen, mit dem ich mein Studium richtig aufnehmen konnte. Und ich behaupte: Ich lerne relativ schnell.
Das Erlernen einer Sprache braucht Zeit. Diese Zeit muss man Menschen, die zu uns kommen, auch geben. Man darf nicht so schnell die Geduld mit ihnen verlieren.
Nadezhda Milanova, Leiterin der Bremer Integrationspolitik
Vor welchen Herausforderungen, die die Gesellschaft Ihrer Meinung nach unterschätzt, stehen Menschen, die neu nach Bremen kommen, außerdem?
Die Migrationszahlen sind in den letzten Jahren enorm gestiegen. Aber unsere institutionellen Strukturen sind nicht dauerhaft darauf eingestellt. Das betrifft die Migrationsdienste und die Behörden, die Aufenthaltserlaubnisse erteilen und in das Einbürgerungsgeschehen eingebunden sind. Das dauert alles zu lange. Doch das zu verbessern, ist genauso wichtig, wie es ist, mehr Sprachangebote zu schaffen, die Kinderbetreuung auszubauen und für ausreichend viele Schulplätze zu sorgen.
Wenn Sie die Herausforderungen gewichten müssten: Wo besteht aus Ihrer Sicht der allergrößte Handlungsbedarf?
Ich würde ganz am Anfang anfangen: im vorschulischen Bereich. Wir haben – nicht nur in Bremen – viel zu wenige Erzieherinnen für die frühkindliche Bildung. Das gleiche Problem haben wir dann etwas später in der Schule mit den Lehrenden. Auch die Schulen sind nicht ausreichend ausgestattet.
Ich glaube aber, dass es keinen Sinn hat, zu sagen: Wir gehen dieses Problem jetzt nacheinander an, je nach Gewicht. Das muss alles parallel geschehen. Wir müssen gleichzeitig die Kitas und die Schulen ausbauen, mehr Lehrkräfte und Erzieher gewinnen und die Sozial- und Migrationsdienste ausbauen. Wir müssen das alles den gestiegenen Anforderungen anpassen. Auch wenn das eine große finanzielle Herausforderung für das ganze Land ist.
Was unternehmen Sie in Ihrer Funktion als Leiterin der Bremer Integrationspolitik, damit Zuwanderer in Bremen künftig besser Tritt fassen und ihnen keine Armut droht?
Wir konzentrieren uns zurzeit stark auf Sprachangebote, auch in Ergänzung zu den Bundesangeboten – auch mit Möglichkeiten zur Kinderbetreuung, damit Eltern zu geeigneten Zeiten einen Sprachkurs machen können. Außerdem unterhalten wir viele Beratungsangebote für Menschen, die neu zu uns kommen, aber auch für solche, die schon länger bei uns leben.
Ein Thema, mit dem wir uns außerdem künftig stärker auseinandersetzen wollen, ist die Diskriminierung durch Strukturen. Oder enger gefasst: Rassismus. Wir arbeiten an einem Landesaktionsplan zur Bekämpfung von Rassismus. Das Thema spielt eine große Rolle für ganz viele Menschen bei uns. Rassismus und Diskriminierung im Allgemeinen werden auch Themen bei der Armutskonferenz sein.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 2. März 2023, 19.30 Uhr