Warum ein Reisealbum aus Bremen ein Zeichen des modernen Tourismus ist
Das Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven besitzt zu viel, um alles zu zeigen. Darum hebt es nun Schätze aus dem Archiv – zu Beginn ein Reisealbum mit besonderer Geschichte.
Wer glaubt, viel Kram zu Hause zu haben, kennt noch nicht das Archiv des Deutschen Schifffahrtsmuseums (DSM) in Bremerhaven. Zur Sammlung gehören Hunderttausende Archivstücke: Vom Tischservice, über Dokumente und Gemälde bis zum Segelboot. Zu viel für die Ausstellung, der größte Teil der Sammlung lagert im Forschungsdepot im Fischereihafen. Vieles ist nie öffentlich zu sehen gewesen. Das DSM stellt online nun regelmäßig Depot-Schätze vor, die "Archivalie des Monats". Zum Anfang ein besonderes Reisealbum.
Heute ist es einfach: Handyfotos, bis der Speicher voll ist. Mitte des 19. Jahrhunderts war es sehr viel mühevoller, zum Beispiel Reisebilder zu zeigen. Die Menschen legten Alben an, klebten Bilder oder eigene Zeichnungen hinein. So wie das Exemplar aus dem Jahre 1859. Alexander Reis, Mitarbeiter in der digitalen Dokumentation, darf es nur mit Handschuhen anfassen. Das Papier ist leicht gewellt, hat bräunliche Flecken.
Mit Dampfer von New York nach Bremerhaven
"Es ist schön in Leder gebunden, blaues Marmorpapier und es gibt diesen Hinweis des Buchbinders hinten, der hat seine Etikette dran", erklärt Reis. Boston steht darauf. Dort lebte Georg Papendiek, gebürtiger Bremer, als junger Mann alleine nach Amerika ausgewandert, um sich dort als Kaufmann niederzulassen. Von ihm stammt das Album. Es beschreibt seine Reise vor fast 164 Jahren von New York zurück nach Bremen. Den Atlantik überquerte er mit der "Bremen" – dem ersten Passagierdampfer des Norddeutschen Lloyds.
Nach fast 14 Jahren Abwesenheit von Europa ging ich am 14. Mai 1859 in New York an Bord des guten Dampfers "Bremen" – begleitet von meiner lieben Frau und meinen Kindern. Obwohl Kapitän H. Wehsels ständigem Gegenwind ausgesetzt war, fuhr er am 26. in den Ärmelkanal, bei schönstem Wetter vorbei an den "Needles", und ankerte vor Cowes auf der Isle of Wight.
Georg Papendiek
Papendiek, seine Frau und die zwei kleinen Kinder reisten erster Klasse. Etwa zweieinhalb Wochen dauerte die Fahrt bis Bremerhaven. Mit dem Raddampfer "Roland" ging es weiter nach Bremen. Als er die Stadt erblickte, sei er emotional geworden, notierte er. Das Reisealbum war für seine Verwandten in Amerika gedacht, erklärt Reis. "Es geht vielleicht einfach auch darum, kulturelle Identität zu zeigen", so der Archäologe. "Also, wo komme ich her, und was ist so mein Hintergrund und vielleicht auch so ein bisschen Stolz auf Bremen."
Reisealbum zeigt frühe Vermarktung Bremens
Papendiek gehörte zu einer namhaften Kaufmannsfamilie. In Bremen wollte der 33-Jährige Mutter und Stiefvater besuchen, möglicherweise auch geschäftliche Kontakte für einen Polsterhandel knüpfen, sagt der Forscher. Ins Album klebte Papendiek vor allem Sehenswürdigkeiten wie das Rathaus. Auch einen Stadtplan. Im Fokus steht das damals moderne Bremen.
Hier gibt es ein Bild vom Bahnhof, dem Arbeitshaus oder von den Wallanlagen, die im Stil der Zeit angelegt sind. Und das ist eben vielleicht schon so eine Art Reiseführer.
Alexander Reis, DSM-Archäologe
Auch moderne Raddampfer auf der Weser sind abgebildet. Papendiek habe kulturelle und technische Errungenschaften zeigen wollen, sagt Reis. Die Wallanlagen hatten es dem Kaufmann besonders angetan. Sie tauchen mehrfach auf, etwa als Aquarell. Eingeklebt sind außerdem verschiedene Drucke, die es massenhaft als Erinnerungsstücke zu kaufen gab. Das Album ist laut Reis daher auch ein Beleg für die Vermarktung Bremens.
"Das ist eigentlich der Beginn des Tourismus, des Kulturtourismus, den wir hier dokumentiert haben, wenn man so will", sagt Reis. Dass das Reisealbum von Papendiek stammt, fanden Forschende unter anderem mit Hilfe von Passagierlisten heraus. Er und seine Familie kehrten nach fünf Monaten in die USA zurück.
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Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Das Wochenende aus Bremerhaven, 22. Januar 2023, 10:40 Uhr