Fragen & Antworten
Alte Ärzte, kaum Nachfolger: Droht dem Land Bremen ein Praxissterben?
Immer mehr Arztpraxen im Land Bremen könnten bald schließen. Es mangelt an Ärzten und an Fachpersonal. Der Druck auf die Praxen wächst. Ist die Versorgung in Bremen gefährdet?
Die Zukunft vieler Arztpraxen in Bremen und Bremerhaven ist ungewiss. Schuld daran ist in erster Linie die Altersstruktur der Bevölkerung. Viele Ärztinnen und Ärzte gehen demnächst in den Ruhestand. Gleichzeitig kommen nicht genügend nach. Aufgrund der geburtenschwachen Jahrgänge mangelt es an jungen Ärzten wie an Medizinischen Fachangestellten. Die Kassenärztliche Vereinigung Bremen hat deshalb kürzlich Alarm geschlagen. Zu den Hintergründen des drohenden Praxensterbens im Land Bremen:
Wie ist es um die Versorgung mit niedergelassenen Ärzten derzeit in Bremen und in Bremerhaven bestellt?
Auf den ersten Blick betrachtet gar nicht so schlecht, zumindest in Bremen. So liegt der Versorgungsgrad Bremens mit Hausärzten laut Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) derzeit bei 107,6 Prozent. Nicht so gut sieht es für Bremerhaven aus. Hier liegt der Versorgungsgrad mit Hausärzten lediglich bei 93,9 Prozent.
Mit Blick auf die aktuellen Zahlen aus der Bedarfsplanung für Bremen und Bremerhaven gibt Christoph Fox, Sprecher der KV Bremen, zu bedenken, dass sich die aktuelle Lage in den kommenden Jahren praktisch monatlich verschlechtern werde: "Es werden viele Ärzte in den Ruhestand gehen, und nicht für alle Praxen werden sich Nachfolger finden", so Fox. Rund 30 Prozent der Hausärztinnen und Hausärzte in der Stadt Bremen seien älter als 60 Jahre, in Bremerhaven seien sogar 46 Prozent der Hausärzte über 60.
Holger Schelp, erster Vorsitzender des Hausärzteverbands Bremen, fügt hinzu, dass die Tabellen aus der Bedarfsplanung für Bremen und Bremerhaven schon heute nicht mehr abbildeten, was viele Menschen fühlen: "Viele Leute finden keine Hausärzte mehr, die sie aufnehmen." Der Grund: Die Hausärzte hätten oft keine Kapazitäten mehr. In vielen Fällen auch deshalb nicht, weil es zu wenig Medizinische Fachangestellte im Alter von 20 bis 30 Jahren gebe. Dadurch fehle es vielen Praxen an Personal. Bundesweit konkurrierten Praxen um Fachkräfte.
Viele Hausärzte sagen, sie bräuchten heute im Durchschnitt viel mehr Zeit pro Patient als früher. Woran liegt das?
Christoph Fox von der KV Bremen, und Hausarzt Holger Schelp erklären dieses Phänomen mit dem demographischen Wandel: "Wir haben heute mehr alte Patienten und die werden öfter krank", sagt Schelp.
Fox sagt zudem, dass heute vermehrt Menschen aus Einsamkeit in die Arztpraxen kämen – ohne tatsächlich ernsthaft krank zu sein: "Sie haben nichts anderes, wissen nicht, wo sie sonst hingehen sollen."
Was kostet die niedergelassenen Ärzte heute außerdem mehr Zeit als in früheren Jahren?
Die Bürokratie hat erheblich zugenommen. Und das betrifft offenbar alle niedergelassenen Medizinerinnen und Mediziner. So sagt etwa die Kassenzahnärztliche Vereinigung, dass inzwischen jeder niedergelassene Zahnarzt durchschnittlich 51 Arbeitstage pro Jahr für Verwaltungstätigkeiten aufwenden müsse – viel mehr Zeit, als noch vor wenigen Jahren. Schuld seien vor allem die Dokumentationspflichten.
Wie könnte die Politik niedergelassene Ärzte entlasten?
"Man müsste möglichst schnell die Verwaltung vereinfachen", sagt dazu Hausarzt Schelp. So seien die Abrechnungen viel zu kompliziert geworden. Er fände es sinnvoller, nach Pauschalen abzurechnen.
Außerdem hake es bei der Digitalisierung. Viele Praxen hätten Probleme mit Softwareabstürzen. Tatsächlich klagten einer Befragung des Zentralinstituts kassenärztliche Versorgung zufolge im Jahr 2023 44 Prozent aller Arztpraxen darüber, dass die Software immer wieder abstürze. Gerade das Einlesen der Gesundheitskarten bereite Probleme. Durch das E-Rezept, das die Ärzte am Computer elektronisch signieren müssen, seien noch weitere Software-Probleme hinzu gekommen, sagt Schelp. Bislang vereinfache es die Arbeitsabläufe nicht, sondern beschere den Ärzten zusätzliche Büroarbeit.
Die KV Bremen hat kürzlich ein Papier mit 17 Forderungen vorgestellt, um einem drohen "Praxenkollaps" in Bremen und Bremerhaven entgegenzuwirken.
Darin fordern die Ärzte unter anderem eine bessere Gesundheitsbildung durch die Schulen. Die Schülerinnen und Schüler müssten mehr lernen über eine gesunde Ernährung und ein gesundes Leben sowie über Prävention. Außerdem müssten sie mehr über die Akteure wie Praxen, Krankenhäuser, Apotheken und Rettungsdienste erfahren. "Wann und wieso wende ich mich an welche Einrichtung?" laute dabei die Schlüsselfrage.
Was tut die Politik bereits, um die Versorgung mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten in Bremen zu sichern?
Dazu teilt Kristin Viezens, Sprecherin des Gesundheitsressorts, mit, dass Bremen dem drohenden Mangel an Praxen mit Medizinischen Versorgungszentren (MVZs) in kommunaler Trägerschaft begegnen wolle: "Diese kommunalen MVZ bieten die Möglichkeit für Ärztinnen und Ärzte, in einem Angestelltenverhältnis und trotzdem in der ambulanten Versorgung tätig zu sein. Außerdem können wir damit gezielt in den Quartieren die Versorgungslage verbessern, in denen ein höherer Bedarf herrscht."
Wie die Kassenärztliche Vereinigung Bremen, so hat auch das Gesundheitsressort festgestellt, dass immer mehr Patientinnen und Patienten aus Einsamkeit oder zumindest aufgrund "nicht-medizinischer Anliegen" Arztpraxen besuchten. Um dies zu vermeiden, sei man dabei, in strukturell benachteiligten Quartieren "andere Anlaufstellen" zu etablieren. Viezens verweist beispielhaft auf das Gesundheitszentrum LIGA in Gröpelingen sowie auf die Gesundheitsfachkräfte in mittlerweile 17 Bremer und vier Bremerhavener Quartieren. "Durch ihre beratende und koordinierende Funktion können sie auch zur Entlastung der Praxen beitragen", so die Sprecherin.
Man hört und liest immer wieder, dass die gesundheitliche Versorgung in Deutschland Spitze sei. Ist das wirklich so?
Nein, das stimmt nicht, zumindest nur bedingt, sagt Holger Schelp: "Es ist nicht in Ordnung, immer wieder zu behaupten: Unser System ist super, hier bekommt man alles, was man will. Das ist vorbei." Wer so etwas behauptet wecke nicht nur falsche Erwartungen, sondern schade zudem jenen, die tatsächlich Tag für Tag ihr Bestes gäben, um den Menschen zu helfen.
Die Zeiten der Überversorgung seien vorbei. Heute müssten die Menschen in Deutschland mit kleineren gesundheitlichen Problemen selbst zurecht kommen. Entsprechend müssten wir unserer Erwartungshaltung überdenken.
Wir sollten uns freuen, dass Ärztinnen und Ärzte sowie Medizinische Fachangestellte für uns da sind, statt uns darüber zu ärgern, dass sie nicht alles schaffen.
Holger Schelp, Bremer Hausarzt
Es werde Zeit, dass Politiker und Öffentlichkeit dies endlich begriffen, in Bremen und in Bremerhaven ebenso wie im gesamten Bundesgebiet.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 29. Juni, 19:30 Uhr